24.02.2024

Artur Jorge

«Wer einen solchen Job ausübt, darf kritisiert werden»

Diese Woche verstarb der ehemalige Schweizer Fussballtrainer. 1996 führte der Blick gegen ihn eine legendäre Medienkampagne. Der damalige Chefredaktor Sacha Wigdorovits sagt im Interview, was er heute von der Schlagzeile «Jetzt spinnt er» hält.
Artur Jorge: «Wer einen solchen Job ausübt, darf kritisiert werden»
Er würde es heute wieder so machen: Sacha Wigdorovits (Bild: zVg)

Herr Wigdorovits, Sie waren 1996 Chefredaktor vom Blick und haben die Kampagne gegen den damaligen – soeben verstorbenen – Nationaltrainer Artur Jorge gefahren. Haben Sie sich mit Artur Jorge einmal ausgesprochen?
Fairerweise muss ich sagen, dass ich ihn persönlich nie getroffen habe. Als ich jetzt von seinem Tod erfahren habe und von seinem schweren privaten Schicksal mit seiner eigenen Krankheit und zuvor dem Tod seiner Frau und seiner Tochter, war ich sehr berührt.

1996, als Artur Jorge Coach der Schweizer Fussballnationalmannschaft war, hatten Sie mit ihm aber kein Erbarmen. In der Fussballsprache würde man sagen, Ihre Kampagne gegen ihn im Blick war eine Blutgrätsche…
Wir wollten Artur Jorge mit unserer damaligen Berichterstattung nicht fertigmachen. Aber als Cheftrainer der Schweizer Nati hat er nach unserer Meinung einen schlechten Job gemacht und da haben wir ihm die rote Karte gezeigt. Ein Fussballtrainer ist ein hochbezahlter Manager, der in der Öffentlichkeit steht und dessen Handlungen deshalb öffentlich kritisiert werden dürfen. Auch der jetzige Coach Murat Yakin hat sich nach den schwachen letzten Spielen der Nationalmannschaft üble Schlagzeilen gefallen lassen müssen. Wer zartbesaitet ist, gehört nicht in diesen Job.

Ihre Kampagne war doch ein bisschen emotionaler als die kritische Berichterstattung über Murat Yakin. Sie bezeichneten Jorge nur als «Schnauz».
Artur Jorge hatte ja einen markanten Schnauz und fiel damit auch auf. Seine Entscheidung, die beiden Publikumslieblinge Alain Sutter und Adrian Knup, die zwei Jahre vorher an der WM in den USA noch brilliert hatten, nicht für die Europameisterschaft in England aufzubieten, löste bei den Fans in der Schweiz sehr viel Unverständnis aus. Die Stimmung war hochemotional. Auch für uns war es klar, dass dies ein Fehlentscheid war. Und so kommunizierten wir es im Blick auch, wie im Boulevard üblich. Nämlich laut und deutlich.

Aber war die Schlagzeile «Jetzt spinnt er» nicht daneben? Jorge hatte ja kurz vorher einen Hirnschlag.
Dass über diese Schlagzeile heute noch geredet und geschrieben wird, das zeigt doch, dass sie gut war – oder können Sie sich noch daran erinnern, wie der Tagesanzeiger oder die NZZ damals titelten?

Diese Schlagzeile sorgte für Stirnrunzeln (Bild: Blick)

Und der Hirnschlag…
Diese Schlagzeile bezog sich überhaupt nicht auf Artur Jorges zuvor erlittenen Schlaganfall. Denn wenn man einen Schlaganfall erleidet, dann spinnt man doch nicht. Die Schlagzeile bezog sich einzig und allein auf seinen Entscheid, Alain Sutter und Adrian Knup nicht aufzubieten. Die Kritik der anderen Medien wegen unserer Schlagzeile war pure Heuchelei. Indem sie uns für diese Schlagzeile geisselten, versuchten sie, selbst noch davon zu profitieren. Die schlechten Resultate an der anschliessenden Europameisterschaft mit einem Unentschieden und zwei Niederlagen gaben uns schliesslich auch recht. Ich wiederhole: Wer einen solchen Job ausübt – egal, ob im Sport, in der Politik oder der Wirtschaft –, darf hinterfragt und kritisiert werden.

Sie waren am 8. Juni 1996 selbst am Eröffnungsspiel im Wembley-Stadion, als die Schweiz gegen Gastgeber England unentschieden spielte. Dachten Sie damals nicht, Sie hätten sich vielleicht geirrt und Jorge ist doch besser, als alle glaubten?
Nein, überhaupt nicht.

Gab es Ringier-intern Kritik an Ihrer Kampagne?
Nein, der Blick war in seiner Berichterstattung völlig frei. Von der Teppichetage gab es keine Reaktionen, zumal uns der Schweizer Fussballverband wenig später insofern recht gab, als er den Vertrag mit Artur Jorge auflöste.

Würden Sie die Kampagne heute noch mal gleich machen?
Eine gute Frage. Rainer Meier und ich haben vor nicht allzu langer Zeit darüber gesprochen und uns diese Frage auch gestellt. Das Ergebnis war: Wenn wir am Drücker wären, würden wir es noch mal gleich machen.


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