03.04.2023

Presserat

Tiefere Schwelle für Anhörung bei schweren Vorwürfen

Der Presserat verschärft seine Richtlinien. Die Schwelle für die Pflicht, die von Vorwürfen betroffene Gegenseite anzuhören, wird etwas gesenkt. Diese berufsethische Richtlinie ist relativ oft Grundlage von Beschwerden.
Presserat: Tiefere Schwelle für Anhörung bei schweren Vorwürfen
Der Wunsch, die Richtlinie anzupassen, kam aus dem Presserat selbst: Präsidentin Susan Boos. (Bild: Keystone/Gaetan Bally)

Die angepasste Richtlinie soll Ausgewogenheit und Fairness der journalistischen Arbeit garantieren. In der neuen, ab 1. Mai gültigen Version wird die Schwelle, ab der Medienschaffende zur Anhörung von Angegriffenen verpflichtet sind, etwas gesenkt und der Begriff des Vorwurfs ausführlicher definiert.

Das ist einem Dokument des Presserates zur Revision der Richtlinie zu entnehmen, das der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vorliegt. «Es ist eine der wichtigsten Richtlinien, die sehr oft angerufen wird», schrieb Presserats-Präsidentin Susan Boos am Montag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA dazu.

Ausführlichere Formulierung

Wer sich durch einen Medienbeitrag nicht korrekt behandelt fühlt, kann gestützt auf die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» beim Presserat eine Beschwerde einreichen. Die "Erklärung" ist die berufsethische Grundlage für die Medienarbeit in der Schweiz.

Heute ist die fragliche Richtlinie sehr allgemein gehalten; die Definition des «schweren Vorwurfs» leitet sich aus der Spruchpraxis des Presserates ab. Von Vorwürfen Betroffene müssen demnach angehört werden, wenn ihnen «illegales oder vergleichbares Verhalten» vorgeworfen wird.

Ab 1. Mai gilt ein ausführlicher gefasster Text. Vorwürfe gelten neu als «schwer», wenn sie «gravierendes Fehlverhalten beschreiben oder sonstwie geeignet sind, jemandes Ruf schwerwiegend zu schädigen». Die Schwelle für eine Anhörungspflicht liegt etwas tiefer.

Neu wird auch festgehalten, dass Angegriffenen angemessen Zeit gegeben werden muss für die Stellungnahme. Diese muss im Beitrag nicht gleich viel Platz erhalten wie die Kritik, muss aber im gleichen Bericht fair wiedergegeben werden. Wollen Betroffene nicht Stellung beziehen, muss im Beitrag darauf hingewiesen werden.

«Null externen Druck»

Der Wunsch, die Richtlinie anzupassen, kam laut Boos aus dem Presserat selbst. Die bisherige Spruchpraxis sei als starr und nicht immer dem Fairnessprinzip entsprechend empfunden worden. «Es gab null externen Druck.»

Die Richtlinie zur Anhörungspflicht sieht Ausnahmen vor. Demnach können Medienschaffende auf das Einholen einer Stellungnahme verzichten bei Gerichtsurteilen, wenn der Vorwurf und die Stellungnahme der Betroffenen dazu bereits öffentlich bekannt sind oder wenn überwiegendes öffentliches Interesse es rechtfertigt.

Auch Medienschaffende haben sich im vergangenen Jahr mehrere Male gestützt auf die Anhörungs-Richtlinie an den Presserat gewandt, wie Boos ausführt. Sie hätten sich von Berufskolleginnen und -kollegen nicht fair behandelt geführt oder seien nicht angehört worden. Boos hält das Vorgehen für begrüssenswert. Es schärfe die Sensibilisierung bezüglich dem Anhören.

Rund 20 Prozent gutgeheissen

Der Presserat hat in den vergangenen Jahren mehrmals Kritik einstecken müssen. «Die Kritik war aus meiner Warte oftmals nicht klar zu fassen», schreibt Boos. In ihrer Wahrnehmung hätten indes Medienschaffende den Eindruck, der Presserat kapriziere sich darauf, Journalistinnen und Journalisten an den Pranger zu stellen.

Diese Wahrnehmung sei fatal. Als Selbstregulierungsorgan müsse der Presserat ausloten, was qualitativ guter Journalismus dürfe und wo die Grenzen lägen. «Wir rügen nicht nur, wir verteidigen auch kritischen, professionellen Journalismus.» Dass eine Beschwerde eingehe, heisse nicht, dass schlecht gearbeitet worden sei.

2022 gingen beim Presserat über 80 Beschwerden ein. Davon sei nur ein Viertel ganz oder teilweise gutgeheissen worden, führte Boos aus. Die meisten seien abgewiesen oder gar nicht behandelt worden, da unbegründet. Dass nur rund 20 Prozent der Beschwerden zu einer Rüge führten, entspreche dem langjährigen Mittel. (sda/nil)


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