18.09.2024

Tamedia

«Wir haben einen klaren Plan, den wir verfolgen»

Er ist der Architekt der neuen Tamedia-Strategie. Simon Bärtschi, Leiter Publizistik, erklärt im Gespräch mit persoenlich.com, wie weniger Inhalte auf weniger Kanälen zum Erfolg führen sollen.
Tamedia: «Wir haben einen klaren Plan, den wir verfolgen»
Simon Bärtschi, in einer Aufnahme als Chefredaktor der Berner Zeitung 2022. (Bild: Keystone/Alessandro della Valle)

Simon Bärtschi, nun ist klar, wo genau Tamedia zusammenlegt und spart. Die überraschendste Massnahme betrifft die SonntagsZeitung. Die behält nur noch den Titel. Die Redaktion wird komplett in jene des Tages-Anzeigers integriert. Was bringt das?
Heute ist die SonntagsZeitungs-Crew dediziert für die Zeitung am Sonntag zuständig. Wir setzen künftig auf mehr publizistische Kraft, auch während der Woche und nicht nur am Wochenende. Als ehemaliger SonntagsZeitungs-Redaktor weiss ich: Das ist eine klare Abkehr vom bisherigen Modell. Die besten Ideen und Beiträge sollen dann durchkommen, wenn sie Sinn machen und nicht erst dann, wenn die Publikation erscheint. Wir wollen grosse Recherchen auch zielgerichteter für die digitalen Kanäle nutzen können. Die Themen sollen über sieben Tage hinweg nach digitaler Logik ausgespielt werden. Das gibt uns auch die Möglichkeit, nahtlose Abläufe auf der Redaktion zu schaffen. Das Modell wird übrigens von Le Matin Dimanche in der Romandie erfolgreich praktiziert.

Die SonntagsZeitung wird heute als eigenständige publizistische Stimme wahrgenommen, insbesondere wegen einer Reihe von Autorinnen und Autoren, die dem Blatt den Stempel aufdrücken. Wird dieses Profil nun verwässert?
Das Ziel ist, dass wir den Charakter der SonntagsZeitung beibehalten.

Behält die SonntagsZeitung mit der Integration in den Tages-Anzeiger eine eigene Chefredaktion? Was ist deren Aufgabe?
Arthur Rutishauser ist der beste Wirtschaftsjournalist im ganzen Land. Er bleibt Chefredaktor und Kopf der SonntagsZeitung und wichtiger Inputgeber für die ganze Redaktion.

Vor allem Stadtzürcherinnen und Zürcher werden die Einstellung des Ausgeh- und Stadtmagazins Züritipp als Verlust empfinden. Was gewinnt Tamedia damit?
Ich kann diesen Verlust nachvollziehen. Wir reagieren mit diesem Schritt nach einer gründlichen Analyse aller Publikationen auf die Entwicklungen im Leser- wie im Werbemarkt. Der Züritipp hat seit Jahren an Bedeutung als Werbeträger verloren und als Printbeilage kein Potenzial zum Wachsen. Das ist nun mal die traurige Realität.

Sie begründen die Einstellung des gedruckten Züritipp mit den rückläufigen Werbeeinnahmen. Gibt es noch weitere Gründe für diesen doch drastischen Schritt?
Diese Entscheidung ist Teil der neuen Strategie. Sie lautet: Fokussierung der Kräfte auf vier grosse Titel in Zürich, Basel, Bern und in der Romandie, um digital zu wachsen.

Wird die Marke Züritipp wenigstens online weitergeführt?
Ich sehe Potenzial für diese Inhalte. Bisherige Züritipp-Inhalte werden digital und ohne Printabhängigkeit neu konzipiert und auf den Tagi-Kanälen publiziert. Wir arbeiten derzeit daran, wie die digitale Integration genau erfolgen wird.

Wie viele Stellen baut Tamedia ab mit der Integration der SonntagsZeitung in den Tages-Anzeiger und der Einstellung des Züritipp?
Das ist noch nicht klar. Ich bitte um Verständnis, dass ich aufgrund des angelaufenen Konsultationsverfahrens hier nicht konkreter werde. Wir haben im Prozess den angekündigten Abbau von 90 Vollzeitstellen durch interne Wechsel oder die Nichtbesetzung von Vakanzen auf rund 55 Vollzeitstellen reduzieren können. Davon sind voraussichtlich 30 Vollzeitstellen in der Deutschschweiz sowie 25 Vollzeitstellen in der Westschweiz betroffen.

