05.12.2013

FAZ

"Die Sender müssen die inhaltliche Kompetenz zurückgewinnen"

Dirk Specht über Probleme im TV-Markt.
FAZ: "Die Sender müssen die inhaltliche Kompetenz zurückgewinnen"

In seinem Referat am diesjährigen TV 2.0 Summit im Zürcher Kaufleuten sprach Dirk Specht, Leiter Business Development Elektronische Medien bei der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ), über die Vorreiterrolle der Printmedien im digitalen Bereich. Im Interview mit persoenlich.com erklärt er nun, warum er die Probleme im TV-Markt als noch grösser einstuft und weshalb es für kein Medien-Unternehmen eine Zukunft ohne Digital-Geschäft gibt. Den Zeitungen empfiehlt er, wie bei der FAZ, eine Parallel-Strategie von Bezahl- und Gratis-Inhalten zu entwickeln.

Herr Specht, Sie sagen, das Fernsehen werde strukturell eine ähnliche Entwicklung erleben wie Print. Weshalb stufen Sie die Probleme beim TV als noch grösser ein? 
Das liegt an den strukturellen Voraussetzungen der Geschäftsmodelle. Ich meine damit vor allem die TV-Sender, die hauptsächlich auf ein werbebasiertes Modell setzen. Sie haben sich in den letzten Jahren quasi als Zwischenhändler positioniert, die Inhalte von Produzenten oder Rechteinhabern eingekauft und die Kompetenz in Sachen Content ausgelagert haben. Ihre Daseinsberechtigung besteht eigentlich darin, dass sie grosse Plattformen betreiben, mit denen sie die Verteilung der Inhalte dominieren. Das ist im digitalen Wettbewerb eine fatale Position, denn die grossen Plattformen gehören dort ganz anderen.

Wieso ist diese Position so fatal? 
Die Einkaufskompetenz wird im digitalen Markt kaum wettbewerbsrelevant sein. Hier gibt es nur zwei dauerhaft relevante Kompetenzen: Massenhafte Kundenbeziehungen zu erzeugen oder etwas Nachgefragtes selbst herzustellen – dazwischen ist wenig Platz. Idealerweise kann man sogar beides, eine neue Tendenz in der digitalen Welt.

Wie sollten die TV-Anbieter auf die Herausforderungen der digitalen Welt reagieren? 
Sie sollten in erster Linie realisieren, dass es für kein Medien-Unternehmen eine Zukunft ohne Digital-Geschäft gibt. Dazu muss völlig neu überlegt werden, was die erforderlichen Kompetenzen und Geschäftsmodelle in einem digitalen Markt überhaupt sind. Momentan verhalten sich die TV-Anbieter dort wie in ihren traditionellen Märkten.

Das heisst? 
Beispielsweise der Irrtum, mit einem inhaltlichen Spektrum alleine eine Plattform mit Nutzerbindung begründen zu können. Hinzu kommt, dass ein ganz wesentlicher Mechanismus für die Erzeugung werberelevanter Aufmerksamkeit in digitalen Medien überhaupt nicht funktioniert: lineares Fernsehen!

Was kann der TV-Markt konkret von den Verlagen abschauen? 
Alle Märkte können von der Entwicklung der Print-Märkte abschauen. Die Digitalisierung betrifft ja nicht nur die Medienbranche, sondern mittlerweile alle möglichen Branchen. Der grösste Fehler ist es, die Entwicklung gewissermassen als "ausserhalb" zu betrachten und zu übersehen, dass sehr wohl das Kerngeschäft selbst betroffen ist. Man geht immer nur davon aus, digitale Märkte seien neue bunte Spielfelder für ein Zusatzgeschäft, das man mitnehmen oder auch lassen kann. Aber es wird zum eigenen Spielfeld, wobei sich Markt- und Wettbewerbsumfelder auf einmal ganz anders darstellen.

