01.11.2006

"Wir zeigen Stärke, indem wir so viel Geld investieren"

Nächsten Montag startet das derzeit wohl ambitionierteste und grösste Projekt in der Schweizer Printlandschaft: Der Tages-Anzeiger lanciert in der Region Zürich vier Regionalausgaben und hat dazu insgesamt rund 60 neue Mitarbeiter eingestellt. "Wir sind sehr gut vorbereitet", sagt Daniela Decurtins, beim Tages-Anzeiger für den Aufbau der Lokalredaktionen verantwortlich, im Interview mit "persoenlich.com".
"Wir zeigen Stärke, indem wir so viel Geld investieren"

Frau Decurtins, der Tages-Anzeiger lanciert kommende Woche vier Regionalsplits. Sind Sie startklar?

Wir sind sehr gut vorbereitet. Vor zehn Tagen haben wir unter Echtzeit-Bedingungen eine Nullnummer produziert und den ganzen Ablauf bis zum Druck durchgespielt. Es hat alles gut funktioniert.

Wo liegen die grössten Probleme?

Auf die Druckerei Bubenberg kommt praktisch eine Verdoppelung der Seitenmenge zu. Deshalb müssen wir uns an ein sehr striktes Zeitmanagement halten. Für die Redaktion stellt die grösste Herausforderung dar, dass sie die Seiten selber layouten, sich an die Abschlusszeiten halten und sich im Gebiet verankern muss, um an die Informationen zu gelangen. Für uns erweist sich die Schulung der rund 60 Redaktoren innerhalb knapp eines Monats als sehr aufwändig.

Die neuen Regionalausgaben wirken sich auf die Produktion des Stammblatts aus. Welche qualitativen Abstriche müssen gemacht werden?

Es gibt Veränderungen im Ablauf, der die Zeitungsproduktion betrifft. Nach wie vor ist es die kreative Layoutabteilung, welche die Seiten aufreisst. Den Abschluss macht aber künftig die Redaktion. Für die Redaktion bedeutet dies natürlich eine Mehrbelastung.

Setzen Sie für die Regionalsplits die Messlatte punkto Qualität gleich hoch wie in der Stammredaktion des Tages-Anzeigers?

Wir betreiben Lokal- und Regionaljournalismus -- und dieser unterscheidet sich vom Journalismus der Mantelredaktion. Wir haben den Anspruch, das Leben in der Region in allen Facetten zu spiegeln und die Menschen zu Wort kommen lassen. Deshalb werden wir beispielsweise mit eingesandten Mitteilungen, etwa von Vereinen, arbeiten. Das hat man beim Tages-Anzeiger bislang nicht in dieser Art und Weise praktiziert. Ich würde diesbezüglich aber nicht von qualitativen Unterschieden sprechen.

"Der Tages-Anzeiger versucht unser Konzept des Regionaljournalismus zu kopieren" sagte Benjamin Geiger, Chef der Zürichsee-Zeitung unlängst an einem Podiumsgespräch. Was wollen Sie anders und vor allem -- besser -- machen als die Landzeitungen?

Unser publizistisches Konzept sieht vor, die lokalen Informationsbedürfnisse zu befriedigen. Es gilt, möglichst nahe an die Menschen heranzukommen, und einen lebendigen Journalismus zu betreiben, der eine grosse Formenvielfalt zulässt und unterhaltsam und nützlich zugleich ist. Wir legen grossen Wert auf den Regionalsport und liefern dazu Hintergründe, Analysen und Porträts.

Aber worin will sich der Tages-Anzeiger in seiner Regionalausgabe gegenüber den Landzeitungen abheben?

Wir wollen erfrischend sein und Themen setzen, über welche die Region spricht. Man darf den Lokalteil aber nicht isoliert betrachten: Der Tages-Anzeiger ist die führende Regionalzeitung mit einem überregionalen Mantelteil. Wir möchten die Zeitung für die Leserinnen und Leser noch attraktiver machen, indem wir künftig auch Informationen auf lokaler Ebene anbieten.

Am linken Zürichseeufer hat der Tages-Anzeiger mit dem Regionalsplit kaum Abonnenten hinzugewonnen, auch im Inseratemarkt konnte er nicht nennenswert zulegen. Weshalb glauben Sie, soll dies nun in den anderen Regionen Zürichs gelingen?

