27.06.2012

"Weltwoche"

Urs Paul Engelers einsame Röhre

Urs Paul Engeler ist mit Abstand die schärfste Waffe im "Weltwoche"-Arsenal. Seine Artikel brachten Philipp Hildebrand und Bruno Zuppiger zu Fall. Kein Wunder, erklärt Roger Köppel den Journalisten des Jahres 2011 für unersetzbar. Der Bundeshaus-Redaktor will aber abtreten, am liebsten so, als hätte es ihn nie gegeben. Gegenüber persoenlich.com erläutert der 62-Jährige seine eigenwillige Nachfolge-Theorie und was es für ihn bedeutet, dass Kari Kälin, der geplante Nachfolger, Bern nie gesehen hat.
"Weltwoche": Urs Paul Engelers einsame Röhre

Urs Paul Engeler wollte ursprünglich per Ende 2011 sein Ein-Mann-Büro der "Weltwoche"-Bundeshausredaktion räumen und sich selbst in die Frühpension entlassen. Dafür zählte er schon seit Jahren die Tage. Die "Weltwoche" hielt ihren verdienten Journalisten allerdings zurück, gab die Durchhalteparole und Engeler blieb, ohne sich besonders zu sträuben. Selber sagt er, er fühle sich dem Blatt nach wie vor sehr verpflichtet und wolle nicht einfach Reissaus nehmen, bevor seine Nachfolge geregelt sei.

Roger Köppel, Chefredaktor der "Weltwoche", nennt ihn "eine Legende des Journalismus" und äussert sich hochachtungsvoll: "Einen Urs Paul Engeler kann man nicht ersetzen"(persoenlich.com berichtete). Genau dies wünscht sich aber Engeler, der bei sich selbst schon gewisse Ermüdungserscheinungen feststellt. Persoenlich.com hat mit dem Möchtegern-Pensionisten telefoniert. Der folgende Text versucht das Gespräch und Engelers Gedanken zu seiner Nachfolge wiederzugeben.

Theorie der kommunizierenden Röhren

Als die "Weltwoche" Kari Kälin als sein Nachfolger portierte (persoenlich.com berichtete), hatte Engeler eine bestimmte Vorstellung, wie sich die Wachablösung in Bundesbern gestalten sollte. Engeler formuliert hierzu seine Theorie der kommunizierenden Röhren: Nach drei Monaten in der Redaktion in Zürich wäre Kälin zu ihm, Engeler, nach Bern ins Ein-Mann-Büro gekommen und die beiden hätten Seite an Seite, Röhre an Röhre, zusammen gearbeitet. Am Anfang hätte Engeler mehr Aufgaben übernommen, der Nachfolger hätte sich in Bundesbern eingelebt, im Oktober wäre ihr Arbeitsverhältnis schon fifty-fifty gewesen und kurz vor Neujahr hätte Kälin den ganzen Laden zu 100 Prozent übernommen. In dem Masse, in dem Engelers Röhre zurückgefahren wäre, wäre Kälins Röhre gewachsen. Zusammen hätten die Röhren immer hundert Prozent ergeben. Engeler wäre gegangen und in seinen Träumen wäre es so gewesen, "als hätte es mich nie gegeben", so Engeler und so viel zu seiner Theorie der kommunizierenden Röhren.

Das Scheitern der Theorie

Wie wir wissen, kam jedoch alles anders: Kälin verliess die "Weltwoche" in gegenseitigem Einvernehmen nach drei Monaten Probezeit. – In Bundesbern war er gar nicht (persoenlich.com berichtete). Engelers Röhre blieb konstant und bleibt wohl auch noch eine Weile bei 100 Prozent. Die Theorie der kommunizierenden Röhren ist vorerst gescheitert.

An der Suche nach seinem Nachfolger beteiligt sich Engeler nicht. Er harrt in Bern der Dinge, darauf, wen ihm die Zürcher Redaktion als nächstes zur Einarbeitung vorbeischicken will. "Man wird schon wieder ein neues Versuchskaninchen in die Röhre schicken", meint dieser ruhig und fügt hinzu, dass er gleichwohl ein bisschen unzufrieden sei. Engeler wirkt am Telefon etwas melancholisch. Er arbeitet nicht an seinem Denkmal, im Gegenteil, er wünscht sich – wie er sagt – einen "Crack", der ihn "wegputzt".

