08.11.2013

Handelszeitung

"Jetzt müssen wir Farbe bekennen"

Die "Handelszeitung" mischt sich in den Wahlkampf ein. Für die aktuelle Ausgabe hat Chefredaktor Stefan Barmettler nicht nur ein kämpferisches Manifest gegen die 1:12-Initiative verfasst, sondern 45 Unterschriften von Schweizer Wirtschaftsgrössen zusammengetragen, die seiner Streitschrift zusätzliches Gewicht verleihen. Hat eine Zeitung mit klarer politischer Positionierung strategische Vorteile im Leser- und Werbemarkt? Und wird nun seine gesamte Redaktion am 24. November Nein stimmen? "Das weiss nicht, aber insgeheim hoffe ich es", sagt Barmettler im Interview.
Handelszeitung: "Jetzt müssen wir Farbe bekennen"

Herr Barmettler, auf der Titelseite der aktuellen "Handelszeitung" prangt in grossen Lettern: "Manifest für eine zukunftsfähige Schweiz“. Machen Sie jetzt Wahlkampf?
Es steht eine für den Wirtschaftsstandort essentielle Abstimmung bevor - die wichtigste Abstimmung der letzten 20 Jahre. Da will ich mit Argumenten einen Beitrag leisten. Zusätzlich zum Manifest haben wir ein Interview mit Peter Spuhler plus eine Analyse von unserem Chef-Ökonomen Armin Müller in der aktuellen Ausgabe. 

Ist ein solches "Manifest" nicht etwas altmodisch?
Was soll altmodisch sein? Wir engagieren uns in der Zeitung für eine liberale Wirtschaftsordnung, im Netz wir heftig weitergestritten. Das ist Konvergenz!

Doch warum ein "Manifest"?
Weil ich es als Wirtschaftsjournalist für eine noble Aufgabe betrachte, für Arbeitsplätze, für den Sozialstaat und für die Wettbewerbsfähigkeit einzustehen. Und weil ich gegen ein staatliches Lohndiktat und gegen eine Lohnpolizei bin.

Auch auf Radio 1 äusserten Sie sich sehr pointiert zum Thema und argumentierten vor allem mit Steuer-Einbussen. Warum dieses aussergewöhnliche Engagement?
Weil das Konzept des Sozialstaates ein Standortvorteil ist, dieser wird finanziert durch eine steile Steuerprogression. Abgesehen davon kritisiere ich in meiner Radiokolumne auch immer wieder das ungebremste Wachstum des Staates.

Sie haben 45 bekannte Schweizer CEOs und Verwaltungsräte überzeugen können, Ihre Unterschrift zu lieferen. Wie gingen Sie vor?
Ich habe mir überlegt, wer als Unternehmer glaubwürdig ist und einen Leistungsausweis hat. Diese Leute bin ich angegangen. Abgesagt haben nur ganz wenige.

Darunter sind die Unterschriften von Jean-Claude Biver, Herbert Bolliger, Philippe Gaydoul, Hansueli Loosli, Magdalena Martullo, Tomas Prenosil. Auf welche sind Sie besonders stolz?
Auf alle. Am meisten beeindruckend haben mich jene, die absolut kein Eigeninteresse haben, das sind vor allem Industrielle und Kleinunternehmer. Carl Elsener, der Patron von Victorinox, hat bei sich im Betrieb 1:5 eingeführt – trotzdem hat er mitunterschrieben.

Wen konnten Sie nicht überzeugen?
Wir fragten auch fünf national bekannte SP-Exponenten - Stadtpräsidenten, Ständeräte, Nationalräte - an. Sie haben mit geschwurbelten Erklärungen abgesagt. Sie werden zwar gegen die Initiative stimmen, wollten sich aber nicht öffentlich exponieren.

Sie positionieren die "Handelszeitung" mit dieser Aktion sehr klar als wirtschaftsliberales Blatt. Gehört dies zu Ihrer Strategie, evt. auch im Konkurrenzkampf mit anderen Wirtschaftstiteln wie etwa NZZ oder FuW?
NZZ oder FuW stehen auch für eine liberale Wirtschaftsordnung. Es geht auch nicht um den Titel, wer wirtschaftsliberaler ist. Wie gesagt, es geht um die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz. Im Übrigen hat mir einer der beiden Chefredaktoren persönlich gratuliert.

Markus Spillmann?
Das möchte ich nicht sagen.

Hat eine Zeitung mit klarer politischer Positionierung strategische Vorteile im heutigen Leser- und Werbemarkt? 
Eine klare Positionierung gehört zu jedem Markenprodukt.

"Die Handelszeitung lehnt die 1:12-Initiative klar ab", schreiben Sie. Wird demnach die gesamte Redaktion am Abstimmungssonntag Nein stimmen?
Das weiss nicht, aber insgeheim hoffe ich es.

Wie wurde die Parole gefasst: Haben Sie selber diese Haltung eingebracht oder gab es eine Diskussion unter den Redaktoren zum Thema?
Ich hatte schon früher die Idee, habe sie dann aber fallengelassen, weil ich überzeugt war, dass die Initiative klar durchfällt. Nach den jüngsten Umfrageergebnissen war mir klar: Jetzt müssen wir Farbe bekennen. Natürlich gabs interne Diskussionen, ob sich eine Zeitung derart aus dem Fenster lehnen soll.

Welche Redaktoren waren involviert? 
Mein Stellvertreter, Pascal Ihle, hat mich bei den Anfragen unterstützt. Auf handelszeitung.ch haben wir ein umfassendes Dossier zu 1:12 aufgeschaltet. Inhaltlich war die Online-Redaktion informiert, aber vorgängig nicht beteiligt.

Bleibt es bei diesem Manifest oder ist es Teil einer Kampagne, wie man sie etwa von der früheren "Annabelle" kennt? Welches sind die nächsten Schritte?
Es gibt keine nächsten Schritte. Dieses Manifest war einzigartig, zu einer einzigartigen Abstimmung, die auch im Ausland viel Echo ausgelöst hat. Aber immer, wenn wichtige Interessen der Wirtschaft tangiert sind, muss eine Wirtschaftszeitung Farbe bekennen. Das muss aber kein Aufruf sein.

Interview: Edith Hollenstein


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