08.02.2022

Olympia 2022

Zwischen Kontrolle und Kuschelkurs

Eine Blase, meterhohe Zäune und Panda-Maskottchen: Trotz fröhlicher Akzente dominieren strenge Regeln den Ablauf der Olympischen Winterspiele. Unter welchen Bedingungen arbeiten Sportjournalistinnen und Sportjournalisten vor Ort? Die Blick-Gruppe, SRF, 20 Minuten, Tamedia und CH Media liefern Einblicke hinter die Kulissen.
Olympia 2022: Zwischen Kontrolle und Kuschelkurs
Berichten aus Peking über die Olympischen Winterspiele: Sven Forster und Nils Hänggi (20 Minuten), Nicole Vandenbrouck (Blick), Janne Strebel (CH Media), Annette Fetscherin (SRF), Marco Keller (Tamedia) und Klaus Zaugg (CH Media). (Bilder: Keystone/Mark Schiefelbein und zVg)

Die 24. Olympischen Winterspiele in Peking sind in vollem Gange. Das Interesse an dem Ereignis ist gross, und das nicht nur wegen der Crème de la Crème der Sportszene: Die diesjährigen Spiele stehen wegen der Wahl des Austragungsortes in der Kritik. Mehrere westliche Regierungen boykottieren sie wegen der Menschenrechtslage in China.

Dabei geht es auch um die Pressefreiheit. Im Vorfeld der Spiele veröffentlichte der Auslandskorrespondentenclub (FCCC) einen Bericht, in dem er nie dagewesene Hürden für Medienschaffende in China beklagt (persoenlich.com berichtete). Die Einschränkungen in der täglichen Berichterstattung spiegeln sich auch in dem Pressefreiheit-Ranking der Reporter ohne Grenzen wider: Im Jahr 2021 belegte China unter 180 Staaten Platz 177.

Vor wenigen Tagen sorgte ein Video von den Olympischen Spielen für Aufregung. Es zeigt, wie chinesische Sicherheitskräfte die Live-Übertragung eines niederländischen Senders unterbrechen.

Dass es zu einem vergleichbaren Zwischenfall mit Schweizer Medienschaffenden gekommen wäre, ist nicht bekannt. Fest steht aber: Die strengen Massnahmen, die mit Verweis auf die Coronapandemie getroffen wurden, machen die Berichterstattung auch für hiesige Journalistinnen und Journalisten zu einer besonderen Herausforderung.

Mühevolle Vorbereitungen

Die ersten Hürden gab es bei der Vorbereitung auf die Reise nach China. Ein Visum mussten die Schweizer Medienschaffenden zwar nicht beantragen. Die Akkreditierung ersetzte das Visum und lief wie gewohnt über Swiss Olympic und das Internationale Olympische Komitee (IOC). «Die unkomplizierte Einreise ist eine der Bedingungen, die das IOC an den Veranstalter stellt», so Klaus Zaugg von CH Media Publishing. Dennoch: Die Journalistinnen und Journalisten mussten bereits vergangenen Sommer umfangreiche Gesundheitsdeklarationen einreichen. «Das erforderte viel Zeit und Geduld», sagt SRF-Sportmoderatorin Annette Fetscherin. Marco Keller, Sportjournalist bei Tamedia, ergänzt: «Wir mussten ein 80-seitiges Playbook lesen, in dem detailliert beschrieben war, was man darf, und vor allem, was nicht.»



In den Wochen vor dem Abflug nach Peking mussten die Medienschaffenden zahlreiche Coronatests machen. Die Sportreporter von 20 Minuten, Nils Hänggi und Sven Forster, erzählen: «Zwei Wochen vor unserem Abflug mussten wir täglich unsere Temperatur messen und in einem Onlineprogramm eintragen. Innerhalb von 96 Stunden vor dem Abflug brauchten wir jeweils zwei PCR-Tests. Einer davon musste in einer Praxis gemacht werden, die von der chinesischen Regierung anerkannt wird.»

