Frau Peppel-Schulz, wie weit hat KI bereits den Journalismus verändert?
Künstliche Intelligenz hat den Journalismus bereits tiefgreifend verändert – sie fordert uns täglich heraus, Aufgaben neu zu denken und journalistische Erwartungen zu hinterfragen. Bei Tamedia erleben wir das sehr konkret: KI unterstützt unsere Redaktionen und andere Teams bei repetitiven Tätigkeiten – von der Transkription über Teaser-Vorschläge bis hin zur inhaltlichen Vorstrukturierung für SEO. Gleichzeitig verändern sich die Anforderungen an unsere Mitarbeitenden: Wer mit KI effizient arbeiten möchte, braucht neue Kompetenzen – etwa beim Formulieren präziser Prompts oder bei der kritischen Einordnung der KI-Ergebnisse. Der Journalismus wird dadurch nicht ersetzt, sondern weiterentwickelt. Und es entstehen neue Freiräume für das, was Menschen besonders gut können: hinterfragen, einordnen und kreativ erzählen. Gleichzeitig verändert KI unsere Erwartungen an Inhalte: Nutzer:innen wünschen sich mehr Personalisierung, schnellere Reaktionszeiten und neue Formate. Diese Entwicklungen nehmen wir ernst und gestalten sie aktiv mit.
Wie zeigt sich dies bei den Tamedia-Titeln?
Wir setzen KI gezielt dort ein, wo sie den grössten Mehrwert bringt – zur Steigerung der Effizienz, bei der Recherche/Anreicherung von Inhalten und zur Verbesserung der User Experience. Beispielsweise nutzt unsere Redaktion KI-gestützte SEO-Vorschläge und hat somit erfolgreich die Sichtbarkeit ihrer Inhalte erhöht. Gleichzeitig setzen wir im Kundenservice auf KI, um Leserfragen schneller zu bearbeiten. Und unser hauseigenes AI Lab arbeitet eng mit den Redaktionen, dem Product Team und der Technologie zusammen, um neue Use Cases zu testen – immer mit dem Ziel, journalistische Qualität zu erhalten und gleichzeitig innovative Technologien zu integrieren.
«KI verändert unsere Arbeit – keine Frage»
Werden langfristig Stellen eingespart wegen KI?
KI verändert unsere Arbeit – keine Frage. Aber wir sehen darin vor allem die Chance, journalistische Ressourcen dort einzusetzen, wo sie am meisten Wirkung entfalten: bei Recherchen, investigativen Reportagen oder regionaler Berichterstattung. Unsere Vision ist nicht der Personalabbau, im Gegenteil: Wir investieren in Technologie und Talente, es geht um eine bessere Allokation von Kapazitäten. Natürlich entstehen auch neue Rollen und Jobprofile verändern sich – neue Talente und neue Skills werden aber benötigt. Wir begleiten diesen Wandel aktiv, zum Beispiel mit Weiterbildungsangeboten über die hauseigene Tamedia Academy. So stellen wir sicher, dass unsere Mitarbeitenden nicht nur für neue Aufgaben innerhalb des Unternehmens vorbereitet sind, sondern auch langfristig attraktiv auf dem Arbeitsmarkt bleiben.
Wo sehen Sie im Journalismus die grössten Chancen, aber auch die grössten Gefahren bei der Anwendung der künstlichen Intelligenz?
Die grösste Chance liegt in der Skalierbarkeit journalistischer Qualität: Wenn ein:e Redaktor:in mithilfe von KI schneller publizieren und dabei noch gezielter auf Leser:innen eingehen kann, profitieren alle. Gleichzeitig sehen wir natürlich schon auch potenzielle Risiken – insbesondere beim Thema Vertrauen. Wenn Inhalte nicht mehr klar nachvollziehbar sind oder Quellen fehlen, leidet die Glaubwürdigkeit. Deshalb setzen wir bei Tamedia auf volle Transparenz: Vollständig KI-generierte Inhalte werden klar gekennzeichnet, alle Prozesse sind redaktionell verantwortet. Vollständig KI-generierte journalistische Beiträge veröffentlichen wir nur punktuell und mit strikter Risikoabwägung – wie beispielsweise bei unserem Chatbot zu Streamingangeboten in der Westschweiz. Journalistische Verantwortung bleibt bei uns fest in menschlicher Hand, ohne die redaktionelle Verantwortung abzugeben.
«Vertrauen ist unser wichtigstes Kapital»
Wie gross schätzen Sie die Gefahr ein, dass die Konsumentinnen und Konsumenten ihre News nicht mehr über die traditionellen Portale, sondern über KI beziehen?
Diese Entwicklung beobachten wir mit grosser Aufmerksamkeit – denn sie ist bereits Realität. KI-gestützte Plattformen wie ChatGPT oder Google AI Overviews bieten Nutzer:innen schnelle Antworten – oft auf Basis journalistischer Inhalte, aber ohne unsere Marken genügend klar sichtbar zu machen. Das stellt unser Geschäftsmodell und unsere Reichweite entsprechend vor neue Herausforderungen. Umso wichtiger ist es, diesen proaktiv mit Veränderungen zu begegnen. Zugleich entsteht auch eine grosse Chance: Denn gerade in einer Welt voller generischer Inhalte, Fake News, wird verlässlicher, transparenter Qualitätsjournalismus umso wertvoller. Unsere Leserschaft soll sich darauf verlassen können, dass sie bei uns verifizierte, kuratierte Informationen findet – auch wenn KI im Hintergrund mitwirkt. Vertrauen ist unser wichtigstes Kapital und das verteidigen wir konsequent.
Welches sind für Sie momentan die führenden Tools?
Wir arbeiten mit einem vielfältigen Set an Tools, abgestimmt auf die konkreten Bedürfnisse unserer Redaktionen und Teams. Besonders wichtig ist uns die nahtlose Integration in bestehende Workflows. Dafür setzen wir auf eine eigene Tamedia Toolbox, die verschiedene Large Language Modelle vereint – je nach Use Case flexibel anwendbar. So gewährleisten wir sowohl einen höheren Datenschutzstandard als auch eine optimale Anpassung an unsere Prozesse. Ergänzend nutzen wir spezialisierte Tools wie HappyScribe für Transkriptionen oder Descript im Podcastbereich. Aktuell evaluieren wir zudem Lösungen, die die Sichtbarkeit unserer Inhalte in KI-Chatbots tracken. Unsere Entscheidung für Eigenentwicklung oder Drittanbieter erfolgt stets entlang von Datenschutz, Aufwand und redaktionellem Mehrwert.
Am Dienstag, 8. Juli, veranstaltet das Kaufleuten mit persönlich einen grossen Medienanlass mit Partyausklang, an welchem neben den KI-Expertinnen und Experten Tanja Herrmann und Holger Hagenlocher auch die Verlagschefin Jessica Peppel-Schulz und Ladina Heimgartner teilnehmen. Eintritt: 40 Franken, mit Nachtessen: 80 Franken. Anmeldung hier.