«Wir brauchen eine Neuaufstellung und müssen vieles grundlegend neu denken»

Einen grösseren Schnitt gibt es auch in den Regionen. Die Chefredaktoren der fünf kleineren Regionalzeitungen in den Kantonen Zürich und Bern verlieren alle ihre Posten. Warum meint Tamedia, auf diese bisher wichtigen Figuren verzichten zu können?
Mit den Kollegen sind wir im Austausch. Die Veränderung hat mit dem neuen Modell zu tun. Es geht darum, dass wir mit vier starken Redaktionen unter einer Chefredaktion die Grossräume publizistisch optimal bedienen wollen und es die Funktion der lokalen Chefredaktionen künftig nicht mehr gibt. Bisher eigenständige Redaktionen werden zu Ressorts. Entsprechend wird die Organisation nun aufgestellt. Natürlich bleiben wir beispielsweise in Winterthur und Wädenswil vor Ort und damit auch lokal präsent. Das ist und bleibt auch weiterhin eine ganz wichtige Aufgabe im Journalismus.

Weshalb werden die bisherigen Chefredaktoren nicht einfach die Ressortleiter dieser Regionen, wo ihr ja weiterhin publizistisch präsent sein wollt?
Wir brauchen eine Neuaufstellung und müssen vieles grundlegend neu denken. Mit der neuen Organisation sind wir überzeugt, uns für die Herausforderungen der Zukunft gut aufzustellen.

In der Romandie entsteht eine Einheitsredaktion für Tribune de Genève, 24 heures und Le Matin Dimanche. Wie wollen Sie damit die sehr unterschiedlichen Befindlichkeiten in diesem grossen und vielfältigen Landesteil angemessen berücksichtigen?
Einheitsredaktion tönt nach Einheitsbrei, das ist überhaupt nicht das Ziel. Der Journalismus in der Romandie ist ein wichtiger Bestandteil unserer Strategie. Mit der neuen Aufstellung wollen wir die weniger zur Verfügung stehenden Ressourcen zielgerichteter in allen Teilen der Romandie einsetzen. Es ist uns wichtig, auch weiterhin mit der Tribune de Genève, 24 heures und Le Matin Dimanche die kulturelle Vielfalt mit unseren Kolleginnen und Kollegen in der Romandie zu bedienen. Die Tribune de Genève wird weiterhin einen eigenen Chefredaktor haben und sowohl digital wie im Print mit einer eigenen Marke agieren.

Den aktuellen Spar- und Umbaumassnahmen fallen insgesamt 55 Vollzeitstellen zum Opfer, 30 in der Deutschschweiz, 25 in der Romandie. Können Sie das noch etwas genauer aufschlüsseln, wo wie viele Stellen abgebaut werden?
Wie vorher schon erwähnt, kann ich hier aufgrund des Konsultationsverfahrens nicht konkreter werden.

«Wir wollen keine Sparmassnahmen nach dem Rasenmäherprinzip»

Wir bemesst ihr, wo ihr wie viele Stellen abbaut?
Die geplanten Personalmassnahmen in den Redaktionen sollten in einem gesunden Verhältnis zur Wirtschaftlichkeit und dem Potenzial in Lesemarkt und Werbemarkt stehen. Nur das ist fair. Hierzu haben wir zuvor vertiefte Analysen gemacht. Wir wollen keine Sparmassnahmen nach dem Rasenmäherprinzip.

Kann es sein, dass am Ende weniger als die nun kommunizierten 55 Vollzeitstellen über Entlassungen abgebaut werden müssen?
Das wird das laufende Konsultationsverfahren zeigen.

Sie bauen nicht nur ab, sondern auch auf. Mit dem Digital Desk und dem Print Desk schaffen Sie zwei neue organisatorische Einheiten. Sie sollen «die Verbreitung der Inhalte verantworten». Was heisst das genau?
Der neue Digital Desk ist für alle digitalen Produkte verantwortlich. Er sorgt dafür, dass Inhalte zum besten Zeitpunkt auf den erfolgversprechendsten Plattformen und Kanälen publiziert werden. Der Desk macht künftig unsere «Choreografie» und Priorisierung aller Inhalte. Mit dem Digital Desk wollen wir das Know-how der Inhalteverbreitung besser nutzen. Heute gibt es die Desks der einzelnen Redaktionen, die ihre Inhalte je Titel ausspielen. Künftig soll das wie schon erwähnt zielgerichteter passieren. Gute Geschichten sollen dort ausgespielt werden, wo sie ihr Publikum finden. Wir müssen die Möglichkeiten im Digitalen nutzen, deshalb ist der Digital Desk künftig im Fokus unseres Handelns.

