26.12.2023

Das war 2023

«Es geht schon in Richtung aalglatt»

Mit seiner Firma macht Marcel Juen Spitzenleute aus Politik und Wirtschaft fit für den öffentlichen Auftritt. Ein Gespräch über Tops, Flops und Trends in der Branche und warum er bei Armeechef Süssli nur noch den Feinschliff machen musste.
Das war 2023: «Es geht schon in Richtung aalglatt»
«Was die Kunden verstärkt nachfragen, sind Hilfestellungen für Videobotschaften. Zum Beispiel für den Neujahrsgruss, den die Chefin dem Team aufs Handy schickt»: Kommunikationstrainer Marcel Juen zu Trends in seinem Geschäft. (Bild: zVg, Grafik: Corinne Lüthi)

Marcel Juen, war 2023 ein gutes Jahr für die professionelle Kommunikation?
Ein superspannendes Jahr, weil viel passiert ist. Aber in gewissen Bereichen auch ziemlich wenig. Etwa bei den eidgenössischen Wahlen. Ich fand das einen sehr langweiligen Wahlkampf. Er war nicht so kontrovers im Vergleich zu früher.

Betreuten Sie auch Kandidatinnen und Kandidaten?
Der Wahlkampf hat uns sehr beschäftigt. Wir hatten Kundschaft aus dem gesamten politischen Spektrum. Wichtig ist natürlich, dass es keine Interessenkonflikte gibt. Das war immer sehr spannend, man ist am Wahlsonntag persönlich am Mitfiebern: Wer schafft es, wer schafft es nicht? Wem schicken wir einen Schampus und wem einfach eine Dankeschön-Karte?

Wie hoch war Ihre Erfolgsquote?
(Lacht.) Viele, die wir betreut haben – aber nicht alle – schafften die Wahl. Ich darf keine Namen nennen. Bisherige hatten es natürlich einfacher. Es ist eine andere Ausgangslage, eine Stammwählerschaft zu mobilisieren. Aber es waren auch ein paar Überraschungen dabei.

Inwiefern nehmen Sie die Verantwortung auf sich für jene Kunden, die nicht gewählt wurden?
Gute Frage. Ich bin ein sehr selbstkritischer Mensch. Der Wahlerfolg hängt von sehr vielen Faktoren ab, auf die wir keinen Einfluss haben, etwa vom Listenplatz. Aber wenn es jemand nicht geschafft hat, dann nicht wegen uns.

«Armeechef Süssli zeigt Haltung, er ist greifbar – auch angreifbar von der Gegenseite, aber die Bevölkerung weiss, wofür er steht»

Welcher Auftritt einer öffentlichen Person ist Ihnen 2023 in besonders guter Erinnerung geblieben?
Richtig toll finde ich den Chef der Armee, Thomas Süssli. Er ist sehr nahbar gegenüber der Bevölkerung, er ist sehr klar und er bringt sehr viel gute Beispiele, welche die Leute verstehen. Das sah man zum Beispiel beim Auftritt Mitte August in Kloten mit dem neuen Armeebericht. Das war so gut inszeniert und auf den Punkt gebracht, sehr schweizerisch, sehr nahbar. Das hat sehr viel zum Verständnis beigetragen, wo die Armee hingehen will. Süssli zeigt Haltung, er ist greifbar – auch angreifbar von der Gegenseite, aber die Bevölkerung weiss, wofür er steht.

Das ist jetzt auch Eigenlob. Süssli ist Ihr Kunde.
Nein, das ist kein Eigenlob. Süssli war schon sehr gut, bevor er zu uns kam. Wir machten dann noch den Feinschliff.

Welcher Auftritt ging 2023 richtig daneben?
Es war nicht nur in diesem Jahr der schlimmste Auftritt. Ich lehne mich jetzt aus dem Fenster: Es war der schlimmste Auftritt, den ich jemals gesehen habe. Das war die Medienkonferenz zum Ende der Credit Suisse. Vieles daran war so schwach. Die war wirklich nicht gut.

Wie kommen Sie zu dem Urteil?
Generell kam das Ganze nicht empathisch genug rüber und nicht demütig genug. Man muss sich das schon noch einmal vorstellen: Es ist ja nicht irgendwas, das hier begraben wurde. Es ist die Credit Suisse. Das war eine Institution dieses Landes. Viele Leute hatten ihr Erspartes, ihre Hypotheken bei dieser Bank. Die CS war ein Teil der Schweiz.

«Wenn man eine Handgranate zündet, gibt es eh einen Klapf, man muss sie nicht in Watte packen»

Und was genau waren die Fehler?
Niemand hat die Verantwortung übernommen. Jeder hat etwa fünfmal wiederholt, was in den Monaten zuvor passiert ist. Und es klang dann so: Okay, nun ging halt die Credit Suisse den Bach hinunter, jetzt ist sie bei der UBS, das Leben geht weiter. Bundespräsident Alain Berset beispielsweise brauchte extrem viel Zeit, bis er die Katze aus dem Sack gelassen hatte, bis er sagte, die UBS übernimmt die CS. Er hat zuerst noch einmal die ganze Geschichte aufgerollt. Das wusste man schon alles. Nach dem Einmaleins der Krisenkommunikation ist das verkehrt: Zuerst kommt die Botschaft. Wenn man eine Handgranate zündet, gibt es eh einen Klapf, man muss sie nicht in Watte packen.

