04.06.2015

Jyllands-Posten

"Provokation gehört zu einer offenen Gesellschaft"

Die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" veröffentliche 2005 als erstes Medium die Mohammed-Karikaturen. Seither gleicht das Redaktionsgebäude in Aarhus-Viby einem Sicherheitstrakt. persoenlich.com hat Chefredaktor Jorn Mikkelsen am SwissMediaForum in Luzern zum Interview getroffen. Ein Gespräch über Angst, die Kapitulation vor Islam-Themen und die Debatte um Meinungsfreiheit.
Jyllands-Posten: "Provokation gehört zu einer offenen Gesellschaft"

Kein Wölkchen ist am Himmel zu sehen, die Temperaturen sind angenehm warm und viele Passanten schlendern dem Luzerner Seeufer entlang - vorbei am Nobelhotel Palace, wo wir "Jyllands-Posten"-Chefredaktor Jorn Mikkelsen zum Gespräch treffen. Doch der idyllische Schein trügt. Aufgrund erhöhtem Gefahrenpotential müssen die Organisatioren das SwissMediaForum am Freitag vom KKL auf ein Schiff verlegen. Doch davon wissen wir zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nichts. Es ist Donnerstagabend kurz vor 19 Uhr.

Herr Mikkelsen, Sie sind heute in der Schweiz angekommen. Fühlen Sie sich sicher hier?
Ich fühle mich wohl hier. Die Aussicht direkt auf den See und der Blick in Richtung Berge ist sehr schön.

Und wie ist es, wenn Sie in Ihrer Heimat in Dänemark zur Arbeit gehen? Seit der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen im Jahr 2005 gleicht das Redaktionsgebäude einer Festung.
Wir sind gut gesichert und können den Behörden für ihre Arbeit dankbar sein. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Ich persönlich fühle mich sicher. Aber einige meiner Mitarbeiter sind sehr beunruhigt. Direkt nach den Angriffen in Paris und Kopenhagen kam es zu Kündigungen, weil die ständige Bedrohung zu belastend war.

Haben Sie dafür Verständnis?
Natürlich. Unsere Mitarbeiter leben seit bald zehn Jahren mit der Angst vor einem Anschlag. Und wir müssen uns bewusst sein, dass die Bedrohung in den nächsten Jahren nicht vorübergehen wird.

Im Februar haben Bewaffnete die Redaktion von "Charlie Hebdo" in Paris gestürmt, auch in Kopenhagen kam es zu einem Anschlag. Was ging in Ihnen vor, als Sie von den Attentaten gehört haben?
Auf die Redaktion von 'Jyllands-Posten' gab es in den letzten Jahren mehrere Attentatversuche, nur vier davon wurden öffentlich. Einmal haben Angreifer versucht, bei unserem Karikaturisten Kurt Westergaard zuhause einzudringen. Er konnte sich zum Glück in einen Sicherheitsraum retten. Wir müssen damit leben, dass so etwas immer wieder passieren kann. Angriffe wie in Paris oder Kopenhagen lassen solche Erinnerungen aufleben. Und diese Angst wird nicht so einfach weggehen. Es ist für mich unverständlich, wie eine Zeichnung eine solch lebensbedrohliche Situation auslösen kann.

Kritiker sagen, Sie hätten mit den Mohammed-Karikaturen provoziert.
Provokation gehört zu einer offenen Gesellschaft. In einer demokratischen Gesellschaft gibt es kein Grundrecht, nicht ab und zu gekränkt zu werden.

Muslime reagieren stärker auf Kränkung als Angehörige anderer Religionen.
Unsere Gesellschaft ist multikultureller und multireligöser. Darauf müssen wir uns einstellen. Das ist die Lehre aus der ganzen Affäre. Für mich ist der Punkt ein anderer: Ein Karikaturist argumentiert mit seiner Zeichnung verbal. Erst die Reaktion darauf erfolgt mit Gewalt. In einer demokratischen Gesellschaft endet hier jede Debatte.