Wie verhält sich der neue Markt denn? 
Die führenden digitalen Ökosysteme haben unglaubliche Marktmacht erreicht. Sie besitzen weltweite Massenreichweiten und vertiefen ihre Nutzerbindung immer stärker. Damit dominieren sie jegliche Wertschöpfung, die vom Endkunden ausgeht. Und auch dort, wo keiner der sogenannten "grossen Vier" bereits aktiv ist, entsteht in den einzelnen Branchen und Themenbereichen letztlich ein dominierender Anbieter. "The winner takes it all": Das Internet liebt zwar eine unglaubliche Angebots- und Markenvielfalt, es neigt aber zur Konzentration bei den Verteilstationen. Die Fernsehsender kommen genau aus dieser Position der Verteilstation in ihren analogen Märkten, digital werden sie das aber nicht mehr erreichen können.

Bisher ist in den Zahlen der Sender davon aber nichts zu sehen. 
Das würde ich bezüglich der Werbeumsätze so nicht sagen, dort spüren die Sender bereits den Wettbewerb digitaler Kanäle. Es gibt aber in der Tat einige Gründe, weshalb das Fernsehen bisher von der Digitalisierung noch nicht so stark betroffen ist: Es ist bisher das einzige Medium mit einer technischen Vollversorgung und es hat gewisse Nutzungszeiten nahezu exklusiv. Mit den zahlreichen neuen mobilen Endgeräten wird sich das aber dramatisch ändern. Das Internet wird damit nicht nur die technische Vollversorgung erreichen, es wird auch zeitlich und örtlich zum ersten Vollversorger in der Mediengeschichte.

Bisher haben die grossen Sender aber die führenden Inhalte.
Zunächst nochmals der Hinweis, dass in digitalen Märkten Nutzerbindung und Wertschöpfung nicht über Inhalte gelingen, eher schon über die "Vermittlung" von Inhalten. Aber zugegeben, die TV-Branche ist bisher der grösste Einkäufer von Inhalten und natürlich schützen die Hersteller und Rechteinhaber ihre wichtigsten Kunden. Eine funktionierende Symbiose. Sie sehen aber, dass es im digitalen Markt bereits einen harten Kampf um Inhalte gibt, in den neue Player wie Apple, Amazon oder Netflix eintreten. Das wird zwingend zu Gunsten derjenigen ausgehen, die das grössere Endkundenpotenzial und vor allem die besseren Zugangswege haben.

Wie sollen die TV-Sender diesen Kampf gewinnen?
Sie haben gegenüber den grossen Ökosystemen in digitalen Medien prinzipiell die schwächere Verteilungsposition. Das zeigt das Beispiel Netflix sehr gut: Netflix kalkuliert knallhart die monatlichen Abos. Die Verteilung ist hocheffizient, Inhalte werden eingekauft und in die Online-Mediatheken gestellt, welche jederzeit verfügbar sind. Man geht also zu günstigen Preisen genau auf den Wunsch der Rezipienten ein. Die Sender mit werbefinanziertem Modell hingegen müssen ihre Inhalte in starre Sendepläne packen und dabei die Ausspielung auch noch künstlich strecken, um zwischendurch Aufmerksamkeit für ihre Werbekunden zu schaffen. Das wollen die Zuschauer nicht und für immer mehr Inhalte müssen sie das auch nicht mehr aushalten.

Also sollte man sich möglichst bei Netflix einklinken? 
Das kann man sicher nicht so generell sagen. Entscheidende Strategie muss sein, ein Digital-Geschäft aufzubauen. Die meisten TV-Unternehmen haben das noch nicht. Sie sind zwar in irgendeiner Form digital präsent, haben aber kein passendes Geschäftsmodell dazu. Die Frage ist, wie man das aufbauen kann und welche Komponenten man dafür braucht. Sicher muss man die inhaltlichen Kompetenzen wieder zurückgewinnen und auf den Bedarf digitaler Kanäle übersetzen. Natürlich gehören für ein Medienunternehmen Inhalte zur Kernkompetenz, auch digital. Es müssen aber neue Distributionskompetenzen mit den geeigneten Geschäftsmodellen aufgebaut werden. Ob es dabei klüger ist, selbst vorzugehen, Akquisitionen oder Kooperationen - beispielsweise mit einem bereits sehr reichweitenstarken Unternehmen wie Netflix - einzugehen, kann sich nur aus der eigenen Strategie ableiten.


