Neue Zürcher Zeitung
«Am Schluss hat sich das Ticket der SP bewährt. Aber die Sozialdemokraten haben eine Ohrfeige erhalten. Auffällig viele Mitglieder der Bundesversammlung haben die Einschränkung auf zwei Kandidaten, die am linken Parteiflügel politisieren, nicht goutiert. Fast ein Drittel des Wahlkörpers wollte sich nicht sagen lassen, wen es zu wählen hat und wen nicht. Gleichzeitig werfen die 70 Stimmen für [Daniel] Jositsch die Frage auf, wie sinnvoll Tickets überhaupt sind. Sie stärken zwar den Einfluss der Parteien, schränken aber die Wahlfreiheit der Bundesversammlung ein. Die Zeit der Tickets dürfte also vorbei sein. Dieses Mal war es nicht mehr als eine Machtdemonstration. Eine, die die Linke gezwungen hat, ihre Stimmen auf den besser akzeptierten der beiden Kandidaten zu konzentrieren. Die nächste Wahl in den Bundesrat wird wohl unkontrollierbarer – aber auch freier und spannender.»
Republik
«Auf den ersten Blick hat sich im Bundesrat an diesem Mittwoch so gut wie nichts verändert: Weiterhin besteht die Regierung aus zwei SVPlern, zwei Freisinnigen, einer Mitte-Politikerin und zwei Sozialdemokratinnen. Bloss ein Name ist neu: Beat Jans ersetzt Alain Berset. Auf den zweiten Blick aber könnte diese Wahl Bewegung bringen in ein entscheidendes Thema, mit dem sich die Landesregierung äusserst schwer tut: die Europapolitik. Beat Jans möchte das Verhältnis zwischen Bern und Brüssel nämlich rasch klären. (…) Als Vertreter eines wirtschaftsmächtigen Kantons, der gleich an zwei Länder angrenzt, weiss Jans, wie unverzichtbar ungetrübte Beziehungen zu den Nachbarländern sind. (…) Entsprechend ist zu erwarten, dass sich Bundesrat Jans in der Landesregierung dafür einsetzen wird, die Beziehungen mit der EU rasch in geordnete Bahnen zu lenken. (…)»
Südostschweiz
«Die Wahl von Jans ist nicht zuletzt (…) eine Wahl für den Kanton Basel-Stadt, der seit einem halben Jahrhundert, seit dem Rücktritt des damaligen Bundesrates Hans-Peter Tschudi, nicht mehr in der Landesregierung vertreten ist. Mit Jans nimmt der urbane Einfluss in der Regierung zu - was die oft weltoffene Stadt Basel in der Regierung wird beisteuern können, wird uns der neugewählte Jans hoffentlich zeigen. Eines ist die Wahl von Beat Jans aber nicht: Es ist keine Richtungswahl, die einen Ruck in das wehleidig gewordene Land bringt. Der 59-Jährige wird keinen Umschwung anzetteln, er ist ein Konsenspolitiker, der einst den Bauern auf die Füsse getreten sein mag, seither aber gewandt die richtigen Wege nimmt und Rempler vermeidet - ganz offensichtlich. Das ist gut für die Stabilität der Schweiz, aber nicht automatisch für den Weg in die Zukunft, die ungewisser ist als auch schon. Nicht auszuschliessen, dass der unterlegene Jon Pult hier stärkere Impulse hätte geben können. Eine Mehrheit im National- und Ständerat sah das am Mittwochvormittag aber anders.»
SRF
«Und am Schluss bleibt alles gleich: Die FDP muss nie richtig zittern um ihre zwei Bundesratssitze. Der Angriff der Grünen wird zum Rohrkrepierer. Und die SP bringt – unter Nebengeräuschen zwar – mit Beat Jans einen ihrer offiziellen Kandidaten ins Bundesratszimmer. Man kann das Stabilität nennen. Diesen Begriff verwenden bürgerliche Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Oder man kann von einem Machtkartell reden. Diesen Begriff wählen die düpierten Grünen. Es ist eine Frage des politischen Standpunkts. (…) Vielleicht sehen manche Mitte-Politikerinnen und -Politiker den heutigen Verzicht auf einen Angriff rückblickend als verpasste Chance. Und man darf sich fragen, ob auch das Land eine Chance verpasst hat – eine Chance auf eine offenere Diskussion über neue Regeln für die Machtverteilung im Bundesratszimmer.»
Tages-Anzeiger
«‹Veränderung ist nie einfach, aber immer möglich› – mit diesen Worten appellierte Grünen-Fraktionschefin Aline Trede an das Parlament, es möge den Mut haben, die Zauberformel zu verändern. Hier und jetzt. Ihr Appell verhallte im Nichts. Heute war in diesem Parlament keine Veränderung möglich. Der Angriff der Grünen auf den FDP-Sitz von Ignazio Cassis scheiterte kläglich. Stattdessen lief alles nach dem Plan der Bundesratsparteien (…). Alles in bester Ordnung also? Mitnichten. Die vergleichsweise schwachen Resultate mehrerer Regierungsmitglieder zeigen, dass viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit der Machtverteilung zwischen den Parteien unzufrieden sind. Auch in den Bundesratsparteien ist nach den Parlamentswahlen im Oktober das Bewusstsein gewachsen, dass sich die bisherige Zauberformel mittelfristig kaum aufrechterhalten lässt. Zu uneindeutig sind die Kräfteverhältnisse und Sitzansprüche der Parteien. Zu gross auch der im Bundesrat nicht repräsentierte Teil des Stimmvolks. (…) Um diese verbreitete Unzufriedenheit dürfen sich die Fraktionen jetzt nicht mehr foutieren. Sie sollten so rasch wie möglich Konkordanzgespräche aufnehmen. Ziel muss es sein, alle relevanten Kräfte entsprechend ihrer Stärke einzubinden. (…)»
Watson
«Mit Beat Jans wurde der Favorit zum Nachfolger von Alain Berset gewählt. Die Nebengeräusche sind jedoch ein Vorgeschmack auf den Kampf um den zweiten FDP-Sitz. (…) So richtig zur Sache gehen wird es, wenn das nächste Mal ein FDP-Sitz frei wird. Denn die Diagnose von SP und Grünen ist richtig: Die Bundesrats-Mehrheit von SVP und FDP hat keine Grundlage mehr, weder in der Bevölkerung noch im Parlament. Es zeichnet sich ein harter Kampf ab, denn die Grünen wollen den Sitz, und die Mitte liebäugelt damit. Die Freisinnigen wiederum werden kaum kampflos weichen, weshalb den Grünliberalen eine Schlüsselrolle zukommen dürfte. Doch das ist Zukunftsmusik. Die FDP wird inbrünstig hoffen, dass [Ignazio] Cassis und KKS [Karin Keller-Sutter] noch mindestens vier Jahre ‹durchhalten›. Aber der grosse Knall wird kommen.» (sda/cbe)
Lesen Sie auch den Kommentar von Matthias Ackeret, Verleger und Chefredaktor von persönlich und persoenlich.com.