von Edith Hollenstein
Nicole Vögele, Anielle Peterhans und Fiona Endres, wie kamen Sie zum Minerva-Papier?
Das Dossier wurde dem deutschen Journalisten Peter F. Müller zugespielt, der für das ZDF an mehreren Geheimdienst-Dokumentationen arbeitet. Das ZDF hat die Washington Post und die Rundschau ins Boot geholt, weil sowohl die Schweiz wie auch die USA eine wichtige Rolle in dieser Geschichte spielen.
Warum ist das Papier in Deutsch verfasst?
Das 96-seitige Dokument ist in englischer Sprache verfasst. Wir haben es für unseren Film grafisch umgesetzt und einzelnen Textstellen übersetzt. Mit den Dokumenten des Bundesnachrichtendienstes BND zusammen umfasst das Papier 280 Seiten.
Wer ist der Verfasser des Minerva-Papiers? Die CIA?
Das Papier stammt vom historischen Dienst der CIA. Wir haben dieses auf Echtheit überprüft.
Wissen Sie, wer das Papier dem Journalisten Peter F. Müller zugespielt hat?
Darüber können wir nur spekulieren. In vielen Gesprächen mit Agenten, die direkt an der Operation beteiligt waren, zeigte sich immer wieder ein gewisser Stolz, an dieser vielleicht grössten Geheimdienst-Operation aller Zeiten beteiligt gewesen zu sein: «Zur Abwechslung einmal nicht, wie sonst üblich, von Fehlern und dem Versagen der Dienste berichten, sondern von einem veritablen Coup.»
Ihre Recherche bringt die Schweiz in Bedrängnis. Es droht ein Imageschaden, der wirtschaftliche Auswirkungen haben kann. Was hat Sie motiviert, diese Informationen trotzdem zu veröffentlichen?
Neutralität ist ein fragiles Gut. Dass die Schweiz jahrzehntelang diese Operation geduldet hat, war eine neutralitätspolitisch heikle Entscheidung. Wer auch immer diese getroffen hat, steht in der Verantwortung. Wenn wir ein solches Dossier auf den Tisch kriegen, ist es unsere Rolle, die Öffentlichkeit zu informieren. So verstehen wir Demokratie.
«Wenn wir ein solches Dossier auf den Tisch kriegen, ist es unsere Rolle, die Öffentlichkeit zu informieren»
Bei Crypto-Leaks handelt sich um eine Recherche von SRF, ZDF und der Washington Post. Doch bereits am Mittwochmorgen war Crypto-Leaks bereits die grosse Aufmacher-Story bei den Tamedia-Zeitungen – mit Bericht, Interviews, Serie und Kommentar auf mehreren Seiten. Wie kommt das zu Stande?
Res Strehle vom Tages-Anzeiger hatte in den 1990er Jahren ein wichtiges Buch zum Fall Bühler sprich Crypto veröffentlicht. Wir standen seit Längerem mit ihm in Kontakt und haben uns ausgetauscht.
Was für eine Rolle hatte die SRF-Rundschau in der ganzen Recherche?
Wir haben den ganzen Schweizer Aspekt recherchiert – insbesondere auch die Akten zum Fall im Bundesarchiv gesichtet, ausser dem zentralen Dossier, das spurlos verschwunden ist.
Wie lange hatten Sie am Fall gearbeitet?
Wir haben rund sechs Monate mit drei Personen an diesem Fall gearbeitet, 5000 Archiv-Seiten gelesen, 300 Stunden Gespräche geführt. Nach der Recherche ist jedoch erst die Hälfte gemacht, dann kommt das Drehen und Schneiden des grossen Dok-Films und der zwei kürzeren Beiträge. Schliesslich galt es, eine grosse 100-Minuten-Kiste zu zimmern inklusive Gespräche an der Theke. Zum Glück haben wir mit Dominik Meier den besten Mann für diesen Job. Uns ist auch wichtig zu sagen: Sechs Monate an einem Rundschau-Projekt arbeiten zu dürfen, ist ein einmaliges Privileg. Wir konnten während der ganzen Zeit auf das Verständnis und die moralische Unterstützung der gesamten Redaktion und unseres Redaktionsleiters Mario Poletti zählen. Das war sehr wichtig, um dieses Projekt sicher in den Hafen zu steuern.
«Wir haben vertrauliche Informationen nur verschlüsselt ausgetauscht»
Wie mit welchen Tools und mit welchen anderen Journalisten haben Sie zusammengearbeitet bei dieser Recherche?
Wir haben mit den Kollegen von ZDF und Washington Post eng zusammengearbeitet. Sonst war es aber wichtig, den Kreis möglichst eng zu behalten – um die Recherche nicht zu gefährden. Wir haben für diese Geschichte vertrauliche Informationen nur verschlüsselt ausgetauscht und unsere Dokumente sowie das Rohmaterial unserer Interviews an einem sicheren Ort aufbewahrt.
Welches ist das wichtigste Recherche-Ergebnis, das die Rundschau zum Gesamt-Puzzle beigetragen hat?
