08.08.2006

"Wir scheinen in ein Wespennest gestochen zu haben."

Die meisten Tötungsdelikte in unserem Land geschehen innerhalb der Familie und bei zwei von drei dieser Bluttaten sind Gewehre oder Pistolen die Tatwaffen. Aus diesem Grund hat die Frauenzeitschrift annabelle eine Petition gegen Armeewaffen in Privathaushalten und für ein nationales Waffenregister lanciert. Reaktionen zeigen, dass bei einigen Leuten ein empfindlicher Nerv getroffen wurde, wie annabelle-Chefredaktorin Lisa Feldmann im Gespräch mit "persoenlich.com" erklärt. Das Interview:

Was hat die annabelle dazu bewogen, die Petition "Keine Schusswaffen zu Hause" zu starten?

Als sich die Meldungen über Familien, die von Vätern bedroht oder gar getötet wurden, häuften, haben wir begonnen, uns mit dem Thema "Frauen als Opfer" zu befassen. Bei den Recherchen kam heraus, dass die Delikte stark im Zusammenhang mit den Waffen stehen, die zu Hause aufbewahrt werden -- Militär- oder privat erworbene Waffen. Daraus hat sich langsam die Idee für eine Petition entwickelt. Wir wollten rechtzeitig auf die Diskussion zum Waffengesetz in der Herbstsession des Nationalrats für die Problematik eine Öffentlichkeit schaffen und klarstellen, dass Schusswaffen zu Hause nichts zu suchen haben.

Mussten Sie bei Tamedia und Verleger Hans Heinrich Coninx um Erlaubnis für diese Petition nachfragen?

Nein, wir mussten niemanden um Erlaubnis bitten. Die annabelle hat in den beinahe 70 Jahren ihres Bestehens traditionell immer wieder den Mund aufgemacht, wenn es etwas zu sagen gab und sich immer als Sprachrohr der Schweizer Frauen verstanden. Seit ich bei der annabelle bin, haben wir uns bereits in zwei Fällen in die Politik eingemischt. Als es um die gesetzliche Regelung des Mutterschaftsurlaubs ging, starteten wir eine Posteraktion. Für die Brustkrebsprävention habe wir ebenfalls eine Petition lanciert.

Gab es schon Reaktionen auf die Petition?

Wir scheinen in ein Wespennest gestochen zu haben. Das Sekretariat musste Beschimpfungen entgegen nehmen, die Autorin des Artikels zur Petition in der aktuellen annabelle erhielt böse Mails. Ich selber erhielt Drohbriefe, die mich aufforderten das Land zu verlassen, ich solle als Deutsche wieder dorthin gehen, wo ich hergekommen sei. Wir haben offensichtlich bei einigen Leuten einen empfindlichen Nerv getroffen. Den negativen Reaktionen steht aber gegenüber, dass noch bevor das Heft am Kiosk angekommen ist, bereits über 200 Unterschriften auf unserer Internetseite eingegangen sind.

Gehört es zu den Aufgaben einer Frauenzeitschrift aktiv Politik zu betreiben?

Ich komme aus einer Generation, die für Anliegen, die politisch waren, aber vor allem uns Frauen betrafen, auf die Strasse ging. Und die Schusswaffenproblematik geht uns Frauen etwas an. Ich habe darum überhaupt keine Berührungsängste mit politischen Themen. Diese gehören ebenso in die annabelle wie Mode oder Gourmet-Geschichten.

Sie haben die Form einer Petition gewählt. Haben Sie auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, eine Volksinitiative zu starten, um Ihr Anliegen direkt vor das Volk zu bringen?

In der Schweiz hat man mit einer Petition eine ganz tolle Möglichkeit, selber den Mund aufzumachen, quasi in Form einer schriftlichen Demonstration. Man kann die Parlamentarier direkt zur Diskussion eines Themas anregen. In Deutschland kennt man das nicht, da muss man sich darauf verlassen, dass die gewählten Vertreter ein Thema anstossen und zur Diskussion bringen. Eine Volksinitiative war nie ein Thema.

Sie werben mit zwei Printsujets für die Petition. Auf einem zielt ein Kind mit der Pistole auf die Mutter. Kinder sind aber bei Tötungsfällen in der Familie kaum die Täter. Was soll das Sujet aussagen?

Das Sujet mit dem Kind wird nicht verteilt und ist nicht im Umlauf. Es handelt sich dabei um eine Variante, die zeigen soll, dass eine Waffe im Haushalt schnell in falsche Hände geraten kann. Auf dem Hauptsujet, das wir für Aushänge, Beilagen und in der annabelle verwenden, hält der Vater die Waffe.

Werden Sie bei der Petition von Parteien unterstützt?

Wir haben den Bundesräten eine Extra-Aussendung geschickt. Und werde allen Parlamentariern direkt ein Heft und einen Brief zukommen lassen. Wir wollten, dass zum Start der Herbstsession das Heft in allen Postfächern ist, mit der Bitte sich zum Inhalt der Petition Gedanken zu machen. Es gibt aber noch keine Parteien oder anders geformte Organisationen, die sich hinter uns stellen.

Sie können bei der Petition auf die Unterstützung von Prominenten zählen...

Die Idee Prominente anzufragen ist mir in den Sommerferien bei der Lektüre des neuen Buches von Martin Suter gekommen. Im "Teufel von Mailand" wird eine Frau von ihrem Ehemann mit einer Offizierspistole bedroht. Darauf hab ich mich gefragt, welche Meinung andere Prominente zur Schusswaffenproblematik haben. Natürlich hat es auch eine gewisse Wirkung, wenn Prominente sich zu einem Thema äussern. Es motiviert die Leser, sich einer Sache anzuschliessen.

Glauben Sie, dass das Parlament in der Herbstsession den Forderungen der Petition folgen wird?

Unser Traumziel wäre, das Parlament dazu zu bewegen, sich definitv für ein nationales Waffenregister zu entscheiden. Es geht uns aber vor allem darum, dass das Thema der Schusswaffen im Haushalt wieder angestossen wird, dass unsere Petition vielleicht ein Startschuss für die Thematisierung in anderen Medien und bei den Leuten ist. So kann schon ein gewisser Druck durch die Öffentlichkeit entstehen. Es handelt sich um ein kontroverses Thema. Das wichtigste ist, dass genug Leute beginnen, sich darüber Gedanken zu machen.

(Interview: Stefan Wyss)



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