05.09.2005

"Es gibt keine Revolution in der Kommunikation des Bundesrates"

Oswald Sigg ist erst seit kurzem Bundesratssprecher und wurde durch die Unwetterkatastrophe gleich speziell gefordert. Das Auftreten und die Kommunikation des Bundesrates wurden in den Medien kritisiert. "persoenlich.com" wollte wissen, ob der Bundesratsprecher nur Übermittler ist oder die Informationspolitik der Regierung aktiv mitgestalten kann. Im Interview erklärt Oswald Sigg, was er unter offener, transparenter Kommunikation versteht.
"Es gibt keine Revolution in der Kommunikation des Bundesrates"

Oswald Sigg, Sie waren persönlich vom Hochwasser betroffen und mussten vorübergehend in ein Hotelzimmer ziehen. Deshalb zuerst die Frage: wie geht es Ihnen und Ihrer Familie?

Danke, es geht uns gut. Es hat uns nicht so schlimm getroffen wie andere. Meine Frau und ich haben zwei Wochen in einem kleinen Hotelzimmer genächtigt und konnten inzwischen unsere Wohnung wieder beziehen. Warmwasser und Fernsehen fehlen noch. Ohne Warmwasser ist es wirklich etwas schwierig …

Die Hochwasserkatastrophe hat den Bundesrat stark gefordert. Herrscht in einer solchen Situation auch ein Ausnahmezustand für den Bundesratssprecher?

Die Kommunikation des Bundesrates bei einer solchen Katastrophe entspricht sicher nicht dem so genannten "Courant normal". Aber das darf den Bundesratssprecher nicht in einen Ausnahmezustand setzen. In solchen Lagen hat er dem Bundesrat zu empfehlen, was und wie er kommunizieren soll.

Die bundesrätliche Erklärung zur Unwetterkatastrophe wurde von Ihnen vorgetragen. Dies hat dem Bundesrat Kritik eingetragen. Haben Sie das kommen sehen?

Ja.. Samuel Schmid war zuvor an jedem Tag an die Öffentlichkeit getreten. Der Gesamtbundesrat hat daher entschieden, dass der Bundesratssprecher diese Erklärung vorliest. Dies in der Meinung, es ist sinnvoller, der Bundespräsident geht persönlich in das Schadensgebiet, um vor Ort mit den Leuten und Behörden zu reden, anstatt in Bern an einem Tisch eine Erklärung vorzutragen. Ob der Bundespräsident am dritten Tag dieser Katastrophe wieder vor der Presse hätte auftreten sollen, ist eine Frage der Einschätzung.

Wurde das Vorgehen des Bundesrates in der Bevölkerung auch so negativ aufgenommen wie in den Medien?

Wie ich feststellen konnte, ist das Vorgehen von Bundespräsident Schmid bei der Bevölkerung und bei den Betroffenen durchaus verstanden worden -- im Gegensatz zu einigen Medien. Samuel Schmid hat aber auch immer wieder betont, dass gerade dort, wo Aufräumarbeiten und Rettungsarbeiten notwendig sind, Behördenbesuche, welche sehr viele Mittel binden, gar nicht so gerne gesehen werden. Darum war der Bundespräsident ziemlich zurückhaltend. Wenn Politiker aller Stufen die Schadensgebiete bereisen, um Anteil zu nehmen, wird das nur bis zu einer gewissen Grenze positiv aufgenommen. Solche Besuche können schnell eher als Störung und Erschwernis bei den Rettungsarbeiten empfunden werden.

Der Auftritt von Samuel Schmid beim Champions League-Spiel des FC Thun ist auch nicht gerade auf positive Resonanz gestossen. Machen solche Reaktionen dem Bundesratssprecher das Leben schwer?

Ein sensibler und mimosenhafter Mensch hat es als Bundesratssprecher nicht gerade leicht. Das bin ich aber nicht. Der Vorschlag des Blick, jeder Bundesrat solle die Stiefel anziehen und im Hochwasser rumlaufen, war vielleicht gut gemeint, aber völlig absurd. Vor einer solchen Dummheit muss man den Bundesrat nicht bewahren, auf diese Idee käme er gar nicht. Es haben sich mit Samuel Schmid und Moritz Leuenberger in erster Linie die Bundesräte im Schadensgebiet aufgehalten, die den verantwortlichen Departementen vorstehen. Die Armee und der Zivilschutz haben sehr viel geleistet. Tausende Angehörige dieser Sicherheitskräfte standen im Einsatz. Es ist nichts als anständig, dass der verantwortliche Minister seine eigenen Leute, die grosse Arbeit leisten, besucht und unterstützt.

Sind Sie als Bundesratsprecher nur Übermittler oder haben Sie auch Mitspracherecht bei den Entscheidungen über das Wie und Wann von öffentlichen Mitteilungen und Auftritten?