Video: www.internettv.ch

Die meisten Digital-Strategien werfen zu wenig Gewinn ab. Was machen Sie dagegen und wie sieht Ihre Strategie bei der FAZ aus? 
Wir gehen davon aus, dass sich der Transfer von analogen in digitale Werbemärkte fortsetzen wird. Deshalb haben wir schon vor einem Jahr einige Kooperationen in Deutschland ins Leben gerufen und konnten uns so im digitalen Werbemarkt besser positionieren. Wir sehen aber auch, dass sich der Werbemarkt durch ganz neue Modelle stark verändert. Mit vollkommen neuen Geschäftsmodellen, wie beispielsweise dem Direktkundengeschäft oder E-Commerce werden auch Marketing- und Sales-Aktivitäten ersetzt. Deshalb glaube ich, dass Medienunternehmen in diese Geschäftsmodelle eintreten müssen, um damit die Abhängigkeit vom Werbemarkt zu reduzieren und neue Erlöse zu generieren. Bei der FAZ bauen wir ebenfalls neue Erlösquellen jenseits des Werbemarktes auf.

Welche konkret? 
Das Geschäftsfeld Aus- und Weiterbildung ist bereits aktiv, ebenso ein innovatives und sehr hochwertiges Veranstaltungsgeschäft. In einer Tochtergesellschaft entwickeln wir erste digitale Finanzdienstleistungen. Jüngst sind wir bei einer Plattform für die Vermittlung von Interim-Managern eingestiegen und gemeinsam mit der NZZ haben wir einen Prototypen für einen digitalen Personalvermittlungsdienst getestet. Sie erkennen darin ein sehr strategisches Vorgehen, passend zu unserer Marke, den inhaltlichen Kompetenzen und bestehenden Kundenbeziehungen. Sie können davon ausgehen, dass es im Rahmen dieser Strategie weitere Nachrichten geben wird.

Mathias Müller von Blumencron plant per Anfang 2014 eine Paywall einzuführen. Was erhoffen Sie sich davon? 
Ich kann alle Verleger nur ermuntern, eine Paywall einzuführen und Bezahlinhalte durchzusetzen. Für Qualitätsinhalte ist das angemessen. Die Mehrheit der Kunden wird auch keine Probleme damit haben, für gute Inhalte zu bezahlen. Es ist allerdings auch klar, dass wir Reichweite und Werbemarkt weiterhin offen gegenüberstehen. Wir sehen das nicht als Widerspruch, Bezahlinhalte und Werbemarkt sind wie Zwillinge, die sich gut vertragen. Das ist eine der Kompetenzen aus Print, die wir digital weiterentwickeln möchten.

Wo stehen Print und TV in fünf Jahren? 
Die genannten Trends werden weitergehen, das lässt sich nicht aufhalten. Ich sehe aber auch, dass die Medienunternehmen immer noch selbst über ihr Schicksal bestimmen können. Es wird meines Erachtens genau zwei Kategorien geben: Zum einen wird es Unternehmen geben, die letztlich nichts entscheiden – übrigens die riskanteste Entscheidung überhaupt. Das sind dann diejenigen, die in die Fussstapfen einiger Print-Verlage treten und vor Konsolidierungen, Schrumpfkuren und teilweise auch vor Scherben stehen. Und dann wird es solche geben, die aufbrechen und die Chance ergreifen. Genau diese werden erfolgreich sein. Bei den Verlagen, die aufgebrochen sind, ist noch keiner gescheitert. Sie haben zwar viel falsch gemacht, aber der Mut, den Schritt zu wagen, hat sie belohnt.

Die Devise scheint demnach: Über Mut zum Erfolg? 
Mut und Bewegung. Es gibt genügend Chancen. Auch Google, führender Werbeträger der Welt, investiert in neue Geschäftsmodelle und sieht Chancen für neue Geschäftsideen zur Monetarisierung der Nutzerkontakte. Und da kann jeder erfolgreich sein, man muss es nur versuchen.

Interview: Marco Lüthi


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