08.12.2022

Simon Graf

«Seine Empathie macht Federer so nahbar»

Der Tamedia-Sportjournalist hat mit seinem englischen Kollegen Simon Cambers das Buch «Inspiration Federer» geschrieben. Simon Graf sagt, was die Hürden dieses ambitionierten Projekts waren, inwiefern der Maestro seine journalistische Weiterentwicklung beeinflusst hat – und wagt einen Blick in die Zukunft des 20-fachen Grand-Slam-Siegers.
Simon Graf: «Seine Empathie macht Federer so nahbar»
«Ich denke, das Buch hilft einigen, den Trennungsschmerz zu verarbeiten», sagt Sportjournalist Simon Graf, der Roger Federer seit über 20 Jahren für den Tages-Anzeiger und die SonntagsZeitung begleitet. (Bilder: zVg)
von Tim Frei

Herr Graf*, wie froh sind Sie, dass sich Roger Federer einst für Tennis und nicht für Fussball entschieden hat?
Sehr froh. Wäre er Fussballer geworden, wäre meine journalistische Karriere anders verlaufen. Tennis war nebst dem Eishockey schon immer meine grosse Liebe im Sport. Und als sich Federer allmählich bei den Profis etablierte, rutschte ich beim Tages-Anzeiger und der SonntagsZeitung ins Tennisressort hinein. 2001 war ich in Paris erstmals an einem Grand-Slam-Turnier dabei, natürlich erlebte ich Federers ersten Wimbledon-Sieg 2003 vor Ort. Mein Kollege René Stauffer und ich reisten fortan um die Welt, um über Federer zu berichten. Er bescherte uns manches Highlight. 

«Roger Federer hat meine Weiterentwicklung als Journalist befördert», schreiben Sie in Ihrem neuen Buch «Inspiration Federer»**. Inwiefern? Können Sie ein Beispiel dafür machen?
Federer inspirierte mich, indem ich journalistisch mit seinen Topleistungen mitzuhalten versuchte. Er war auf dem Platz bestimmt um einiges einfallsreicher als ich am Laptop. Aber ich suchte immer wieder neue Ansätze, um die Faszination Federer zu fassen. Als ich begann, von den grossen Tennisturnieren zu berichten, hatte niemand auf mich gewartet. Ich baute mir ein Netzwerk auf und probierte stets, die wichtigsten Stimmen im Tennis zum Interview zu bekommen. Ich weiss noch, wie ich den Schweden Mats Wilander am French Open einmal tagelang verfolgte wie ein Schatten, um ihn interviewen zu können. Irgendwann sagte er: «Also gut, reden wir, dann bin ich dich endlich los!» (lacht) Heute plaudern wir miteinander, wenn wir uns an Turnieren sehen, und ich habe seine Handynummer. Er kommt natürlich auch vor im Buch.

Sie haben das Buch zusammen mit Ihrem englischen Journalistenkollegen Simon Cambers geschrieben. Warum wollten Sie unbedingt mit ihm zusammenspannen?
Mein erstes Buch über Federer erschien 2018 im Basler Verlag Kurz & Bündig und kam in der Schweiz sehr gut an. Wir liessen es dann auch auf Englisch übersetzen, doch ohne einen Verlag im englischen Sprachraum im Rücken fehlte uns das Netzwerk, um es international zu verbreiten. Das fand ich schade. Für mein zweites Federer-Buch wollte ich deshalb nicht nur mit einem Schweizer, sondern auch mit einem englischen Verlag zusammenspannen. So fragte ich Simon Cambers, ob er mitmache. Auf diese Weise konnten wir auch beide unsere Connections einbringen. Simon ist einer der besten Tennisjournalisten, schreibt unter anderem für die New York Times oder den Guardian, und ich hatte ihn als äussert angenehmen Menschen kennengelernt. Das bestätigte sich.

«Die Stargeigerin Anne-Sophie Mutter beschrieb die Faszination Federer so klug und treffend wie kaum jemand zuvor»

Cambers und Sie haben zwei Jahre lang an diesem Projekt gearbeitet. Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt? Was waren die grössten Hürden, die Sie überspringen mussten?
Zuerst mussten wir einen britischen Verlag finden. Dazu spannten wir mit einem Agenten zusammen, der die grossen Häuser kontaktierte. Doch da sich die Karriere Federers dem Ende zuneigte, spekulierten diese darauf, die offizielle Biografie Federers verlegen zu können. Ob es diese überhaupt einmal gibt? Ich bin skeptisch.

