14.04.2021

Zukunft des Branding

«Das Bedürfnis nach spürbaren Aktionen wächst»

Wie verändert die Pandemie die Markenkommunikation? Zwei Entwicklungen müssten Firmen besonders im Auge behalten, sagen Thomas Städeli und Michel Reichmuth von Wirz Brand Relations. Sie kennen Alternativen zu «chefmässig organisierten» Zoom-Apéros.
von Edith Hollenstein

Was ist Ihre Devise nach einem Jahr Pandemie: «Ruhe bewahren» oder «Ärmel hoch»?
Thomas Städeli: Unbedingt beides! Wer sich jetzt nicht zum überstürzten Drehen an allen möglichen Stellschrauben hinreissen lässt, sondern seine Marke weiterhin langfristig denkt und lenkt, macht bereits vieles richtig.

Michel Reichmuth: Aber Ruhe bewahren allein genügt nicht. Die strategische Ausrichtung der Marke mit all ihren Versprechungen muss in die Tat umgesetzt und vor allem auch richtig und gut dosiert kommuniziert werden. Nur eine Marke, die sich bemerkbar macht, ist für die Kundin und den Konsumenten auch wahrnehmbar und wählbar.

Noch wissen wir nicht, was sein wird in der Zeit nach Corona. In Ihrem Spezialgebiet, dem Branding: Was, denken Sie, wird sich bei der Markenführung mit Sicherheit verändern?
MR: Seit Corona sitzt die Welt im Homeoffice. Dies hat einen massiven Digitalisierungsschub ausgelöst. Die Brand Experience im digitalen Raum galt schon vor der Pandemie als wichtiger, oft gar dominanter Teil einer Markenwelt. Aber nicht zuletzt der Online-Shopping- und Zoom-Boom während der Lockdowns hat vor Augen geführt, dass Marken im virtuellen Raum nicht nur toll aussehen, sondern auch einfach und stabil funktionieren und schnell reagieren müssen.

TS: Zum anderen hat bei vielen Menschen über die letzten Monate eine Veränderung stattgefunden: Ansichten haben sich geändert und Prioritäten verschoben, Gewohntes wird kritischer hinterfragt.

«Marken müssen im virtuellen Raum nicht nur toll aussehen, sondern auch einfach und stabil funktionieren und schnell reagieren»

Wo sind die Konsumenten in den letzten Monaten kritischer geworden?
TS: Die Corona-Krise hat ein Umdenken ausgelöst, was für uns im Leben wirklich wichtig ist, was zählt und worauf wir uns verlassen möchten. Dieser Prozess dürfte sich kaum mehr umkehren lassen. Und er beeinflusst, wie wir Marken wahrnehmen. Immer mehr Menschen legen immer mehr Wert auf die ethische Vertretbarkeit und die Regionalität von Produkten, und dass die Unternehmen dahinter authentisch sind und verantwortungsvoll handeln. Marken, die sich nachweislich korrekt verhalten und sich effektiv um ihre Mitarbeitenden und Kunden bemühen, werden als relevanter und besser beurteilt.

Wie können Marken diesen neuen Anforderungen gerecht werden?
TS: Zwei wesentliche Entwicklungen – die weiter fortschreitende Digitalisierung und das Verlangen nach Sinnhaftigkeit – dürften Marken und ihre Macher in Zukunft noch stärker fordern. Dabei gilt es, einen ausgewogenen und glaubwürdigen Mittelweg zu finden zwischen Bequemlichkeit und Preisbewusstsein auf der einen, ethisch korrektem, verantwortungsvollem und effektivem Handeln auf der anderen Seite. Und das auch im digitalen Raum.

MR: Klar ist: Die digitale Transformation wird nicht mit der Pandemie enden. Und die gekonnte Verbindung digitaler Convenience mit einer Markenpräsenz, die Nähe und Vertrauen schafft trotz technikbedingter Distanz, wird ein entscheidender Erfolgsfaktor bleiben.

«Immer mehr Menschen legen immer mehr Wert auf die ethische Vertretbarkeit und die Regionalität von Produkten, und dass die Unternehmen dahinter authentisch sind und verantwortungsvoll handeln»

Welche Marken haben von der Pandemie profitieren können? Und wie hat sich die jahrelange Arbeit an der Marke ausbezahlt?
MR: Die Pandemie hat in vielen Branchen schonungslos aufgedeckt, welche Marken ihre digitalen Hausaufgaben während der letzten Jahre gemacht – und so gesehen jetzt davon profitiert haben – und welche noch Nachholbedarf zeigen.