Bei wichtigen Auftritten von Bundesräten -- vor allem auch bei gemeinsamen Auftritten vor oder nach Abstimmungen oder bei departementübergreifenden Geschäften -- redet der Bundesratssprecher normalerweise mit. Die Departemente konsultieren mich und ich bringe dann meine Vorschläge ein. Die Entscheidung über die Kommunikation liegt aber schliesslich beim Bundesrat und den entsprechenden Departementchefs und nicht beim Bundesratssprecher. Ich habe eine beratende Funktion.

Sie haben vor Ihrem Amtsantritt gesagt, ein zentrales Element der politischen Glaubwürdigkeit sei die Transparenz und wollten den Bundesrat so präsentieren, wie er ist. Haben Sie Ihre Vorstellung der offenen Information umsetzen können?

Wenn Sie als Losung "mehr Transparenz" herausgeben, kann das nicht bereits am anderen Tag spürbar sein. Spreche ich von "mehr Transparenz", gehe ich davon aus, dass bereits eine gewisse Transparenz geherrscht hat. Will man mehr Transparenz herstellen, ist das ein Prozess, der nicht innerhalb von drei Wochen abgeschlossen ist. In den Gesprächen mit den Mitgliedern des Bundesrates bin ich auf ein positives Echo gestossen. Ich möchte aber betonen: es gibt keine Revolution in der Kommunikation des Bundesrates. Da muss man sich keine Illusionen machen.

Ein Beispiel für offene, transparente Kommunikation -- welches übrigens nicht auf meine Initiative hin entstanden ist -- ist die Tatsache, dass Bundesrat Deiss vor die Presse gegangen ist, um über die Weiterentwicklung in der Panzerexport-Frage -- und vor allem über die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Weiterverkauf der Panzer durch die Vereinigten Arabischen Emirate nach Marokko -- zu informieren. Dass diese Informationen von Bundesrat Deiss gekommen und nicht durch eine Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangt sind, entspricht meiner Vorstellung von aktiver Kommunikation. Es wurde nicht zugewartet, bis es jemand merkt.

Sie verfügen bereits über langjährige Erfahrung in Bundesbern, kennen also die Abläufe. Besteht nicht die Gefahr einer bestimmten Anpassung und Bequemlichkeit?

Das ist tatsächlich ein Problem. Wer schon Jahrzehnte in diesem Umfeld gearbeitet hat, den erstaunt nicht mehr viel. Dessen muss man sich bewusst sein. Es ist nötig, die normalen Abläufe immer wieder in Frage zu stellen und zu überprüfen, ob man etwas besser machen kann. Auf der anderen Seite bringt meine Erfahrung und mein Alter den Vorteil mit, dass die Leute wissen, dass da nicht ein neuer kommt, der noch Karriere machen will. Meine Empfehlungen werden so sicher besser akzeptiert, als von einem 35-jährigen Marketingberater aus Zürich-Höngg.

Wie wichtig ist es für einen Bundesratssprecher, dass er von allen Parteien geschätzt wird?

Das ist sehr wichtig. Der Bundesratssprecher muss eine neutrale Haltung haben. Er ist nicht für ein Departement oder einen Departementchef tätig. Er muss für den Bundesrat als Kollegialbehörde sprechen. Darum ist die Akzeptanz über die Parteien hinweg sehr wichtig.

Die Wahl eines Deutschschweizers zum Nachfolger von Achille Casanova im Amt des Bundesratssprechers war in der lateinischen Schweiz stark kritisiert worden. Haben Sie Verständnis für diese Haltung?

Es ist eine Tatsache, dass die lateinischen Minderheiten in Bundesbern notorisch untervertreten sind -- heute noch mehr als vor zwanzig Jahren. Daher habe ich diese geharnischte Reaktion gut verstanden. Ich kann hingegen überhaupt nicht verstehen, dass sich die sprachlichen und kulturellen Minderheiten untereinander in die Haare geraten sind. Meiner Kollegin Corina Casanova die rätoromanische Herkunft abzusprechen und Sie als Deutschweizerin einzustufen, das fand ich einen Skandal.

Sie haben sich im Anschluss an Ihre erste Bundesratssitzung auf Italienisch an die Medien gewandt und versprochen, sich in dieser Landessprache zu verbessern. Wie sieht der aktuelle Stand aus?

Zum Zeitpunkt dieses Gesprächs komme ich gerade aus der letzten Italienischstunde. Ein Schweizerischer Regierungssprecher muss in der Lage sein, alle drei Amtssprachen zu verstehen und sich darin auszudrücken. Meine mangelnden Italienischkenntnisse waren ursprünglich auch mit ein Grund dafür, warum ich mich nicht für den Posten des Bundesratssprechers gemeldet habe. Nachdem ich dann aber trotzdem in dieses Amt berufen wurde, fühlte ich mich verpflichtet, dieses Defizit nachzuholen.



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