16.06.2020

Agile Unternehmenskultur

«Für grössere Treffen mieten wir ein Airbnb»

Obwohl die meisten Angestellten zurück ins Büro könnten, arbeiten viele weiter von zu Hause aus. Wie können beide Seiten davon profitieren? Mike Zurbrügg, Mitgründer von Thirty3, ist Experte für Homeoffice – denn er kennt es nicht anders.
Agile Unternehmenskultur: «Für grössere Treffen mieten wir ein Airbnb»
«Das Homeoffice ist nicht für alle geeignet», sagt Mike Zurbrügg, Co-Gründer und Finanzchef von Thirty3. (Bilder: zVg.)
von Christian Beck

Herr Zurbrügg, würden Sie sich als Homeoffice-Fan bezeichnen?
Homeoffice-Fan ist vielleicht der falsche Begriff, aber ich sehe durchaus viele Vorteile bei Remote Work, sprich dem ortsunabhängigen und dezentralen Arbeiten. Zum Beispiel Fokus, Produktivität und eine individuelle Arbeitsumgebung sind nur ein paar wenige Gründe, die dafür sprechen.

Sie sprechen von Remote Work und nicht von Homeoffice. Arbeiten Sie mehrheitlich gar nicht zu Hause?
Im Schnitt wahrscheinlich 60 Prozent von zu Hause und 40 Prozent von unterwegs, sprich Kundentermine, Co-Working-Spaces und öffentliche Einrichtungen wie Restaurants und Cafés.

Ihr Start-up Thirty3 hat seit der Gründung 2019 noch nie Büroräumlichkeiten gehabt. Weil Sie sich es nicht leisten können?
Es war uns von Anfang an klar, dass wir auf innovative Arbeitsmethoden setzen. Natürlich ist es für ein Jungunternehmen auch wichtig, die Kosten im Griff zu haben. Deshalb sind wir sehr zufrieden mit dem aktuellen Setting.

Mittlerweile haben Sie 17 Mitarbeitende in sechs Ländern. Funktioniert dezentrales Teamwork?
Als Unternehmen in der digitalen Produktentwicklung ist für uns Geschwindigkeit, Effizienz und ein crossfunktionales Team von hoher Bedeutung. Im dezentralen Teamwork kann man nicht nur mit Leuten aus verschiedenen Zeitzonen zusammenarbeiten und so die Geschwindigkeit in der Entwicklung erhöhen, sondern wir können auch kosteneffizienter entwickeln und komplementärere Teams zusammenstellen. Nach einem Test im letzten Herbst und somit vor Covid-19 haben wir uns entschieden, dass wir uns als «Remote First Company» positionieren.

«Funktionieren gewisse Basics nicht, funktioniert Remote-Work nicht»

Wie muss ich mir einen typischen Arbeitstag bei Ihnen vorstellen? Dauernd in Online-Meetings?
Gewisse Strukturen sind die Bedingung, damit unser Arbeitsmodell funktioniert. So starten wir mit einem «Daily Stand-up»-Meeting. Für jedes Produkt, das wir mit unseren Kunden zusammen erarbeiten, gibt es regelmässige Meetings. Zentral dabei ist nicht die Länge der Calls, sondern ein regelmässiger Kontakt und konstanter Informationsaustausch. Dies ist nicht nur zentral für die Qualität unserer Arbeit und das Endprodukt, sondern auch für die Vertrauensbildung zum Kunden. Funktionieren gewisse Basics nicht, funktioniert Remote-Work nicht.

Sie treffen Ihre Kunden also vorwiegend online. Wann ist ein persönliches Treffen angebracht?
Das kommt immer auf die Bedürfnisse unserer Kunden und potenziellen Kunden drauf an. Wir sind da ziemlich offen. Ich glaube aber die letzten Monate haben gezeigt, dass man sich nicht für jedes Meeting persönlich treffen muss. In der Anfangsphase eines Projektes kann aber ein Treffen auch von Vorteil sein, um sich kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen.

Sie vereinsamen doch …
Einsamkeit kennen wir nicht, wir stehen sehr oft in Kontakt. Denn: Remote arbeiten heisst nicht, dass wir uns nie persönlich treffen. Wir haben einfach kein gemeinsames Büro. Persönlicher Austausch ist und bleibt wichtig. Zurzeit arbeiten wir an einem «hybriden Modell»: Wenn alle Grenzen wieder offen sind, könnten wir uns auch einen mehrtägigen Zusammenzug zwei bis vier Mal pro Jahr irgendwo auf der Welt vorstellen.

Andere Firmen definieren das «hybride Modell» anders. Beispielsweise Frontify in St. Gallen: Da sind Büros vorhanden, die Mitarbeiter können aber selber entscheiden, wo Sie arbeiten. Kommt so ein Modell für Sie nicht infrage?
Ein ähnliches Modell wie das von Frontify haben wir bereits getestet. Wir haben jedem unserer Mitarbeiter eine Co-Working-Membership bei «Spaces» zu Verfügung gestellt. Damit kann man praktisch in jeder grösseren Stadt weltweit Büroräumlichkeiten nutzen. Gleichzeitig gilt es auch als Begegnungsort und Austausch mit anderen Unternehmungen und Personen. Wir haben jedoch festgestellt, dass uns dieses Angebot im Moment nur begrenzt einen Mehrwert bringt. Denn: Wenn wir unsere Mitarbeiter treffen wollen, mieten wir ein etwas grösseres Airbnb, wo wir gleichzeitig auch wohnen. Oder wir nehmen Meetingräume auf Tagesbasis.