TS: Während der letzten Monate haben Konsumenten ihre Markenpräferenz insbesondere im Konsumgüterbereich überdurchschnittlich stark verändert. So ist etwa eine vermehrte Hinwendung zu Handelsmarken feststellbar, vor allem bei Alltagsprodukten wie Küchentüchern, Abfallsäcken oder dem so heiss begehrten Toilettenpapier. Der Grund hierfür dürfte allerdings nicht zwingend in der Marke selber liegen, als vielmehr in der schlichten Erhältlichkeit und der gebotenen Convenience, Stichwort One-Stop-Shopping oder preiswerte Home Deliveries. Eine gute Performance in diesem Bereich kann sich wiederum positiv auf die Markenwahrnehmung auswirken – wie nachhaltig, wird sich aber erst noch zeigen müssen.

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Wie wichtig ist es, dass Unternehmen ihren «Purpose» definieren und über diesen informieren?
MR: Schöne Worte haben ihren Wert, keine Frage. Doch folgen ihnen keine Taten, verlieren sie schnell ihre Kraft. Gerade in Krisenzeiten fehlen vielen Zielgruppen Mittel und Musse, sich mit Image-Aktionen auseinanderzusetzen. Das Bedürfnis nach konkreten und spürbaren Aktionen wächst.

TS: Dabei können Unternehmen gezielte Anpassungen vornehmen, beispielsweise in den Feedbackmöglichkeiten für Kunden, im Vertrieb oder bei den Service- und Zusatzleistungen. Während Krisenzeiten geht es mehr denn je um Vertrauen – in Form von Zuversicht, Zuverlässigkeit und Authentizität.

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Was sind künftig die Faktoren, die darüber entscheiden, ob sich ein Konsument einem Produkt zuwendet oder nicht?
MR: Eigenschaften wie Empathie und Verantwortung werden ausschlaggebend. Diesem Bedürfnis kann eine Marke jedoch nur Rechnung tragen, wenn Klarheit besteht über ihre Haltung, Bestimmung und Positionierung. Die sorgfältige Selbstreflexion des Was, Wie und Warum einer Marke ist essenziell.

TS: Um aber effektiv Vertrauen zu schaffen, sind konkrete Massnahmen nötig. Wir wollen erleben, dass ein Unternehmen klar Stellung bezieht, sich aufrichtig sorgt und um uns kümmert. Das setzt echtes Hin- und Zuhören, gezieltes Planen und proaktives Handeln statt reinen Reagierens im Krisenmodus voraus.

 «Wir wollen erleben, dass ein Unternehmen klar Stellung bezieht, sich aufrichtig sorgt und um uns kümmert»

Wird diese Pandemie auch Ihren ganz persönlichen Arbeitsalltag verändern?
TS: Vieles, was das typische Agenturleben ausmacht, ist weggefallen. Dabei verlangen gerade Kreativprozesse nach Nähe und physischem Austausch. Einige neue Kunden haben wir noch gar nie physisch getroffen. Neue Mitarbeitende wissen nicht, wie oft bei uns gelacht wird. Das erschwert den Austausch und bleibt auch nach einem Jahr, wo sich vieles eingependelt hat, eine Herausforderung.

MR: Aber wir haben auch gesehen, dass gute Arbeit dezentral und remote möglich ist und durchaus auch Vorteile hat. Trotzdem ist es schon so: Die Kultur, den gemeinsamen Spirit und Teamzusammenhalt hochzuhalten, ist eine Herausforderung.

Wie bereiten Sie Ihre Mitarbeitenden bei Wirz auf den möglicherweise für immer veränderten Arbeitsplatz vor?
TS: Wir haben bereits vor der Pandemie – und in völliger Unwissenheit, was da auf uns zukommt – unsere Arbeit mobilisiert und flexibilisiert. Entsprechend ist für die Mitarbeitenden «work from anywhere» nicht nur möglich, sondern wird zum Standard. Man arbeitet von da aus, wo es am meisten Sinn macht: in der Agentur, zu Hause oder auch direkt beim Kunden. Dazu hatten wir auch unsere Organisation geändert und interdisziplinäre Teams gebildet, die sich stark selbständig organisieren. Das war goldrichtig und hat sich im Lockdown ausgezahlt.

Und was raten Sie Ihren Kunden bezüglich des Internal Branding?
TS: Es ist natürlich einfacher, den Leuten mitzugeben, wofür die eigene Marke steht, wenn man sich am Firmensitz trifft. Die Marke mit all ihren Facetten wird so viel direkter erlebt. Nun gilt es halt umso mehr, die definierten Werte in Persona vorzuleben, im Moment halt primär im digitalen Raum. Und auch wir haben zu Beginn der Pandemie versucht, mit virtuellen, chefmässig verordneten Zoom-Aperos den Zusammenhalt zu fördern. Mittlerweile lassen wir aber vor allem das Team selber gestalten, das bringt viel mehr.

MR: Viele Teammitglieder treffen sich am Freitag zum virtuellen Feierabenddrink. Und es soll dort recht lustig zu- und hergehen, sobald die Chefs offline sind.

 

*Das Interview wurde schriftlich geführt.

 



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