Flughafen – Bubble – Flughafen

Vor Ort bekommen die Schweizer Journalistinnen und Journalisten die Einschränkungen erst recht zu spüren. Die Spiele finden in einer sogenannten Bubble statt, also einer Blase, die vom Rest des Landes abgeschirmt ist. Rundherum meterhohe Zäune. Die Blase besteht aus der Zone rund um die Hotels, dem Haupt-Medienzentrum und den Wettkampfstätten mit den dazugehörigen Medienzentren. «Es ist ein sogenanntes ‹Closed Loop›-System, wobei sich alle an den Olympischen Spielen beteiligten Personen nur an vorgegebenen Orten aufhalten dürfen, und strenge Regeln einhalten müssen», sagt Annette Fetscherin. Beim Hotelausgang müsse man sich zudem jedes Mal einer Sicherheitskontrolle unterziehen, so Nils Hänggi und Sven Forster. Auch tägliche Coronatests sind obligatorisch.

Was draussen geschieht, bekommen die Medienschaffenden nicht mit. Es ist verboten, sich ausserhalb der Bubble frei zu bewegen. Keine privaten Ausflüge oder berufliche Treffen also. «Wir können nicht einfach aus dem Hotel marschieren und die Strasse entlanglaufen», schildert Blick-Reporterin Nicole Vandenbrouck. «Das Hotel ist eingezäunt, wir dürfen diese ganze Bubble nicht verlassen. Am Ende der Spiele geht es zurück zum Flughafen und wieder nach Hause.»

Physische Interviews schwierig

Das hat direkte Auswirkungen auf die journalistische Arbeit der Schweizerinnen und Schweizer. Janne Strebel, der für Radiosender und Today-Plattformen von CH Media berichtet, erzählt: «Ich kann fast keine physischen Interviews führen, weil persönliche Kontakte bis auf wenige Ausnahmen untersagt sind. Pressekonferenzen finden fast ausschliesslich virtuell statt, was für einen Radio-Journalisten nicht optimal ist. Das Radio lebt von persönlichen Kontakten.» SRF-Moderatorin Annette Fetscherin berichtet Ähnliches: «Die Produktionsmöglichkeiten sind auf die Wettkampfstätten und die eigenen TV-Studios beschränkt.»

Selbst der Kontakt mit chinesischen Sportlerinnen und Sportlern ist nicht einfach. Die beiden Reporter von 20 Minuten, Nils Hänggi und Sven Forster, haben die chinesische Freestyle-Skifahrerin Eileen Gu, die in ihrer Heimat als Star gefeiert wird, für ein Interview angefragt. Ob das Gespräch stattfindet, bleibt nach wie vor unklar.

Klaus Zaugg von CH Media Publishing hat bei der chinesischen Olympiamannschaft für ein Interview erst gar nicht angefragt, denn: «Solche Interviews wären unergiebig und bringen nur ausserhalb von offiziellen Grossanlässen etwas. Aussagekräftige Interviews sind gerade bei Personen aus anderen Kulturkreisen nur möglich, wenn es keinen Zeitdruck und keine Einschränkungen durch die Organisation gibt. Bei Olympischen Spielen sind Interviews ausserhalb der offiziellen Medientermine ohnehin nur in Ausnahmefällen möglich.»

Viel anders sei es bei den Sommerspielen 2008 in Peking und anderen Grossanlässen in China allerdings nicht gewesen, erinnert sich Klaus Zaugg. Auch damals sei der Kontakt zu chinesischen Sportlerinnen und Sportlern nur bei offiziellen Terminen möglich gewesen, was unter den aktuellen Verhältnissen allerdings sehr eingeschränkt sei.

Kontakt mit lokaler Bevölkerung ausgeschlossen

Die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf die Bubble schliesst den Kontakt zur lokalen Bevölkerung aus. Damit kein Journalist erst auf die Idee kommt, sich unter die Einheimischen zu mischen, sorgten die chinesischen Behörden vor: Zwischen den abgesperrten Hotels und den Spielstätten können nur offizielle Transportmittel genutzt werden. Annette Fetscherin sagt: «Es wird kein Kontakt mit der chinesischen Bevölkerung zugelassen. Darum dürfen beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel oder Taxis nicht benutzt werden.»

Janne Strebel versuchte etwa, eine Schweizerin für ein Interview zu gewinnen, die für eine chinesische Firma in Peking arbeitet und während der Spiele beim Aufbau der Skipisten hilft. Ihr Arbeitgeber habe ihr das Interview jedoch verboten, so Strebel.

Blick-Reporterin Nicole Vandenbrouck ist nicht überrascht, dass Medienschaffende keinen Kontakt zur lokalen Bevölkerung haben: «Man konnte das schon leider bei der Planung der Berichterstattung ausschliessen.»


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