Wir haben intensiv Marktforschung zur Lancierung des Splits am linken Zürichseeufer betrieben. Die Auswertungen haben uns schliesslich bewogen, die Regionalisierungsstrategie auszuweiten. Mich persönlich hat dabei überrascht, wie rasch unsere Regionalausgabe auf Akzeptanz gestossen ist. Der Lokalbund ist in der Region bereits der am drittmeisten gelesene Bund des Tages-Anzeigers. Dies zeigt, dass ein echtes Bedürfnis auf Leserseite vorhanden ist. Wir haben zudem seit der Lancierung des Splits rund 6'000 Leserinnen und Leser dazu gewonnen. In einer Phase, in der abonnierte Tages-Zeitungen einem Leserschwund ausgesetzt sind, ist dies eine erfreuliche Entwicklung. Hätten wir die Erfahrungen aus dem linken Zürichseeufer als Misserfolg eingestuft, hätten wir bestimmt nicht vier weitere Regionalausgaben lanciert.

Und wie sieht die Situation bei den Anzeigen aus?

Für uns sind -- gerade in Verbindung mit dem Anzeigenmarkt -- die Leserzahlen von grosser Wichtigkeit. Der Raum Zürich ist unser Heimmarkt, hier müssen wir unsere Reichweite steigern.

Wieviele Journalisten haben Sie den Landzeitungen abgeworben?

Es sind mehr als ein Dutzend Redaktorinnen und Redaktoren, die unmittelbar zu uns wechseln. Andere haben ihre journalistischen Wurzeln bei Zeitungen in den verschiedenen Regionen. Es lag mir bei der Rekrutierung sehr am Herzen, dass möglichst viele der neuen Mitarbeiter sich durch eine lokale Verankerung auszeichnen, ein Beziehungsnetz mitbringen und bereits im Lokaljournalismus tätig waren. Zentral war aber auch, dass wir einen guten Teammix erreichen, alters-, geschlechter- und erfahrungsmässig.

Spüren Sie heute, knapp eine Woche vor der Lancierung, im Haus die volle Unterstützung für der Regionalisierungsstrategie?

Ich spüre einen ganz anderen Rückhalt als noch bei der Lancierung der ersten Regionalausgabe. Das hat damit zu tun, dass wir ein Aufbruchkonzept verfolgen. Indem wir so viel Geld in den Tages-Anzeiger investieren, zeigen wir Stärke. Das hat die Redaktion erfasst, die selber mit damit zusammenhängenden Veränderungen erfasst wurde. So haben wir das Ressort Zürich und Region neu strukturiert und auch das Konzept des Züritipps auf seine Rolle als Ausgehmagazin fokussiert. Im Verlag verspüre ich die selbe Bewegung.

Wie gross ist der Druck von der Konzernleitung, Erfolge ausweisen zu können?

Ich habe stets betont, dass wir bei unserer Strategie mittel- bis langfristig denken müssen. Zum einen kostet Lokal- und Regionaljournalismus viel Geld, wenn man ihn richtig betreiben will. Zum anderen braucht es viel Zeit und Geduld, bis wir die Zeitung verankern können und die Beziehungsnetze aufgebaut haben. All dies widerspiegelt sich auch in unseren Businessplänen, die auf einen Zeitrahmen von fünf Jahren angelegt sind. Der Tamedia-Verwaltungsrat spricht gar von einer Spanne von bis zu zehn Jahren.

Sie sind jetzt Chefin von insgesamt 60 Angestellten. Wie gefällt Ihnen persönlich die Rolle des Managers?

Meine Arbeit macht mir Spass. Ich empfinde es als ein Privileg, ein Projekt von dieser Grösse aufbauen und so unternehmerisch tätig sein zu dürfen. Es gibt kaum vergleichbare Gelegenheiten in der Printlandschaft. Auch bin ich eine Person, die grosse Freude am Regional- und Lokaljournalismus hat. Ich geniesse die Nähe zu den Menschen in der Region. Und schliesslich habe ich das Glück, mich auf sehr erfahrene Teamleiter verlassen zu können, die auch den Tages-Anzeiger gut kennen.

Sie machen wenige Tage vor der Lancierung der Regionalausgaben einen ziemlich entspannten Eindruck. Hand aufs Herz: Schlafen Sie in diesen Tagen gut?

Ich habe ein sehr gutes Gefühl. Seit vergangenen Frühling bin ich mit dem Aufbau der Regionalausgaben beschäftigt und finde darin auch die nötige Unterstützung. Keine Sorge also, ich schlafe gut.


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