von Edith Hollenstein
Herr Hartmeier*, ein halbes Jahr vor ihrem Rücktritt aus der Politik war Ursula Koch am Verlegerkongress in Gstaad. Was für einen Eindruck hatten Sie von ihr?
Die Verlegerkongresse, die Hans Heinrich Coninx als Präsident der Verbandes initiiert hatte, wurden von vielen Politikern und Exponenten der Wirtschaft und der Kultur genutzt, um persönlich mit Verlegern, Chefredaktoren und Journalisten ins Gespräch zu kommen. Der «Breakfast-Talk» war ein Mittel dazu: Während die über dreihundert Teilnehmer frühstückten, sollte eine Runde von vier Persönlichkeiten über ihr Verhältnis zu den Medien diskutieren. Als ich Ursula Koch ein paar Wochen vorher anfragte, sagte sie sofort zu. Sie wollte allerdings nicht übernachten und auch kein Gast des Kongresses sein. In einem kurzen Vorgespräch unter vier Augen definierten wir am Morgen früh nach ihrer Ankunft nochmals die Fragestellungen.
Hatten Sie den Eindruck, dass Frau Koch für diesen Auftritt gut vorbereitet war?
Ja, sie kündigte im Vorgespräch an, dass sie klar und deutlich reden wolle; wörtlich sagte sie: «Sie werden als Moderator und Kongressverantwortlicher Freude an mir haben.» Dann eröffnete ich die Diskussion und stellte Ursula Koch nach etwa zehn Minuten eine erste Frage. Und bald kamen ihre beiden Sätze, die den ganzen dreitägigen Kongress überlagern sollten. Wörtlich sagte sie: «Ich hasse die Tyrannei der Medien.» Und: «Ich lese keine Zeitungen.»
Wie reagierte das Auditorium, als sie diese Sätze sagte?
Die Kongress-Teilnehmer im Saal starrten uns auf dem Podium an, schwiegen entsetzt oder betreten und hunderte von Augenpaaren fixierten mich als Moderator: Welche Frage wird er jetzt stellen? Ich versuchte ihr dann eine Brücke zu bauen, damit sie beide Brachial-Aussagen, dieser tiefsitzende Medien-Hass, hätte relativieren oder interpretieren können. Sie wollte das aber nicht, sondern lachte seltsam vergnügt. Interessanterweise provozierte sie keine Buhrufe; vielmehr verbreitete sich eine Stille im Publikum, die ich in dieser Art während einer Moderation nie mehr erlebt habe. Die Zuschauer waren eher erschüttert und befremdet.
«Ich war noch nie nach einer Moderation so traurig wie damals»
Was für eine Stimmung herrschte nach diesem Auftritt?
Der Saal leerte sich sofort. Alle eilten an die frische Luft und in die Pause. Kaum jemand suchte das Gespräch mit ihr. Ich begleitete sie dann zum Hauptportal des Hotels und bat sie nochmals, das Gespräch mit den Medien jetzt nicht einfach abzubrechen und den Kongress zu verlassen: «Nein, ich gehe, ich habe nicht zu viel versprochen, Herr Hartmeier. Das müssen Sie doch zugeben!» Als ich mich von ihr verabschiedete, hing ich eine Sekunde dem Gedanken nach, dass mit dieser Frau vielleicht etwas nicht stimmt: diese absolute Kompromisslosigkeit, diese fundamentale Ablehnung von Rede und Gegenrede, konnte ich nicht einordnen. Seither sind viele Jahre vergangen - deshalb darf ich das jetzt sagen: Ich war noch nie nach einer Moderation so traurig wie damals.
Und welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf?
Ich habe wie die meisten Medien- und Kommunikationsleute diesen Beruf gewählt, um Gespräche zu ermöglichen, um Positionen zu klären, zu hinterfragen, Menschen und Unternehmen zu Wort kommen zu lassen – im Kleinen und im Grossen. Es erschüttert mich heute noch, wenn Menschen Gesprächsangebote ausschlagen: Ursula Koch wollte ganz einfach ihrer Verachtung für die Medien zum Ausdruck geben – und damit der Meinungsfreiheit als Ganzes. Und das als linke Politikerin!
Einige dieser Hintergründe beleuchtet die NZZ am Sonntag in ihrem Podcast. Wie beurteilen Sie diesen?
Aufgrund dieser Begegnung mit Frau Koch stiess der Podcast der NZZ am Sonntag natürlich auf mein grösstes Interesse. Ich finde ihn gut gemacht. Von jüngeren Leuten, die ich um ihr Urteil bat, sagten einige, der Podcast sei zu lang geraten. Ich kann mich diesem Urteil aber nicht anschliessen.
«Freunde und Freundinnen von Ursula Koch, die sie vor Recherchen schützen wollen, beweisen eine höchst problematische Auffassung von Meinungs- und Recherchefreiheit»
Ist es richtig, das Verschwinden der Ursula Koch nochmals in dieser Gründlichkeit zu recherchieren?