Wieso bleiben eigentlich die Redaktionen von Schweizer Familie, Finanz und Wirtschaft sowie Bilan unverändert?
Die Redaktionen von Schweizer Familie, Finanz und Wirtschaft und Bilan sind gut aufgestellt. Aber natürlich werden wir beispielsweise Inhalte der Schweizer Familie auch für die digitale Verwendung auf den künftigen Kanälen nutzen. Das passiert heute schon in Teilen, aber eben nicht zielgerichtet.

«Wir haben uns intensiv mit einem zukunftsfähigen Zielbild auseinandergesetzt»

Vor allem in der Romandie, aber auch in der Deutschschweiz hat Tamedia in Gesellschaft und Politik mit der Ausdünnung des Angebots in den letzten rund 15 Jahren viel Kredit verspielt. Wie wollen Sie den zurückgewinnen?
Jede Sparrunde ist schmerzhaft. Das Gleiche machen und dafür weniger Mitarbeitende einsetzen, das hat die Redaktionen zermürbt. Deshalb versuchen wir jetzt, einen anderen Weg zu gehen. Wir haben uns intensiv mit einem zukunftsfähigen Zielbild für unseren Journalismus auseinandergesetzt und einer daraus abgeleiteten Organisation, die wir derzeit in den Crews in der Romandie und der Deutschschweiz kommunizieren. Diese Transformation ist umfangreich, wir müssen sie durch fortwährende Kommunikation begleiten. Es ist wichtig, dass wir die Ideen mit allen Kolleginnen und Kollegen teilen und kritisch diskutieren, um den Blick auch wieder nach vorne zu richten.

Trotzdem liegt der Fokus auch diesmal vor allem auf dem Abbau. Warum haben Sie es bisher nicht besser geschafft zu vermitteln, worum es Ihnen geht?
Dass ein Personalabbau alles überschattet, ist nachvollziehbar. Wir sind in alle Redaktionen gegangen, an jeden Standort unseres Unternehmens und haben uns dort persönlich ausgetauscht. Das ist ein schmerzhafter Prozess, wir versuchen diesen mit grösster Sorgfalt, mit Unterstützung der betroffenen Mitarbeitenden so gut wie möglich zu gestalten. Es macht niemandem Freude, diesen Weg gehen zu müssen.

Sie sprechen viel von Strategie. Was ist aber das Ziel, wo wollen Sie eigentlich hin mit Tamedia?
Wir glauben an den Qualitätsjournalismus, wir glauben an ein wirtschaftlich nachhaltiges Modell, um in Zukunft guten Journalismus auf unabhängige Art und Weise machen zu können. Das ist unser Ziel. Mit der heutigen Aufstellung funktioniert das leider nicht mehr.

Im Ergebnis heisst das: weniger Inhalte auf weniger Kanälen.
Ja. Es kann nicht darum gehen, mit weniger mehr zu machen, sondern es geht um Qualität. Das allein muss unser Richtwert sein.

«Das unterscheidet uns von anderen Medienhäusern»

Was gefällt Ihnen am aktuellen Job?
Ich war mir bewusst, dass es eine grosse Herausforderung wird. Es ist mir als langjähriger Journalist ein grosses Anliegen, entscheidend mitzuwirken, dass wir mit Tamedia auch künftig guten Journalismus machen. Das treibt mich an. Zudem finde ich es spannend, die Publizistik bei Tamedia übergreifend mit unserer kulturellen Vielfalt in der Romandie und der Deutschschweiz zu unterstützen. Das unterscheidet uns von anderen Medienhäusern.

Nachdem die letzte Sparrunde bei Tamedia erst ein Jahr her ist, ist das Personal ernüchtert ob des erneuten Abbaus. Wie nehmen Sie die Leute mit? Welche positiven Botschaften können Sie vermitteln?
Ich versuche transparent und direkt mit den Leuten zu sprechen und ihnen die neue Strategie zu erklären: Ab heute bis Ende 2026 wollen wir ein Fundament für unsere Zukunft legen. Das ist der erste Horizont. Diesen brauchen wir, um darauf aufbauen zu können und im Kerngeschäft wieder zu wachsen. Ab 2026 wollen wir neue Geschäftsfelder angehen. Es ist ganz entscheidend, die Kolleginnen und Kollegen dabei einzubinden. Wir können es ja nur gemeinsam schaffen. Und das ist aktuell sicherlich die wichtigste Aufgabe: miteinander zu sprechen und uns auszutauschen. Auch auf Ängste und Sorgen einzugehen.

