Mirjam Kohler, Sie haben mit Flimmer.Media Ihr eigenes Onlinemagazin gegründet. Wie kam es dazu? War ein eigenes Medium ein lange gehegter Wunsch?
Nein, wir hätten uns sehr gerne an bestehende Strukturen angeschlossen. Das Problem ist: Viele dieser Strukturen schwächeln, auch wegen der anhaltenden Medienkrise. Gleichzeitig beobachten wir in der Schweiz und international beunruhigende gesellschaftliche Entwicklungen und Tendenzen, die uns darin bestärkt haben, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen.
Wofür steht der Name Flimmer.Media?
Flimmer.Media bringt ein Flimmern in die Wahrnehmung des Alltags unseres Publikums, auch in das Selbstverständnis der Schweiz. Auch wir haben ein Problem mit Extremismus, auch in der vermeintlichen Vorzeigedemokratie gibt es Feindinnen und Feinde der Demokratie. Sie verursachen ebenfalls ein Flimmern. Und das wollen wir sichtbar machen.
«Wenn wir jetzt unsere Reichweite auf- und ausbauen müssen, ist das erst mal ein Kraftakt»
Sie haben mit der Basler Zeitung, respektive Tamedia, ein Unternehmen verlassen, das über Reichweite sowie Ressourcen in den Bereichen Recherche und Rechtsschutz verfügt. Warum verzichten Sie darauf?
Natürlich hat Tamedia viel umfassendere Ressourcen als wir. Aber auch grössere Redaktionen, als wir es sind, sind erpressbar geworden, weil einfach das Budget wegschmilzt. Dann überlegt man sich zweimal, ob man – allenfalls auch missbräuchliche – Klagen riskiert. Wenn wir jetzt unsere
Reichweite auf- und ausbauen müssen, ist das erst mal ein Kraftakt. Aber wir tun es mit Herzblut, engagiert und mutig. Und nicht, weil aus dem Konzernmanagement von der Realität abgekoppelte Wachstumsziele vorgegeben und gleichzeitig enorme Dividenden ausbezahlt werden.
Mitgründerin von Flimmer.Media ist Anna Bursian, die sich unter dem Pseudonym Lotta Maier auf Social Media und als Autorin einen Namen gemacht hat als Expertin für Extremismus und demokratiefeindliche Strukturen. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Ich verfolgte Annas Arbeit schon länger und war beeindruckt von ihren Recherchen und der Expertise, die sie sich erarbeitet hat. Ich habe einige lokale Recherchen von ihr aufgegriffen, verifiziert und publiziert, so wie andere Medienschaffende in der ganzen Deutschschweiz auch. Davon fühlten sich einige Männer, die sich nicht die Deutungshoheit nehmen lassen wollten, provoziert. Aber ihre Anti-Kampagne hat uns zusammengeschweisst. Und auch in der Überzeugung bestärkt, dass die Schweiz Aufholbedarf hat bei Expertinnen und Experten und Berichterstattung rund um Extremismus.
Flimmer.Media veröffentlicht investigative Recherchen zu Extremismus
und antidemokratischen Strukturen. Was verstehen Sie darunter?
Aus einer fachlichen Perspektive ist der Begriff «Extremismus» umstritten. Er umschreibt auch nicht genau genug, worum es uns geht. Wir schreiben über Neonazis genauso wie über kommunistische K-Gruppen oder Gruppen und Personen, die evidenzbasierte Medizin ablehnen. Aber eben zum Beispiel auch darüber, was an der Anthroposophie antidemokratisch ist oder warum Privatschulen diesbezüglich problematisch sein können.
«In manchen Kreisen werden diese Werte als ‹woke› verschrien, als Dekadenz»
Sie setzen sich mit Ihrem Journalismus für eine «demokratische, aufgeklärte, diskriminierungsfreie und offene Gesellschaft ein», wie Sie auf der Website schreiben. Wo steht Flimmer.Media im Spektrum zwischen Journalismus und Aktivismus?
Es ist interessant, dass wir bei dieser Definition an Aktivismus denken, wo sie doch nichts anderes beschreibt als die Grundlagen einer freien, liberalen und demokratischen Gesellschaft, deren Wächterinnenfunktion Journalismus einnehmen soll. In manchen Kreisen werden diese Werte als «woke» verschrien, als Dekadenz. Und gerade deswegen ist es wichtig, für diese Werte einzustehen, weil Demokratie und Freiheit verletzlich sind.
Ihre Arbeit wollen Sie durch Spenden und Unterstützungsabos finanzieren. Wie sieht die erste Zwischenbilanz nach dem Softlaunch Ende Januar aus?
Der Softlaunch war ein erster Testlauf, um zu sehen, wie unsere Inhalte ankommen, und unseren Leserinnen und Lesern zu zeigen, welche Inhalte sie von uns erwarten können. Wir sehen, dass es Zeit und Ressourcen braucht, um Menschen von der Wichtigkeit, für frei zugänglichen Journalismus zu bezahlen, zu überzeugen. Da möchten wir mit unserem kommenden Crowdfunding Fortschritte erzielen und hoffen, damit eine breitere Unterstützung zu gewinnen. Wir wissen, dass viele Menschen die Relevanz unserer Arbeit erkennen. Darum sind wir optimistisch, mit ihrer Hilfe weiterhin Journalismus zu antidemokratischen Strukturen zu machen, wie es ihn in dieser Form in der Schweiz sonst nicht gibt.
Sie betonen die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit Ihrer Publikation. Schliesst das eine finanzielle Unterstützung durch weltanschaulich geprägte Organisationen aus?
Überhaupt nicht. Aber es wäre für uns keine Option, uns deswegen finanziell in ein Abhängigkeitsverhältnis zu begeben oder den Anschein davon zu erwecken. Dafür ist der Bereich, in dem wir arbeiten, zu sensibel.