Und die anderen Personen?
Die waren nicht besser. Marlene Amstad von der Finma nannte als Hauptgrund für den Niedergang der CS den ominösen Tweet eines australischen Journalisten. Wenn eine Finma nicht nur der Schweiz, sondern der Weltöffentlichkeit sagt, das Ganze sei deshalb passiert, weil ein Journalist einen Tweet abgesetzt hat, dann ist das wirklich oberpeinlich.

Und Credit-Suisse-Präsident Axel Lehmann?
Er hat zwar bedauert, was passiert ist, aber keine Verantwortung übernommen. Dann hat ein Journalist gefragt, wer ist schuld am Niedergang. Und die Schuldfrage ist ja mehr als berechtigt. Als Lehmann dann antwortete, wir schauen nicht zurück, sondern nach vorn, fand ich, wer auch immer ihn beraten hat, das war eine Katastrophe. Keine Nähe zum Publikum, keine Demut, keine Empathie, einfach nichts. Dass man nach vorn schaut, ist eine wichtige Botschaft, aber mal Stellung beziehen und hinstehen, gerade in der Schweiz, ist mindestens so wichtig. Und Finanzministern Karin Keller-Sutter war kaum besser. Die Nahbarkeit war bei allen ziemlich schlecht, obwohl das ganze Land vor den Fernsehgeräten sass.

«Wir halten mit unseren Video- und Audioanalysen vor allem den Spiegel hin»

Manche öffentlichen Figuren bleiben gerade wegen Ausrutschern und Peinlichkeiten in sympathischer Erinnerung, so auch mehrere Bundesräte. Wird das mit professionellem Coaching zunehmend abtrainiert?
Da gibt es in der Branche unterschiedliche Haltungen. Es gibt schon die Haltung bei gewissen Agenturen, die sagen: Schau, du musst genau so hinstehen und den Arm so anwinkeln und genau dann bewegen. Das wirkt dann sehr schnell einstudiert und ist nicht mehr echt. Und kann so auch peinlich wirken. Wir haben eine ganz andere Haltung bei uns im Team. Wir wollen, dass eine Protagonistin, ein Protagonist echt wirkt, Ecken und Kanten sollen greifbar bleiben. Wir halten mit unseren Video- und Audioanalysen vor allem den Spiegel hin.

Wie stark spielen in Ihrem Geschäft globale Trends eine Rolle?
Es geht schon in Richtung aalglatt, jedem alles recht machen. Ich habe den Eindruck, dass das Juristische immer mehr Einfluss hat: Bloss nichts Falsches sagen, damit es keine Klage gibt. Das kratzt extrem am Nahbaren, Sympathischen, das wir in der Schweiz pflegen. Ganz so schlimm wie im Ausland ist es aber nicht in der Schweiz. Es kommt auch auf die Branche an. Bei börsenkotierten Unternehmen ist es natürlich heikler. Wenn wir beispielsweise jemanden aus der Finanzbranche vor einem Auftritt coachen, dann ist auch mal ein Jurist dabei. Was ich vor allem wichtig finde: Der Protagonist entscheidet am Schluss selbst. Ich gebe Empfehlungen ab.

Gibt es noch Naturtalente, die ohne Coaching authentisch kommunizieren?
Jeder darf trainiert sein, egal auf welchem Level (lacht).

Können auch völlig untalentierte Personen mit Coaching einen anständigen Auftritt hinlegen?
Auf jeden Fall. Sagen wir es mit Schulnoten: Wenn jemand mit einer Zwei bei uns reinkommt, geht er mit einer Vier raus, aber er gewinnt noch keine Goldmedaille. Wir können das Selbstvertrauen stärken. Das strahlen sie dann auch aus. Das sieht man in den Augen, man hört es in der Stimme. Es gibt eine gewisse Ruhe und Sicherheit, wenn sie die Mechanismen kennen. Ich habe seit Jahren einen Ständerat als Kunden, der braucht einfach mehr Training als andere. Schliesslich gilt: Übung macht den Meister. Wenn du einmal pro Jahr bei uns bist, dann ist das gut. Wenn du viermal kommst, dann ist die Lernkurve steiler. Es gibt aber schon unterschiedliche Talente, wie bei allem im Leben.

Gleichzeitig ist es auch ein Geschäft. Mehr Training bringt Ihnen mehr Geld. Wie gross ist die Versuchung, jemandem noch ein Modul anzudrehen, das er gar nicht braucht?
Dazu eine Anekdote aus meinem ersten Geschäftsjahr: Als ich mich selbstständig gemacht hatte vor bald zehn Jahren und auf jeden Franken angewiesen war, kam eine Regionalbank und schickte das Management zu mir. Bei der Beratung im Vorfeld fanden sie das Angebot so cool, dass sie das ganze Setting gleich verdoppeln wollten. Das wäre mit Abstand der grösste Auftrag gewesen in der Anfangsphase und ich dachte schon, wow, neue Kameras, neue Mikrofone, vielleicht doch mal einen Lohn. Aber ich blieb mir selbst treu und sagte Nein: Ich verkaufte nur das, was die Leute brauchen. Das Ehrliche kommt bei den Leuten extrem gut an.

