31.08.2018

Schweizer Presserat

Tessiner Zeitung verletzt Kodex mehrfach

Der «Corriere del Ticino» hat sich im grössten Tessiner Politskandal der letzten Jahre stellenweise unprofessionell verhalten. So urteilt der Presserat in einem jetzt veröffentlichten Beschwerdefall.
Schweizer Presserat: Tessiner Zeitung verletzt Kodex mehrfach
2017 wurde bei einer Razzia in den Räumen und Asylzentren der Firma Argo 1 deren Geschäftsführer verhaftet. Das Sicherheitsunternehmen war mit der Organisation und Betreuung von kantonalen Asylzentren beauftragt worden. (Bild: Keystone/Ti-Press/Gabriele Putzu)

Die grösste Tessiner Tageszeitung «Corriere des Ticino» hat im heftigsten kantonalen Politskandal der jüngeren Zeit die Wahrheitspflicht verletzt. Zu diesem Schluss kommt der Presserat – das Ethikorgan der Schweizer Medien – in einem am Freitag veröffentlichten Entscheid.

Daneben gewährte die Zeitung bei ihrer Berichterstattung über das Sicherheitsunternehmen Argo 1 zwei ungerechtfertigt angegriffenen Wachleuten vor der Veröffentlichung kein Gehör. Und nicht zuletzt verletzte das Blatt deren Persönlichkeitsrechte, indem sie Namen, Wohnort, Nationalität und den Umstand veröffentlichte, dass einer von ihnen eine italienische Invalidenrente bezieht.

Angerufen wurde der Presserat von den beiden Ex-Argo-Angestellten, ihrer Gewerkschaft Unia und weiteren Beschwerdeführern. Argo 1 bewachte im Tessin bis 2017 drei Jahre lang Asylbewerberunterkünfte.

Der Auftrag im Umfang von 3,4 Millionen Franken war nicht ausgeschrieben worden und die Privatfirma war für die Aufgabe auch nicht qualifiziert. Stillschweigend verlängerte der zuständige Tessiner Regierungsrat Paolo Beltraminelli (CVP) das Mandat mehrere Jahre lang.

Industriespionage vorgeworfen

Daneben bezahlte die Firma ihre Angestellten nicht korrekt, woraufhin die Gewerkschaft Unia sie anzeigte. Dazu äusserte sich einer der Wachleute in einer Sendung des italienischsprachigen Schweizer Fernsehens.

Der «Corriere del Ticino» warf in der Folge den zwei Wachleuten vor, Unia habe sie gezielt als Spitzel in die Wachfirma eingeschleust. Den Verdacht der Industriespionage, die Namen, Wohnorte, Nationalitäten und die Sache mit der Invalidenversicherung druckte die Zeitung ab, ohne auch nur den Versuch einer Kontaktaufnahme belegen zu können.

Für den Presserat ist das ein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht, wie es in der Stellungnahme heisst. Zudem ist bei derart schweren Anschuldigungen vorgeschrieben, die namentlich Genannten und allgemein die Angeschuldigten anzuhören. Und die Zeitung hatte keinen Grund, den Namen des einen Ex-Argo-Angestellten zu veröffentlichen. Der andere hatte seinen Namen vor den Kameras von RSI bereits genannt.

Heftiger Politskandal

Die Geschichte um die Bewachungsfirma Argo 1 ist lang und schillernd. Neben der Auftragsvergabe ohne Ausschreibung umfasst sie Misshandlungen und eine Terror-Verbindung. Im Februar 2017 geriet die Privatfirma ins Visier der Terror-Ermittler. Einer ihrer Angestellten wurde unterdessen vom Bundesstrafgericht als Al-Kaida- und IS-Anwerber zu einer teilbedingten Gefängnisstrafe verurteilt.

In einem kantonalen Verfahren wurde der Geschäftsführer verhaftet. Die schwersten Vorwürfe gegen ihn lauten auf Freiheitsberaubung und Gewalt gegen Asylbewerber. Der Firma wurde der Bewachungsauftrag entzogen.

Eine Parlamentskommission beurteilte die Vergabepraxis durch das Sozial- und Gesundheitsdepartement von CVP-Regierungsrat Beltraminelli im Mai 2017 als gesetzeswidrig. Ein Verantwortlicher in einer Sektion des kantonalen Asylwesens wurde deshalb intern versetzt.

Der Tessiner Grosse Rat setzte im November eine Parlamentarische Untersuchungskommission ein. Im März 2018 schrieb das Departement den Bewachungsauftrag auf Geheiss des Verwaltungsgerichts neu aus. (sda/cbe)



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