18.07.2018

Schweizer Presserat

Moutier ist keine «Bananenrepublik»

Der Presserat hat eine Beschwerde gegen die «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche» teilweise gutgeheissen. Ein Titel habe impliziert, dass in der bernjurassischen Gemeinde «Korruption, Bestechlichkeit und staatliche Willkür» herrschten.
Schweizer Presserat: Moutier ist keine «Bananenrepublik»
Ein Tamedia-Artikel zur Abstimmung über Moutiers Kantonszugehörigkeit hat der Presserat teilweise gerügt. Im Bild: Moutiers Bewohner feiern den ersten Jahrestag nach der Abstimmung. (Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott)

Am 18. März 2018 berichteten die «SonntagsZeitung» und der Westschweizer «Le Matin Dimanche» über Betrugsvorwürfe im Zusammenhang mit der Gemeindeabstimmung in Moutier über einen Wechsel vom Kanton Bern zum Kanton Jura. Diese Abstimmung am 18. Juni 2017 fiel knapp zugunsten eines Kantonswechsels aus.

Der Bericht im «Le Matin Dimanche» war eine Übersetzung des Artikels in der «Sonntagszeitung». Die beiden Texte waren fast, aber nicht ganz identisch.

Abstimmungstourismus

Der Bericht erwähnte eine anonyme statistische Studie, die der Berner Regierung zugestellt worden sei und die der Redaktion vorliege. Diese Studie belege, dass im Vorfeld der Abstimmung systematisch Abstimmungstourismus betrieben worden sei.

Die «SonntagsZeitung» gab an, dass eigene Recherchen diesen Befund bestätigten: Mehrere Personen hätten sich vor dem Urnengang in Moutier angemeldet und später die Schriften wieder an einen neuen Ort verlegt, darunter etwa der Sohn des separatistischen Vize-Stadtpräsidenten, «Mathieu B.». Er und sein Vater wollten sich zum Fall nicht äussern.

Ein Wohnortswechsel, um an einer Abstimmung teilnehmen zu können, ist nicht strafbar, aber er kann dazu führen, dass die Abstimmung für irregulär erklärt wird.

Medienhaus weist Vorwürfe zurück

Eine Woche später berichteten die beiden Tamedia-Blätter, der Staatsanwalt habe seine Untersuchung zwar eingestellt, die Ergebnisse seien für ihn aber dennoch brisant. Dementsprechend habe er sich zuerst geweigert, den Bericht herauszugeben, da die Erkenntnisse für den Ausgang der beim Regierungsstatthalteramt hängigen Beschwerden gegen die Abstimmung von Interesse sein könnten.

Der Präsident des Abstimmungskomitees «Moutier ville jurassienne» wandte sich daraufhin an den Presserat. Er kritisierte unter anderem, dass wichtige Informationen weggelassen worden seien, die den sensationellen Charakter der Artikel abgeschwächt hätten.

Ferner hätten die Titel der Artikel den Eindruck erweckt, die Abstimmung sei irregulär gewesen. Zudem sei mit der Bezeichnung «Matthieu B.» eine Person kenntlich gemacht worden, die ein Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre habe.

Schliesslich reklamierte der Beschwerdeführer beim Presserat auch, dass sich der Artikel des «Le Matin Dimanche» fehlerhaft sei, denn dort stehe, dass sich die Staatsanwaltschaft zunächst geweigert habe, ihre Einstellungsverfügung der Regierungsstatthalterin zu übergeben.

Das Medienhaus Tamedia, das die beiden Zeitungen herausgibt, wies die Vorwürfe zurück.

Differenziertes Urteil

Der Presserat hat in seiner am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme festgehalten, dass sich die Berichte nicht einfach auf eine anonyme Studie stützten, sondern dass die Redaktion die Befunde mit eigenen Recherchen vertieft habe. Die Redaktion sei «angemessen vorsichtig» mit der Studie umgegangen.

Auch die zumindest teilweise Kenntlichmachung von «Matthieu B.» ist laut Presserat nicht zu beanstanden. Schliesslich sei es im öffentlichen Interesse zu vernehmen, dass sich ausgerechnet der Sohn des Vize-Stadtpräsidenten vier Monate vor der Abstimmung in Moutier angemeldet habe.

Tamedia soll bei der Übersetzung sorgfältiger sein

Der Presserat rügte dafür den Titel des «Sonntagszeitung»-Artikels: «Bananenrepublik Moutier». Dieser impliziere, dass in Moutier Korruption, Bestechlichkeit und staatliche Willkür herrschten. Diesen gravierenden Vorwurf sieht der Presserat im Bericht «nicht ansatzweise erhärtet».

Ebenfalls als Verstoss gegen die Rechte und Pflichten der Journalistinnen und Journalisten bezeichnet der Presserat die Aussage im «Le Matin Dimanche», dass sich der Staatsanwalt zunächst geweigert habe, die Einstellungsverfügung der Statthalterin zu übergeben.

Dabei handelte es sich um einen Übersetzungsfehler, wie der Presserat klarmachte. Er empfahl Tamedia darum dringend, bei der Übersetzung von Texten künftig wesentlich grössere Sorgfalt walten zu lassen. (sda/maw)



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