«Was die Kunden verstärkt nachfragen, sind Hilfestellungen für Videobotschaften. Zum Beispiel für den Neujahrsgruss»

Welche Dienstleistungen waren 2023 besonders nachgefragt?
Grundsätzlich wollen die Leute im Management weiterhin Rhetorik- und Auftrittskompetenz und Medientraining für interne und externe Kommunikation. Was die Kunden verstärkt nachfragen, sind Hilfestellungen für Videobotschaften. Zum Beispiel für den Neujahrsgruss, den die Chefin dem Team aufs Handy schickt. Das kommt immer mehr. Es ist ein Machtinstrument, im positiven Sinn. Wenn du als Chef ein cooles Video machst und dich damit an die Mitarbeitenden wendest, persönlich mit der eigenen Stimme und dem Ausdruck in den Augen, in den Pupillen, gut wirkst, dann ist das top. Handkehrum: Wenn es mies ist, ein Rumgewurstel ist, ist es ein Super-GAU, das darf natürlich nicht passieren. Dann lieber bleiben lassen.

Apropos Social Media: 2023 war die Entwicklung von Twitter, respektive X, ein grosses Thema. Würden Sie heute einer Führungspersönlichkeit noch empfehlen, auf dieser Plattform aktiv zu sein?
Für uns war das fast kein Thema. Ich habe den Eindruck, dass Twitter oder X je länger je weniger ein Thema ist. Wir hatten auch keine Anfragen dazu. Wenn ein Neukunde kommt und sich positionieren möchte, dann stellt sich am Anfang sowieso nicht die Frage Twitter ja oder nein, sondern die Auslegeordnung mit der Roger-Schawinski-Frage: Wer bist du? Und daraus entwickeln wir eine Strategie. Häufig ist Twitter gar nicht relevant und wir machen etwas ganz anderes. LinkedIn ist der Megatrend.

Seit Corona wird verstärkt per Video kommuniziert. Welche technischen Trends zeigten sich hierzu in diesem Jahr?
Neben den eigentlichen Videoplattformen wie MS Teams gibt es inzwischen ganz viele digitale Tools wie Slido, um das Onlinepublikum aktiv miteinzubeziehen. Ich nehme wahr, dass das wieder verschwindet. Man besinnt sich auf das Ursprüngliche, die eigentliche Videokonferenz.

Spielt künstliche Intelligenz eine Rolle bei der professionellen Videokommunikation?
Erst eine kleine. Es gibt vereinzelt Ansätze. Ich bin extrem gespannt, was dabei herauskommt. Aber bei der Videokommunikation sehe ich vieles auch skeptisch. Etwa die künstlichen Hintergründe oder auch die Avatare. Die sehen zwar megagut aus, aber es ist nicht echt. Ich bin ein starker Verfechter davon, dass Kommunikation echt sein muss. Und das sind ein Avatar und ein künstlicher Hintergrund nicht. Das Authentische, Nahbare ist für die Glaubwürdigkeit des ganzen Settings sehr wichtig.

«Was auch sehr stark kommt, ist die Personifizierung von Figuren»

Womit ist 2024 zu rechnen in Sachen professioneller Kommunikation?
Ich gehe davon aus, dass sich gewisse Trends verfestigen werden, wie etwa Video, das noch mehr ein Thema sein wird. Was auch sehr stark kommt, ist die Personifizierung von Figuren. Es ist eben nicht nur Frau CEO, sondern sie muss auch Ecken und Kanten haben und auch einen privaten Touch zeigen.

Nimmt das Bedürfnis nach Kommunikationstraining zu?
Das beobachte ich schon. Es ist natürlich auch eine Budgetfrage. Ein KMU mit drei Leuten, das knapp über die Runden kommt, hat andere Sorgen, als Präsentationstechniken zu lernen. Aber es kommen schon auch Kleine zu uns. Wir behandeln alle gleich und der Preis ist fair.

Woher kommen Ihre Kunden?
Aus ländlichen Kantonen kommt klar weniger Kundschaft. Das zeigt sich etwas bei unserem Kundenstamm im Bereich Politik. Was auch damit zu tun hat, dass beispielsweise ein Ständeratswahlkampf im Kanton Uri ganz anders abläuft als in Zürich. Auf dem Land kennen sich die Leute eher noch, die Kinder gehen zusammen in den Fussballklub, man sieht sich am Elternabend oder an der Migros-Kasse. Dadurch läuft auch die Kommunikation anders und braucht weniger Beratung, weil man sein Publikum oft direkt kennt und sieht und nicht primär über die Medien kommunizieren muss, obwohl die schon auch wichtig sind.

In der Serie «Das war 2023» greifen wir die grossen Themen des Jahres in kompakter Form nochmals auf. Hier finden Sie die Übersicht.


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