Die Delegierten der Zürcher SVP-Kantonalsektion haben am Dienstagabend Nationalrat Roger Köppel aus dem Ständeratsrennen zurückgezogen. Stattdessen unterstützt die Partei den Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser. Noch bevor es zur Abstimmung ging, wurde im Gemeindesaal Zumikon gesungen – und zwar die Nationalhymne. Doch nicht alle sangen mit. Am Dienstagabend ärgerte sich der abgewählte SVP-Nationalrat Claudio Zanetti auf Twitter darüber, dass Francesco Benini von der «NZZ am Sonntag» sitzengeblieben sei:
Im Unterschied zum Chronisten des @tagesanzeiger, @Ruedi_Baumann, bleibt der Agitator der @NZZaS, Francesco Benini, beim Absingen der Nationalhymne demonstrativ sitzen und macht einen schlechten Eindruck. DV der @svpzh.
— Claudio Zanetti (@zac1967) October 29, 2019
Er sei tatsächlich aufgestanden zur Nationalhymne, sagt «Tages-Anzeiger»-Journalist Ruedi Baumann auf Anfrage von persoenlich.com. «Ich tue das immer. Ich stehe schliesslich auch in der Kirche bei einer Beerdigung zum Vaterunser oder bei einer Gedenkminute im Fussballstadion oder im Kantonsratssaal auf.» Das gehöre sich und sei eine Anstandsbezeugung, ob man nun SVP- oder Kirchenmitglied sei. «Ich war schliesslich nicht als Privatperson bei der SVP, sondern als Berichterstatter des ‹Tages-Anzeigers›», so Baumann.
Gerade bei dieser Argumentation scheiden sich jedoch die Geister. «Wenn ich als Journalist eine politische Veranstaltung besuche, bin ich Beobachter und nicht Teilnehmer», sagt der kritisierte Francesco Benini, stv. Chefredaktor und Inlandchef der «NZZ am Sonntag». «Ich applaudiere nicht, melde mich nicht zu Wort und singe auch nicht.» Die Kollegin von der NZZ, die neben ihm am Tisch der Medienschaffenden sass, sei ebenfalls sitzengeblieben. Baumann sass weiter vorne im Saal.
Kritischer Beobachter, nicht Fan
Sitzenbleiben oder aufstehen und mitsingen beim Schweizerpsalm? «Glücklicherweise leben wir in einem Land, in dem jede und jeder frei ist, dies für sich zu entscheiden», sagt Vinzenz Wyss, Kommunikationswissenschaftler und Professor für Journalistik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er verweist aber auf die Richtlinien des Presserates. Dort heisst es, dass Journalistinnen und Journalisten ihre publizistische Rolle von einer politischen trennen sollen. «Sie besuchen eine Parteiveranstaltung nicht als Fans, sondern idealerweise als kritische Beobachter. Daraus folgt auch das Verständnis für einen Journalisten mit Schweizer Pass, dass dieser sitzen bleibt und eben beobachtet statt teilnimmt», so Wyss zu persoenlich.com. «Es erwartet ja auch niemand, dass Journalisten beim Besuch einer Moschee eifrig mitbeten.»
Benini hat noch weitere prominente Rückendeckung erhalten. So schreibt Kabarettist Viktor Giacobbo unter Zanettis Tweet: «Es macht doch keinen schlechten Eindruck, wenn jemand bei einem per Befehl gesungenen Lied mit schwachsinnigem Text sitzen bleibt.»
Diesem Argument stimmt auch Baumann vom Tagi teilweise zu: «Den Text der Nationalhymne finde ich bireweich.» Er hätte lediglich ein paar Zeilen mitgesungen – «aber mehr aus kindlicher Gewohnheit und Freude an meiner schönen Stimme». Bei der zweiten Strophe habe er nicht mal phasenweise mitgesungen, weil er den Text nicht kenne. «Ich habe während dieser zweiten Strophe zu meinem ebenfalls stehenden Tagi-Kollegen am Tisch – ein Liechtensteiner – gesagt: ‹Wenn wir jetzt nicht mitsingen, kommen wir an den Pranger, wie die stummen Fussballer der Schweizer Nati›.»
Baumann, seit bald 30 Jahren beim Tagi, sollte recht haben. An den Pranger kam ein anderer.
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