Das Profil des Nachfolgers

Seinen Nachfolger charakterisiert Engeler so: "Er muss jung, hungrig, neugierig und sehr fleissig sein. Er muss die Politik, die Geschäfte und Personen hier in Bern im Griff haben." Und er fügt mit dreissigjähriger Erfahrung hinzu: "Er wird alleine sein, er wird fast alleine da sein." Es hört sich an, als würde Engeler nicht nur vom Alleinsein, sondern auch von Einsamkeit sprechen. Der neue "Crack" müsse seine eigene Rolle finden, einen eigenen Stil pflegen, eigene Themen bewirtschaften. Der fatalste Fehler, den sein präsumtiver Nachfolger machen könne, wäre ihn zu imitieren, so Engeler. In seinem Sinne geht es um die Neubesetzung eines Postens und nicht um die Ersetzung seiner Person.

Er erinnert sich selbst an seine Anfänge: Er war dafür vorgesehen, den bekannten "Weltwoche"-Journalisten Marcel H. Kaiser zu ersetzen. Engeler sagte sich vom ersten Tag an: "Ich bin nicht der Kaiser!" Er schrieb zwar auch gelegentlich übers Militär, hielt aber im Grossen und Ganzen die Finger vom Spezialthema seines Vorgängers.

Engeler kennt nun beide Situationen, die des jungen Hoffnungsvollen, der ein übergrosses schwarzes Loch stopfen muss und die des alten Hasen, der abtritt oder in seinem Falle wartet, bis er abdanken kann. Unvermittelt setzt er zu einer Laudatio auf seinen Arbeitgeber an: Nirgends bestünden so viele journalistische Freiheiten wie bei der "Weltwoche". Es sei die beste Spielwiese, zumal für einen Jungen: "Es gibt keinen Pflichtstoff, dafür viel Platz, die Möglichkeit der eigenen Themenwahl, die Möglichkeit, sein eigenes Temperament, seine eigene Meinung einzubringen." Und ja, auch giftige Namen und frotzelnde Kommentare dürfe der Neue schreiben, wie Engeler zufrieden anfügt.

Ein Blick in die Zukunft

"Sie ist so düster wie das Wetter", sagt er über seine persönliche Zukunft. Draussen sieht es am 25. Juni tatsächlich nicht freundlich aus: Es ist grau und regnet. Seit 1983 sei er im Bundeshaus. Erschreckt stellt er am Telefon fest, dass er nächstes Jahr sein 30-Jahre-Jubiläum feiern wird. Immerhin habe er sein Fünfundzwanzigjähriges nicht wahrgenommen. Er sei mittlerweile gleichwohl verwöhnt, kleinere und mittelgrosse Geschichten würden ihn nicht mehr interessieren, nur noch das Grosse – und das lässt sich bekanntlich nicht jede Woche verwirklichen. Er hätte auch schon während eines halben Jahres keinen guten Stoff mehr gehabt. Flaute stimme ihn allgemein depressiv. Auch dem altgedienten Routinier würden Geschichten nicht einfach so zufallen. "Ich muss sie mir eher erarbeiten", betont Engeler. Auf den Einwurf, er schreibe jede Woche immer noch grosse Geschichten, meint er: Diese Wahrnehmung beruhe womöglich auf optischen Täuschungen.

Auf die Frage, ob er bald ein Buch schreibe, erkundigt sich Engeler: "Waren Sie schon einmal in einer Buchhandlung? Dann wissen Sie ja, dass diese voll sind von Büchern. Niemand wartet auf eins von mir." Überhaupt wüsste er gar nicht, worüber er schreiben sollte. Engeler scheut das Rampenlicht. Seinen Namen möchte er am liebsten nur als Signatur unter seinen wöchentlichen Artikeln publiziert wissen. Auch diesen Text auf persoenlich.com kann er, wie er sagt, nur "missbilligend zur Kenntnis nehmen".

Text: Benedict Neff

 



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