26.04.2017

Tages-Anzeiger

Porträt über Eric Gujer kurzfristig gekippt

Das Manuskript mit dem Titel «Der Durchsetzer» war lesbar für alle Tagi-Redaktoren. Es kursiert nun im Internet. Zuvor hat der Porträtierte gegen die Erscheinung interveniert und offenbar mit einer Klage gedroht.
Tages-Anzeiger: Porträt über Eric Gujer kurzfristig gekippt
Seit März 2015 Chefredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung»: Eric Gujer. (Bild: Keystone/Christian Beutler)

Es hätte am Samstag vor dem Sechseläuten erscheinen sollen, also am Tag der Generalversammlung der NZZ-Aktionäre. Wie persoenlich.com weiss, war das von Journalist Thomas Widmer verfasste Porträt über Eric Gujer am Donnerstagmittag fertig geschrieben und zum Gegenlesen an den Porträtierten verschickt. Doch der Text erschien nie und er wird auch nie erscheinen: Am Freitag hat Tagi/SoZ-Chefredaktor Arthur Rutishauser die beteiligten Redaktoren über den Entscheid informiert, wie übereinstimmende Quellen auf Anfrage von persoenlich.com bestätigen. Grund dafür sei die Intervention des porträtierten Eric Gujer gewesen.

Persönliches Gespräch an der Falkenstrasse

Das Manuskript mit dem Titel «Der Durchsetzer» war bereits im Redaktionsmanagement-System erfasst, daher lesbar für alle Tagi-Redaktoren. Zudem kursiert in der Branche ein entsprechendes PDF-Dokument. Auch persoenlich.com liegt eine Kopie davon vor. Im Porträt, basierend auf einem persönlichen Treffen im Chefredaktor-Büro an der Falkenstrasse in Zürich, geht es um Gujers Führungsstil, sein Selbstverständnis als Chefredaktor, seine Themen («Sicherheitspolitik, Nato, Geheimdienste, schwierige Ausbalancierung von Freiheit und Sicherheit») und seinen beruflichen Werdegang. Zudem werden Artikel aus dem «Kleinreport» und mehrere NZZ-Mitarbeitende zitiert, allerdings ohne auch nur einen einzigen namentlich zu erwähnen. Gujer wird in diesen Mitarbeiter-Statements als «kalt» und «unnahbar» bezeichnet, als «Machtmensch». Daneben nennt der Tagi-Autor positive Attribute: «brillant», «im Gespräch locker» und «pointiert».

Offenbar mit Klage gedroht

Gegen die langen Passagen über seinen beruflichen Werdegang dürfte der NZZ-Chef nicht viel einzuwenden gehabt haben. Etwas zu ausführlich dürften in der Perspektive Gujers hingegen die Stellen über redaktionsinterne Vorgänge ausgefallen sein, bei denen seine Ehefrau involviert gewesen sein soll.

Gujer habe das Porträt nach dem Gegenlesen als «persönlichkeitsverletzend» bezeichnet, wie persoenlich.com aus mehreren Quellen weiss. Daher habe er dem Tagi mit einer Klage gedroht. Weitere Details dazu waren nicht in Erfahrung zu bringen. Auch nicht vom Autor: «Ich will keine Stellung nehmen», sagte Thomas Widmer auf Anfrage. 

Der Tagi müsse entscheiden

Welche Stellen erachtete Gujer als «persönlichkeitsverletzend»? Warum hat er mit einer Klage gedroht? Das wollte der NZZ-Chefredaktor nicht beantworten. Alle Fragen, welche die Publikation von Artikeln im «Tages-Anzeiger» betreffen, sollten direkt an die Redaktion des «Tages-Anzeigers» gerichtet werden, schrieb Gujer per Mail. «Die Kollegen entscheiden, was sie publizieren, und sind daher der richtige Ansprechpartner.»

Arthur Rutishauser nimmt keine Stellung

Damit spielte der NZZ-Chef den Ball dem Kollegen vom Konkurrenz-Blatt zu. Und gerne hätte persoenlich.com von Arthur Rutishauser gewusst, warum er sich gegen die Publikation entschieden hatte. Ist der Text tatsächlich auf dem Rechtsweg anfechtbar? Doch der Tagi/SoZ-Chefredaktor wollte auf Anfrage keine Aussage machen - unter Berufung «auf das Redaktionsgeheimnis, das beim Tagi gelte». 

 

 

 

 


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KOMMENTARE

Arno Blatter
10.05.2017 13:26 Uhr
Und wo im Internet kursiert das Manuskript? Ich würde es gerne lesen.
Beat Grolimund
01.05.2017 18:10 Uhr
Wenn es um sie selber geht, erweisen sich manche Journalisten als Mimöschen. Und wenn der Betroffene gar ein Chefredaktor und noch dazu der gottsoberen "Neuen Zürcher Zeitung" ist, dann grenzt jede kritische Randbemerkung an Majestätsbeleidigung. Dass es sich der kleine Chefredaktor des grossen Blatts nicht mit dem grossen Chefredaktor der kleinen Gazette verderben will, ist auch nichts Neues; man wiegt sich ja in der Illusion der gleichen Augenhöhe.
Louis Debrunner
27.04.2017 16:52 Uhr
... und sowas nennt man dann Pressefreiheit???!!!
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