26.01.2025

Slapp-Klagen

Tsüri.ch löscht kritischen Artikel

Das Zürcher Onlinemedium hat einen Artikel nach Androhung rechtlicher Schritte vom Netz genommen. Der Fall zeigt, wie schon die Drohung mit einer sogenannten Slapp-Klage kleine Medienhäuser unter Druck setzen kann: Die möglichen Prozesskosten allein können sie zum Rückzug bewegen – selbst wenn sie von ihrer journalistischen Arbeit überzeugt sind.
Slapp-Klagen: Tsüri.ch löscht kritischen Artikel
Weisse Seite statt Artikel über ein sanierungsbedürftiges Haus: Tsüri.ch löschte einen Text nach Androhung rechtlicher Schritte. (Bild: persoenlich.com/cbe)

Das tägliche «Züri-Briefing» vom Freitag hat aufhorchen lassen. Darin informierte Tsüri.ch seine Leserschaft über die Löschung eines Artikels. Der Grund: Ein darin kritisierter Unternehmer «war mit der Berichterstattung ganz und gar nicht zufrieden». Nach Kontakt mit ihm und seinem Anwalt habe das Onlinemedium den Text von der Website entfernt. Was folgte, illustriert die typische Wirkung einer Slapp-Klage – oder bloss schon die Drohung einer solchen.

In der Tat handelte es sich bei Tsüri.ch nur um die Androhung einer Slapp-Klage («Strategic Lawsuit Against Public Participation», deutsch: strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung). Oft reicht schon die glaubhafte Drohung mit einem kostspieligen Rechtsstreit, um kleine Medien zum Einlenken zu bewegen. Entscheidend ist dabei das Ungleichgewicht der finanziellen Mittel zwischen Kläger und Medium – die eigentlichen Erfolgsaussichten der Klage spielen eine untergeordnete Rolle.

«Ressourcen anderweitig einsetzen»

«Es stand eine Klage und folgender Prozess im Raum», so Co-Geschäftsleiter Elio Donauer von Tsüri.ch auf Anfrage von persoenlich.com. Zwar sei die Redaktion von ihrer «journalistisch sauberen» Arbeit überzeugt, habe sich aber nach intensiver Diskussion dennoch für eine Löschung und damit gegen einen potenziellen Rechtsstreit ausgesprochen. «Es war kein strategisch wichtiger Artikel, und getreu dem Motto ‹Pick your fights› haben wir entschieden, unsere Ressourcen anderweitig einzusetzen. Als kleines Medienhaus können wir uns so etwas schlichtweg nicht leisten», schreibt Donauer.

Der gelöschte Artikel thematisierte den Zustand eines Mehrfamilienhauses in Zürich. Mieter berichteten von Schimmel und mangelndem Unterhalt. Eine Familie schilderte, wie sie jeden Morgen die Fenster mit einem Kärcher reinigen müsse, um die Schimmelbildung einzudämmen.

Tsüri.ch ist bekannt dafür, immer wieder erfolgreiche Crowdfundings durchzuführen. Für den Kulturnewsletter «Tsüritipp» wurde im Herbst 2024 das ursprüngliche Finanzierungsziel von 40'000 Franken in nur gerade fünf Tagen erreicht (persoenlich.com berichtete). Warum also nicht auch diesmal auf die Community setzen, um einen möglichen Rechtsstreit zu finanzieren? «Natürlich wäre ein Crowdfunding eine erfolgversprechende Option», stimmt Donauer zu. «Trotzdem würde ein Prozess wichtige Ressourcen binden.» Bei einem «strategisch wichtigeren Artikel» wäre Tsüri.ch jedoch gewillt, den juristischen Weg zu gehen.

Bedrohlich für kleine Medienhäuser

Eine Studie der ZHAW aus dem Jahr 2024 ergab, dass Slapp-Klagen in der Schweiz zwar selten vorkommen, aber insbesondere für kleine Redaktionen eine erhebliche Belastung durch die drohenden finanziellen Konsequenzen entsteht. Studienautor Vinzenz Wyss kritisierte in der Studie das mangelnde Bewusstsein von Rechtsexperten, dass Slapp-Klagen den Journalismus in seiner Kernfunktion treffen. Anders als in anderen Bereichen behindern solche Klagen oder deren Androhung die zentrale journalistische Aufgabe – durch investigative Recherchen gesellschaftliche Missstände aufzudecken.

Auch 20 Minuten griff die Tsüri.ch-Story über das Zürcher Mehrfamilienhaus auf. «Bislang ist bei uns keine Forderung auf Löschung oder Korrektur des Artikels eingetroffen und der Artikel ist weiterhin online verfügbar», heisst es bei 20 Minuten auf Anfrage. Nau.ch übernahm den Artikel im Rahmen einer Partnerschaft integral, löschte ihn aber im Laufe des Freitagmorgens.


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