Mit welchem Verlag hat es schliesslich geklappt?
Mit Pitch Publishing fanden wir einen kleineren englischen Verlag, der sich auf Sportbücher spezialisiert hat. Wir wurden uns schnell einig und konnten uns die Rechte für den deutschsprachigen Raum herausbedingen. Denn ich wollte das Buch unbedingt auch in der Schweiz verlegen. Mit dem Wörterseh Verlag fanden wir hier den idealen Partner. Auf Englisch erschien das Buch Anfang Oktober, auf Deutsch ist es nun zwei Monate später herausgekommen. Sehr schön produziert, mit 32 Seiten Bildteil. Und natürlich war es eine grosse Challenge, all die Interviewpartner zu bekommen. Mit dem Manager von Stefanos Tsitsipas war ich eineinhalb Jahre in Kontakt, bis in Wimbledon plötzlich das SMS kam, ich solle in zehn Minuten bei den Trainingsplätzen sein. 

Sie zwei haben für das Buch 44 Interviews mit Persönlichkeiten wie Toni Nadal, Marc Rosset, Arno Camenisch gemacht, um der Frage auf den Grund zu gehen, was Federer bei Freunden, Rivalen, Coaches, Fans und Kulturschaffenden ausgelöst hat. Welche dieser Storys hat Sie am meisten bewegt?
Es ist für mich unmöglich, nur eine Story zu nennen. Das Zoom-Gespräch mit Vittoria und Carola, den italienischen Tennis-Juniorinnen, die mit ihrem Dachterrassen-Tennis während des Lockdowns berühmt und später von Federer überrascht wurden, war wunderbar erfrischend. Sehr eindrücklich war für mich das Interview mit Stargeigerin Anne-Sophie Mutter, die die Faszination Federer so klug und treffend beschrieb wie kaum jemand zuvor. Jeder ihrer Sätze ist druckreif. Bewegt hat mich auch die Begegnung mit Marian Vajda, dem langjährigen Coach von Novak Djokovic, einem sehr herzlichen Menschen.

Inwiefern?
Ich kannte Vajda schon von früher, hatte aber noch nie mit ihm ausführlich über die Rivalität von Djokovic und Federer geredet. Anders als Nadal und Federer mochten sich die beiden ja nicht besonders. Es war interessant zu hören, wie Vajda erzählte, wie sehr sich Djokovic in frühen Jahren an Federer orientierte und wie er als Coach die grossen Duelle der Big 3 erlebte. Auch, wie sehr er Federer schätzt, obschon Djokovic sein erbitterter Rivale war. 

«Zumindest mündlich liebt es Federer, mit der Sprache zu spielen»

Welche Geschichte beziehungsweise Anekdote hat Sie besonders überrascht?
Die Geschichte der Inderin Sunita Sigtia, die 2008 in Wimbledon erstmals für Tickets anstand, um Roger Federer zu sehen, und Nächte draussen auf dem Rasen im Wimbledon Park verbrachte, ohne Zelt und Schlafsack. Als es regnete, sass sie da stundenlang unter ihrem Regenschirm und schlotterte. Zu hören, was sie alles auf sich genommen hat für ihr Idol Federer über all die Jahre, war eindrücklich. Und wie sehr er ihr Leben bereichert hat. Sie sagte mir, sie habe geweint, als sie unser Buch in den Händen gehalten habe, in dem ihre Geschichte erzählt wird. 

Im Vorwort loben Sie Federers Nahbarkeit gegenüber Medienschaffenden: «Er versuchte, sich in uns hineinzuversetzen, überlegte, was unsere Geschichte sein könnte.» Das tönt, als ob Sie Federer auch eine Karriere als Journalist zugetraut hätten …
Durchaus. Federer ist sehr neugierig, er interessiert sich für andere Menschen und deren Geschichten. Diese Empathie macht ihn so nahbar. Als wir uns einmal zufällig im Hallenbad Kilchberg trafen und eine Stunde plauderten, fragte er mich über alles Mögliche aus. Über meinen Job, aber auch über Privates. Und zumindest mündlich liebt es Federer, mit der Sprache zu spielen. Er ist auch da sehr kreativ. Alles gute Voraussetzungen für diesen Job. 

Welche Feedbacks haben Sie bisher auf das Buch erhalten? Welche Rückmeldung hat Sie am meisten berührt?
Auf Twitter bekomme ich täglich mit, wie das Buch international ankommt. Ich kriege immer wieder Messages von Federer-Fans, die es verschlungen haben. Die Feedbacks sind bisher durchwegs positiv. Ich denke, das Buch hilft einigen, den Trennungsschmerz zu verarbeiten. Mir haben auch schon einige geschrieben, die sich bedankt haben, dass wir dieses Buch geschrieben haben. Das freut mich sehr. Gespannt bin ich auf das Feedback von Roger. Seine Mutter Lynette bat mich um die Zusendung einiger Bücher. Natürlich hat Roger eines mit persönlicher Widmung bekommen.