Die Karikatur von Kurt Westergaard, die Ihre Zeitung 2005 veröffentlicht hatte, zeigt den Propheten mit einer Bombe als Turban. Damals war Carsten Juste Chefredaktor der Zeitung. Wären die Zeichnungen unter Ihrer Führung auch erschienen?
Ich war damals Teil der Redaktion. Die Veröffentlichung der Karikaturen ist einer Gesamtsituation entsprungen. Wir wollten die Bedrohung gegen die freie Meinungsäusserung debattieren.

Sie haben später entschieden, in "Jyllands-Posten" keine alten und neuen Mohammed-Karikaturen mehr zu drucken. Bleiben Sie dabei?
Ich kann nicht sagen, dass wir solche Zeichnungen nie wieder zeigen werden. Dann hätten wir kapituliert. Doch zurzeit ist die Bedrohung gegen unsere Zeitung zu gross.

Für Ihren Kulturchef Flemming Rose ist es bereits jetzt eine Kapitulation."Das Schwert war nachhaltiger als die Feder", kommentierte er Ihren Entscheid.
Der Entscheid hat den Hauch einer Kapitulation. Aber das möchte man ja nicht so sagen.

Wie meinen Sie das?
Die Chefredaktoren dieser Welt reden viel um den heissen Brei herum und suchen ausreden, die Karikaturen nicht zu zeigen. Man wisse ja, wie die Karikaturen aussehen, es gäbe deshalb keinen Grund zu provozieren. Doch wenn Sie heute hier ein Interview mit Barack Obama führten, würden Sie ein Bild von ihm zeigen, auch wenn jeder weiss, wie er aussieht. Aber es ist verständlich, für Journalisten ist es niederschmetternd zu sagen; wir wagen es nicht.

Die Diskussion um die Mohammed-Karikaturen müsste endlich weiter führen, sagten Sie nach dem Angriff auf "Charlie Hebdo" in einem Interview. Ist das geschehen?
Die Debatte hat sich in den letzten zehn Jahren kaum bewegt. Noch immer geht es um die Frage, ob wir die Karikaturen zeigen oder nicht. Es gibt Argumente dafür und dagegen. Wir müssen aus dem Schützengraben kommen und den Fokus auf die Meinungsfreiheit legen. Wie können wir mit der Bedrohung umgehen? Wie ist die Rolle der freien Medien in dieser aktuellen Situation? Diese Dinge müssen wir in den Griff bekommen.

Als Botschafter für die Pressefreiheit sind Sie in vielen Ländern unterwegs. Wie unterscheidet sich die Debatte in den Ländern der Welt?
Die amerikanischen Medien haben grössere Berührungsängste als ihre europäischen Kollegen. Vielleicht auch aus gutem Grund, denn die Bevölkerung ist noch multikultureller. Die grossen Zeitungen haben dort in den letzten Jahren keine Mohammed-Karikaturen gezeigt. In Europa war die Resonanz für die Meinungsfreiheit aufzustehen nach dem Angriff auf 'Charlie Hebdo' deutlicher spürbar.

In Dänemark liegt der Anteil der Muslime bei knapp fünf Prozent. Wie hat sich das Zusammenleben in den letzten Jahren verändert?
Es gibt jetzt auch innerhalb der muslimischen Gesellschaft eine Debatte. Muslime werden in Dänemark als Individuen wahrgenommen, und nicht mehr als Teil einer Masse. Und diese Individuen nehmen an der aktuellen Dikussion teil. Die Entwicklung ist nicht nur in Dänemark sichtbar. Wenn es etwas Gutes, an der ganzen Situation gibt, dann ist es das. Man muss ja klar sagen, diejenigen, die Gewalt anwenden, sind Extreme und in der Minderheit. 

Interview und Bilder: Michèle Widmer

 


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