Als Schweizerinnen hatten wir natürlich einfacher Zugang zu den ehemaligen Mitarbeitern der Firma sowie zu Kontakten bei den Schweizer Behörden. Da diese Geschichte in der Schweiz spielt, konnten wir hier am meisten beitragen.
Vieles über die Rolle der Zuger Crypto AG ist seit Jahren bereits bekannt und war auch medial ein Thema. Inwiefern war das unterschiedliche Vorwissen in den Ländern der beteiligten Redaktionen ein Problem bei der Recherche?
Vieles wurde ja schon in Büchern und Artikel angedeutet, doch bis zu diesem Geheimdienst-Dossier fehlte der knallharte Beweis. Dass seit vielen Jahren Gerüchte über diese Firma im Umlauf waren, hat für diese Recherche aber sogar geholfen. So konnten wir ohne grosses Aufsehen über dieses Thema recherchieren und erst alles offenlegen, als es vom Recherchezeitpunkt her Sinn machte.
«Bei Diplomaten, Politikern und Beamten waren viele Fragen zu diesem Thema offen»
Dominik Meier hat in 10vor10 gesagt, dass im Hinblick auf die Veröffentlichung grosse Nervosität herrscht in der Schweizer Politik. Wie konkret haben Sie das gespürt?
Wir haben uns so lange und intensiv mit diesem Thema beschäftigt und dazu viele, viele Leute getroffen und gute Hintergrundkontakte knüpfen können. So haben wir immer auch erfahren, was auf der Ebene Bund wegen unserer Recherche los war. Wir haben in den letzten Wochen gemerkt, dass bei Diplomaten, Politikern und Beamten viele Fragen zu diesem Thema offen sind und teilweise auch eine gewisse Frustration zu spüren war.
Nun fordern Kommentatoren und Politiker eine PUK für die Aufklärung der Hintergründe. Ist das Ihrer Meinung tatsächlich notwendig? Oder überstürzt?
Unsere Rolle als Recherchejournalistinnen war es, diese Informationen zu verifizieren, in den Kontext zu stellen und publik zu machen. Wir geben der Politik so die Informationen, die sie benötigt, um über allfällige Massnahmen zu entscheiden. Das ist Aufgabe unserer Politiker.
Wie geht es nun weiter?
Diese Geschichte ist noch lange nicht zu Ende. Wir werden sicher dran bleiben – und werden sicher als erstes einmal alle Rückmeldungen und Hinweise auswerten, die wir auf Grund der Sendung gestern erhalten haben.
Und wie wird verhindert, dass nun nicht gleich viele andere Journalisten exakt am gleichen Ort weiterrecherchieren?
Uns freut es sehr, dass nun so viele engagierte Journalistinnen und Journalisten in der Schweiz weiterrecherchieren. Wir Recherchejournalisten sollten hier alle am gleichen Strick ziehen. Jahrzehntelang wurde diese Angelegenheit von offizieller Seite verschwiegen und verschleiert. Wichtige Dossiers werden unter Verschluss gehalten oder sind verloren gegangen. Es gibt noch sehr, sehr viele offene Fragen, die sich alle darum drehen: Wer hat wann was genau gewusst und was entschieden? Die Antworten auf diese offenen Fragen sind für die Schweiz und unsere Neutralitätspolitik sehr bedeutend, darum geht es uns.
Fiona Endres, Nicole Vögele und Anielle Peterhans haben die Fragen gemeinsam schriftlich beantwortet.
Kommentare
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Toni Bucher, 17.02.2020 00:58 Uhr
Genauso: Diese Recherche bringt die Schweiz hoffentlich weiter. Denn Neutralität und Demokratie sind fragile Errungenschaften! ➡️ NB: Auch PERMANENT RECORD von Edward Snowden kann weiterhelfen! -
Jules Haller, 14.02.2020 14:58 Uhr
..mit dem rechnen musste... Viva la Libertà -
Jules Haller, 14.02.2020 14:42 Uhr
Nochmals 1989 ? Dass dieses nochmal möglich wäre, hätte ich nicht vorhergesehen - auch wenn ich als von a. Bundesrichter Häfliger schon bestehendem Schon-Geschädigter ! -
Rudolf Penzinger, 14.02.2020 09:57 Uhr
Das war eine der besten Recherchearbeiten, die das Schweizer Fernsehen je anstellte. Und dazu spannend präsentiert. Kompliment; weiter so! -
Victor Brunner, 14.02.2020 07:35 Uhr
Die 4. Gewalt muss am Ball bleiben, nur diese kann wirklich Aufklärung bringen. Auf politischer Ebene, Parlament und Oberholzer, wird einiges rauskommen.Brisantes wird aber in den entsprechenden Berichten geschwärzt, oder gar nichts publiziert. Zudem dürfte die Vermutung nicht abwegig sein dass die Berichte vor Publikation der amerikanischen Botschaft für die Schlussredaktion zugestellt werden!