Sie haben schon einige Bücher geschrieben. Inwiefern ist dieses Projekt für Sie besonders?
Weil es besonders ambitioniert war. Es gibt ja schon viele Federer-Bücher, aber ich war davon überzeugt, dass mein Ansatz, seine Geschichte durch die Augen anderer zu erzählen, spannende neue Einblicke gibt. Die Auswahl der Interviewpartner für dieses Buch und der Prozess, sie vom Mitmachen zu überzeugen, war herausfordernd. Wir mussten auch Absagen einstecken, doch wir liessen uns nie entmutigen. Ich finde, der Mix der Leute ist sehr gelungen. Ihre Geschichten sind ganz unterschiedlich. Herausfordernd war für mich auch, erstmals ein Buch auf Englisch zu schreiben, mithilfe eines Übersetzungstools. Und danach alles Englische meines Co-Autors in Deutsche zu übersetzen. Auf Englisch klingt alles so cool, lässig, aber die Präzision der deutschen Sprache hat auch ihren Reiz.  

«Dass Federer fürs Schweizer Fernsehen Tennismatches kommentieren wird, glaube ich eher nicht»

Nach seinem letzten Spiel als Profi sass Federer neben seinem Rivalen Rafael Nadal, wobei beiden Tränen aus den Augen kullerten – ein Augenblick, der um die Welt ging (persoenlich.com berichtete). Was hat dieser Moment bei Ihnen ausgelöst?
Ich war nicht in London, sondern sass zu Hause vor dem Fernseher. Der Laver-Cup war das letzte Turnier meines Kollegen René. Natürlich harrte ich am TV bis zum Schluss aus, bis zu den ergreifenden Szenen mit Roger und Rafa. Ich weiss nicht wieso, aber ich weinte nicht. Vielleicht, weil für mich die letzten beiden Jahre schon ein Abschied auf Raten gewesen waren vom Tennisspieler Federer. Natürlich hätte es mich emotional mehr bewegt, wenn ich in der O2-Arena dabei gewesen wäre.

Zuletzt gab es Gerüchte, wonach Federer bei Wimbledon 2023 als TV-Experte für die BBC zum Einsatz kommen könnte. Sehen Sie seine Zukunft eher am Fernsehen als auf dem Tennisplatz als Coach?
Ich sehe seine Zukunft sehr vielschichtig. Er hat ja noch viele Sponsorenverpflichtungen und wird da weiter gefragt sein. Seine Stiftung liegt ihm am Herzen und wird ihn beanspruchen. Bei On ist er Mitinhaber. Vielleicht investiert er in andere Firmen, so wie das Serena Williams tut. Das Tennis wird ihn auch nicht loslassen. Als Coach auf der Profitour kann ich mir ihn nicht vorstellen, als Coach oder Mentor von jungen Spielerinnen und Spielern hingegen schon. Ich erlebte ihn im vergangenen Sommer in meinem Tennisclub ein paarmal, wie er Junge trainierte und dabei einen Heidenspass hatte.

Weshalb sehen Sie Federer weniger als Coach auf der ATP-Tour?
Ich glaube nicht, dass er als Coach nochmals das ganze Jahr um die Welt reisen möchte. Das er hat er nach über 25 Jahren und über 1500 Matches gesehen. Und er hätte mit all seinen Verpflichtungen, die ich schon erwähnt habe, auch gar keine Zeit dafür.

Und was meinen Sie zu Federers Option, als TV-Experte zum Einsatz zu kommen?
Dass er fürs Schweizer Fernsehen Tennismatches kommentieren wird, glaube ich eher nicht. Aber für die BBC während Wimbledon, wieso nicht? Einmal im Jahr zurück in den All England Club, das würde ihm bestimmt Spass machen. Und seinen Kindern und Mirka auch.



*Simon Graf
berichtet für den Tages-Anzeiger und die SonntagsZeitung seit über 20 Jahren über Roger Federer. 2018 erschien sein Buch «Roger Federer. Weltsportler, Ballverliebter, Wohltäter».

**Das Buch «Inspiration Federer. Vorbild, Rivale, Freund, Gamechanger» (Wörterseh Verlag) der Co-Autoren Simon Graf und Simon Cambers ist seit 1. Dezember 2022 in der Schweiz erhältlich. Es ist auch in englischer Version verfügbar.



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