22.07.2014

Piratenradios

Radio 24 war das bekannteste, aber nicht das erste

Das Sozialarchiv hat über 30 Sendungen anderer illegaler Radios digitalisiert.
Piratenradios: Radio 24 war das bekannteste, aber nicht das erste

Vor 35 Jahren hat Roger Schawinski seinen Kampf gegen das SRG-Radiomonopol gestartet. Radio 24 war das bekannteste, aber nicht das erste Piratenradio der Schweiz. Das Sozialarchiv hat kürzlich über 30 Sendungen anderer illegaler Radios digitalisiert. Sie trugen Namen wie Gäterlischlitzer oder Wällensittich.

Rock- und Popmusik war noch in den 1970er-Jahren kaum am Radio zu hören. In der Deutschschweiz gab es mit DRS1 und DRS2 gerade mal zwei Sender – beide richteten sich an ein älteres Publikum. Die ganze Zielgruppe der Jugendlichen wurde nicht bedient, wie Stefan Länzlinger vom Schweizerischen Sozialarchiv mit Sitz in Zürich im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda sagt. Die PTT hatte damals das alleinige Recht, Funkantennen zu erstellen und zu betreiben.

Gleichzeitig wurden in den 1970er-Jahren Bauteile für Sender billiger und kleiner. Jeder konnte problemlos für ein paar hundert Franken einen handlichen Sender selber bauen. Damit begann der Widerstand gegen das SRG-Monopol in der Schweiz: Der erste illegale Sender Pirate 101 sendete im Frühling 1976 aus Genf, wie der Zürcher Historiker Adrian Scherrer zur sda sagt.

In den nächsten Jahren gab es dann zwar immer mehr Piratenradios, heute weiss man aber kaum mehr etwas darüber. Scherrer ist im PTT-Archiv auf Spuren von über 30 Sendern gestossen. Es habe aber sicher noch mehr gegeben, sagt er. Die meisten sendeten aus Zürich und Umgebung.

Von stümperhaft bis hervorragend recherchiert
Das Sozialarchiv erhielt kürzlich von einem Radiopiratenfan über 30 Sendungen von Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre – ein Glücksfall, wie Länzlinger sagt. Die Sendungen sind nun auf der Website des Sozialarchivs aufgeschaltet.

Die Sender hiessen etwa Gäterlischlitzer, Alibaba, Wällensittich oder Känguruh. Einige sendeten gerade mal ein paar Minuten, andere regelmässig bis zu zwei Stunden in der Woche.

Auch die Qualität war unterschiedlich - von stümperhaft bis zu hervorragend recherchiert, wie Scherrer sagt. Die Frequenzen lagen immer zwischen 100 und 104 Megahertz. Hier war sonst nur Rauschen zu hören. Gemäss offizieller Begründung war dieser Platz für Kriegszwecke reserviert.

Neben den Unzufriedenen, die am SRG-Monopol rüttelten und vorwiegend Rock- und Popmusik spielten, gab es - vor allem aus linken Kreisen - politisch Aktive, die ihre Botschaft über den Äther verbreiten wollten. So kamen die "Wellenhexen", die den ersten politischen Piratensender in der Deutschschweiz betrieben, aus der Frauenbewegung.

Vom Peilwagen erwischt: Busse oder Gefängnis
Die PTT schaute dem Treiben aber nicht tatenlos zu: Mit Peilwagen machte sie Jagd auf die Sender. Wurden die Piraten erwischt, bedeutete das nicht nur den Verlust der Technik, sondern auch eine Busse von bis zu 1000 Franken. Einige seien auch im Gefängnis gelandet, sagt Scherrer.

Um nicht erwischt zu werden, wechselten die Radiomacher immer wieder ihren Sendeort. Die meisten machten für ihre Sendungen auch keine Werbung im Voraus. Viele behalfen sich aber mit einem Trick, wie Scherrer erzählt. Sie überlagerten kurz einen anderen, offiziellen Sender, kündigten darauf ihre Sendungen an und hofften so, Hörer abwerben zu können.

Für den Sender Hörerpost richtete etwa Radio Jasmin in Schweden ein Postfach ein - die PTT schickte dem Postfachinhaber sogar einen Brief, um ihn auf das illegale Treiben aufmerksam zu machen.

Schawinski nutzte italienische Liberalisierung
Piratensender waren aber kein Schweizer Phänomen. Auch in anderen europäischen Ländern herrschte ein staatliches Radiomonopol. Als erstes europäisches Land liberalisierte Italien den Rundfunkmarkt im Jahr 1976. Und genau dies nutzte Roger Schawinski vor 35 Jahren aus.

Er deklarierte sein Radio 24 als italienisches Lokalradio und sendete ab November 1979 mit einer riesigen Antenne vom Gipfel des Pizzo Groppera in Richtung Schweiz, so dass man die Sendungen auch in Zürich noch hören konnte. Auf Druck aus Bern wurde der Piratensender zwar mehrmals abgeschaltet, Radiopionier Schawinski gab aber nicht auf - mit Erfolg.

Im Juni 1983 bewilligte der Bundesrat schliesslich 36 Lokalradioversuche. Am 1. November 1983 schickten die ersten Privatradios - darunter Radio 24 – ihre Sendungen über den Äther. Dies war gleichzeitig das Ende der Piratenradios: Sie waren schlicht überflüssig geworden. (sda)

Bild: Keystone


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