09.09.2004

"Werner De Schepper, was läuft schief?"

Der Blick hat seine Leaderposition an 20 Minuten abgegeben, welches neu die Deutschschweizer Zeitung mit der grössten Reichweite ist. Was bedeutet das für Blick-Chefredaktor Werner De Schepper (Bild)? Was hat es mit seiner kolportierten Nervosität auf sich? Und wie steht er zu seinem suspendierten Chefreporter? "persönlich.com“ hat Fragen gestellt. Das Interview:
"Werner De Schepper, was läuft schief?"

Während der Blick reichweitenmässig stagniert, wird er als vormals "stärkste Zeitung der Schweiz" von 20 Minuten überflügelt. Was läuft falsch?

Es läuft gar nichts falsch. Gerade heute sehe ich im "persönlich rot" die "Miss Boulevard“: Diese Kioskfrau hat ihren Titel erhalten, weil sie in der Schweiz in den letzten Jahren am meisten Boulevardtitel verkauft hat – verkauft, nicht verschenkt! Ein 20 Minuten wird sie hingegen nie verkaufen. Sie sehen: Verkaufszeitungen sind eine andere Kategorie. Ausserdem ist die Entwicklung beim Blick nicht negativ, wir sind die stärkste Tageszeitung. Dass 20 Minuten in den letzten Jahren eine tolle Leistung vollbracht hat, ist natürlich unbestritten, und ich freue mich darüber. Dank 20 Minuten beginnen heute schon Kinder mit dem Zeitungslesen, und das stärkt die ganze Branche. So ist auch der prognostizierte Tod des Blick nicht eingetroffen, vielmehr hat er seit dem Markteintritt des Pendlerblatts nichts verloren!

Es hätte aber auch die Aufgabe des Blick sein können, junge Leser an die Zeitung heranzuführen.

Der Erfolg von 20 Minuten hat mit der neuen Vertriebsform zu tun. Gäbe ich morgen gratis ein Konkurrenz-Produkt zu "persönlich" heraus, wäre ich schnell Marktleader. Zudem spräche plötzlich die ganze Schweiz über Werbung und Medien.

Wenn 20 Minuten tatsächlich als Türöffner funktionierte, hätte die Leserschaft von Blick doch zunehmen müssen.

Die Wemf hat dieses Jahr bekanntlich ihre Berechnungsgrundlage geändert, so dass mir ein Fünfjahresvergleich nicht möglich ist. Aus unserer Marketingabteilung höre ich aber, dass wir bei der jüngeren Leserschaft zugelegt haben. Wir könnten im Endeffekt also tatsächlich profitiert haben.

Trotzdem: Blick war jahrelang auf Platz eins, jetzt ist das nicht mehr so. Tut Ihnen das wirklich nicht weh?

Noch einmal, Gratiszeitungen sind eine andere Kategorie! Schliesslich beziehen Sie die Coopzeitung oder das Migros-Magazin auch nicht in Ihren Vergleich ein. Mit einer Gratis-Distribution kann jeder Auflagenkönig werden. Christoph Blocher hat beispielsweise einmal ein Pamphlet gratis an alle Haushaltungen verteilen lassen. Da war er der Auflagenkönig.

Das Ganze lässt Sie also kalt. Trotzdem ist aus der Redaktion zu vernehmen, Sie übten in letzter Zeit stärkeren Druck aus und forderten mehr Primeurs. Warum diese Nervosität?

Ich hoffe doch, man spüre, dass ich Nerven habe. Ich lebe eben mit allen Fasern, bin mal aufgeregter und mal ruhiger. Jetzt bin ich halt besonders nervös, weil sich bei uns so viel tut.

Themawechsel: Ihr Chefreporter ist kein Anfänger. Wie konnte ihm der Fehler unterlaufen, erfundene Zitate zu publizieren, noch dazu ohne Rücksprache mit den Betroffenen?

Ich kann nicht für meinen Mitarbeiter reden und will es auch nicht. Wir haben bereits Stellung genommen und uns entschuldigt. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Würden Sie sagen, das Vorgehen im Fall Blatter sei beim Blick ein absoluter Einzelfall und so noch nie vorgekommen?

Im Gegenteil (lacht): Wir schreiben irgendetwas und sind dann selber jedes Mal erstaunt, wenn zufällig etwas stimmt. -- Im Ernst: Beim Blick wird jedes Zitat aufs Genauste angeschaut. Denn wenn wir nur den kleinsten Fehler machen, kommen gleich die vielen wachsamen Leser in den anderen Redaktionen, die uns gnadenlos den Spiegel vorhalten. Und das ist auch gut.

Stimmt es, dass Sie mit Ihrem Chefreporter nicht besonders gut auskommen?

Über mein Verhältnis zu den Mitarbeitern rede ich nicht in der Öffentlichkeit.

Und was geschieht nun mit diesem "auf unbestimmte Zeit freigestellten" Mitarbeiter? Bekanntlich schreibt ja einer Ihrer Musikkritiker trotz Verfehlungen weiterhin für den Blick. Ist das auch für den Chefreporter denkbar?

Denkbar ist vieles im Leben. Sie können denken, und ich kann denken.

Herr De Schepper, danke für das Gespräch, das wir hier wohl besser beenden.


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