Die aktuellen Massnahmen sind auch deshalb erforderlich, weil sich – wie Sie auch schon sagten – «der Journalismus aus dem Journalismus finanzieren muss». Gleichzeitig gehört Tamedia einem Unternehmen mit sehr lukrativen Geschäftsbereichen. Wünschen Sie sich manchmal finanziellen Support von der TX Group für diese anspruchsvolle Übergangsphase, in der sich die Tamedia-Titel befinden?
Tamedia muss sich unabhängig von der Gruppe wirtschaftlich nachhaltig für die Zukunft aufstellen. Und es ist ja nicht so, als würden wir nicht unterstützt werden. Wir wollen eigenständig und unabhängig auf unseren Beinen stehen können. Das ist der Anspruch.

«Wir haben die Talente, wir haben starke Medienmarken»

Tamedia hat insbesondere in der Romandie in den letzten Jahren grosse Verluste geschrieben. Wie wollt ihr da aus eigenen Kräften auf einen grünen Zweig kommen?
Indem wir Komplexität reduzieren, Kosten senken, die Kräfte der Redaktionen unter einem Dach bündeln, einen gemeinsamen Desk aufbauen und Recherchen zielgerichteter ausspielen. Wir haben die Talente dafür, wir haben starke Medienmarken. Jetzt müssen wir es umsetzen.

Und wenn sich diese Annahmen als nicht zutreffend erweisen, folgt dann schon bald der nächste Abbau?
Wir glauben fest daran, dass die Strategie, mit der wir uns wirklich radikal und von Grund auf neu aufstellen, funktionieren wird. Sie basiert auf einer langen und gründlichen Analyse.

Kann man in der aktuellen Strategie schon den Kern eines nächsten möglichen Um- und Abbaus erkennen, für den Fall, dass die Rechnung nicht aufgeht? Zum Beispiel der Tages-Anzeiger als einzige Deutschschweizer Marke?
Wir setzen auf unsere Strategie. Diese beinhaltet, dass wir mit unseren vier Medienmarken die Grossräume bespielen werden.

Aber es ist der naheliegendste nächste Schritt?
Wir haben einen klaren Plan, den wir verfolgen.

Was hält Sie weiterhin im Mediengeschäft?
Meine Neugier. Es wird nie langweilig. Ich mache ein Beispiel: Zu sehen, dass es uns immer wieder gelingt, neue Talente in die Redaktionen zu holen und aufzubauen, ist doch toll und macht Mut! Tamedia steht nach wie vor für Qualitätsjournalismus, auch in schwierigeren Zeiten. Das ist unser Erbe, das ist unsere Zukunft. Zudem ist der Journalismus weiterhin ein sehr engagiertes und kreatives Feld. Das finde ich nach den vielen Jahren immer noch sehr spannend.


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KOMMENTARE

Sebastian Renold
18.09.2024 14:17 Uhr
Was ist der Unterschied zwischen einem Redaktionsmanager und einem Journalisten? - Simon Bärtschi verkörpert ihn (den Unterschied)!
Victor Brunner
18.09.2024 13:54 Uhr
Für einmal erzählt Bärtschi wahres. Der klare Plan, Abbau im Journalismus, in der Publizistik, eindampfen der Medienvielfalt. Mit anderen Worten, wie verabschieden uns von Vielfalt, wirklichen Diskurs, von der Pluralität des Landes.
Erich Heini
18.09.2024 08:42 Uhr
Simon Bärtschi wehrt sich tapfer. Aber er drescht viel leeres Stroh und tut so, als könne er Flusswasser aufwärts fliessen lassen. Er spricht ständig von ‘Qualität’ und wird nicht hartnäckig danach gefragt, wie er denn diese inhaltlich definiert. Bärtschi wird nicht mit dem längst durchgeführten Abbau im Feuilleton und in der Wirtschaft konfrontiert. Auch nicht mit der weitestgehend nach München ausgelagerten Auslandberichterstattung. Hn P.S. (1) Der Verleger selbst ist offenbar abgetaucht. (2) Arthur Rutishauser ist nicht der beste Wirtschaftsjournalist der Schweiz. Er ist jener, der ihm Zugetragenes sorgfältig analysiert und unerschrocken publiziert. Dabei übertrifft ihn Lukas Hässig noch. Bei der selbständigen Analyse makro- und mikroökonomischer Probleme übertreffen mehrere NZZ-Wirtschaftsjournalisten Arthur Rutishauser deutlich.

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