Aber sicher! Genauso wie jeder Unternehmer oder Manager damit rechnen muss, dass auch Jahre danach Entscheidungen hinterfragt und recherchiert werden, müssen sich auch Politiker solche Fragestellungen gefallen lassen. Politiker oder Manager dürfen übrigens auch zugeben, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt eine falsche Entscheidung getroffen haben. Wenn man eine verantwortungsvolle Position erkämpft hat, darf man aber sicher nicht einfach abtauchen und schweigen. Freunde und Freundinnen von Ursula Koch, die sie vor Recherchen schützen wollen, beweisen eine höchst problematische Auffassung von Meinungs- und Recherchefreiheit. Der einzige Grund, Recherchen einzustellen, wäre eine ernsthafte Krankheit: Kranke Menschen haben immer das Recht in Ruhe gelassen zu werden.
Welche Rolle, denken Sie, spielten die Journalisten beim Entscheid Kochs, dem ganzen öffentlichen Leben den Rücken zu kehren?Aufgrund meiner Aussagen hier ist klar, dass ich Ursula Koch aufgrund einer einzigen Begegnung beurteile. Vielleicht liege ich ja falsch – was ich eigentlich hoffe: Ihre Sätze erinnern ganz stark an Aussagen von Präsident Trump, der jetzt, Jahrzehnte später, mit ähnlichen Worten recherchierende Journalisten auch als Störenfriede betrachtet. Autoritäre, selbstverliebte Politiker laufen Gefahr, dass sie glauben zu wissen, was dem Volk gut tut oder was nicht. Deshalb hassen solche Politiker die freie Meinungsbildung.
Oder glauben Sie, dass bei Koch vor allem der parteiinterne Druck ausschlaggebend war?
Wenn ich mich richtig erinnere, war am Schluss der parteiinterne Druck ausschlaggebend: Ursula Koch befremdete ihre eigenen Mitglieder durch ihre Kompromisslosigkeit und Unversöhnlichkeit: Die SP ist eine durch und durch demokratische Partei. Was in der laufenden Diskussion übrigens fast völlig vergessen geht: Die grosse städteplanerische Leistung für Zürich-Oerlikon von Ursula Koch.
«Sie hätte es zweifelsohne heute noch schwieriger»
Denken Sie, sie hätte es im heutigen Umfeld einfacher oder schwieriger?
Sie hätte es zweifelsohne noch schwieriger. Damals mussten sich Politiker oder Unternehmer und Manager ausschliesslich mit aufmüpfigen Journalisten herumschlagen, deren Namen und Background sie kannten, Menschen aus Fleisch und Blut. Im Netz hingegen äussern sich heute irgendwelche ungebildeten, sexistischen und rassistischen Knilche anonym und bösartig. Es braucht nicht viel Phantasie sich vorzustellen, welchen Angriffen eine Frau von der Art von Ursula Koch ausgesetzt wäre. Kommunikation und die Vermittlung von Botschaften und Inhalten sind viel anspruchsvoller geworden.
Eine Frage zur aktuellen Krise: Wie sind Sie als Kommunikationsberater von Corona betroffen?
Ich berate seit längerer Zeit einen Chefarzt. Die Fragestellungen haben sich entsprechend geändert. Fast noch wichtiger ist aber: Ich habe am Wochenende zusammen mit meiner Frau in meinem Homeoffice Bilder aufgehängt, weil wir davon ausgehen, dass ich noch eine sehr lange Zeit konsequent von zu Hause aus arbeiten werde. Diese Einschätzung hängt auch damit zusammen, dass ich in einer Familie lebe, die von einer Pharmazeutin, von Ärzten, Ärztinnen, einer Hebamme und einer Pflegeexpertin geprägt ist, deren Urteile sind für mich wichtig. Kommunikation in einer Krisensituation ist massgebend, weil sie immer auch eine Zeit der Gerüchtemacher, Brunnenvergifter, Wichtigtuer und Hochstapler ist.
Befürchten Sie, dass der Krisenmodus noch eine Zeitlang anhält?
Ja. Wenn ich mich irre, umso besser. Der Bundesrat und die Banken haben mit ihrem Hilfsprogramm eine beeindruckende Grundlage gelegt, um zum richtigen Zeitpunkt mitzuhelfen, die Schweiz aus einer Rezession zu führen.
*Peter Hartmeier, heute Partner bei Lemongrass, war zum Zeitpunkt des Rücktritts von Ursula Koch Geschäftsführer des Verbandes Schweizer Medien und damit Organisator des mehrtägigen Verlegerkongresses. Diese Fragen hat er schriftlich beantwortet.
Kommentare
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Angela Preiss, 04.04.2020 07:47 Uhr
Auf Play SRF gibt es eine ganze CLUB Sendung mit Ursula Koch zu diesem Thema, welche die Aussage zur Meinungsfreiheit doch sehr stark relativieren. Aber da muss man halt zuhören wollen.