«Unser Arbeitsmodell ist eine Win-win-Situation»

Sie sagten es eingangs: Ohne Büroräumlichkeiten sind die Kosten tiefer und die Effizienz höher. Es profitiert also vor allem die Firma.
Unser Arbeitsmodell ist eine Win-win-Situation. Unsere Kunden profitieren von tieferen Kosten. Und unsere Mitarbeitende haben viel Flexibilität in ihrem Arbeitsalltag bei einem marktüblichen Lohn gemäss ihrer Qualifikationen und der Berufserfahrung. Unsere tiefen Infrastrukturkosten erlauben uns also dort zu investieren, wo wir sie als Jungunternehmen benötigen – zum Beispiel in neue Ideen und Angebote.

Bezahlen Sie Ihren Mitarbeitern auch die Infrastruktur zu Hause?
Als Jungunternehmen arbeiten wir noch daran, gewisse Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit zu justieren. Kommunikation ist bei uns zentral – daher ist eine gute Internetverbindung unabdingbar. Ausdrucken müssen wir hingegen kaum etwas, diese Kosten fallen weg.

Ganz konkret: Was bezahlen Sie Ihren Mitarbeitern? Die Internetkosten? Oder auch einen Teil der Miete für Büroräumlichkeiten?
Der Vertrag mit unseren Mitarbeitern regelt, dass wir die nötige Infrastruktur für die Ausübung der Arbeit zu Verfügung stellen – falls gewünscht und notwendig. In unserem Fall betrifft dies Internet und Hardware.

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Sie haben jetzt nur Vorteile aufgezählt. Welche Nachteile gibt es im Homeoffice?
Ganz klar gibt es auch Nachteile. Das Homeoffice ist nicht für alle geeignet. Zum Beispiel bei Familien mit Kindern, die noch keine Fremdbetreuung haben oder haben können. Dies ist keine einfache Situation und hat speziell während der Covid-19-Krise zu Problemen geführt. Wenn man sich nie persönlich sehen würde, kann das mittelfristig auch zu einem schlechteren Teamspirit führen, davon bin ich überzeugt.

Wären Sie auch bereit, den Mitarbeitenden die Kinderbetreuung zu bezahlen? Oder muss das jeder selber regeln?
Mehrere Personen in unserer Firma haben eine Familie mit Kindern, so auch meine beiden Geschäftspartner. Genau weil wir uns bewusst sind, dass dies zu Hause zu Herausforderungen führen kann, haben wir das hybride Experiment mit den Co-Working-Spaces durchgeführt. Grundsätzlich erlauben wir unseren Mitarbeitenden viel Flexibilität, um Arbeit und Privatleben unter einen Hut zu bringen. Zusätzlich unterstützen wir mit Lösungen – indem wir zum Beispiel Eintritte zu Co-Working-Spaces übernehmen. Aus diesem Grund leisten wir keinen finanziellen Beitrag an die Kinderbetreuung, aber wir bemühen uns, gemeinsam die beste Lösung zu finden.

«Man sollte die Mitarbeiter befragen und das Resultat ernst nehmen»

Während des Lockdowns haben in der Schweiz 335'000 Personen zusätzlich im Homeoffice gearbeitet (persoenlich.com berichtete). Sollen sie am besten gleich dort bleiben?
Das muss jede Unternehmung – je nach Geschäftsmodell – für sich selber entscheiden. Schlussendlich muss es zur Unternehmung passen und mit den zukünftigen Herausforderungen zu vereinbaren sein. Auf jeden Fall sollte man die Mitarbeiter befragen und das Resultat ernst nehmen.

Auch internationale Konzerne entdecken Homeoffice. Facebook-Chef Mark Zuckerberg rechnet damit, dass in zehn Jahren jeder zweite Mitarbeiter nicht mehr im Büro sein wird. Halten Sie das für realistisch?
Ich erachte dies als sehr wahrscheinlich. Die Corona-Pandemie hat bewiesen, dass viele Geschäftsmodelle auch von zu Hause aus funktionieren. Ich glaube aber nicht, dass gemeinsame Büros in Zukunft ganz verschwinden werden.

Twitter will es den Mitarbeitern überlassen, wo sie arbeiten möchten – ähnlich wie Frontify in St. Gallen. Das birgt doch für ein Unternehmen viele Unsicherheiten …
Es braucht auf jeden Fall gewisse Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit – wie zum Beispiel Erreichbarkeit, Kommunikationskanäle und regelmässigen Austausch. Mir ist es als Unternehmer wichtig, dass unsere Mitarbeiter ihre Ziele und am Ende die Ziele des Unternehmens erreichen. Ob das jemand von der Strandbar aus erledigt oder von zu Hause aus, ist für mich nicht relevant.

Sie beschäftigen hauptsächlich Researcher, Designer, Software-Engineers und Marketeers. Eignet sich für Firmen, wie Sie eine haben, Homeoffice besonders gut?
Den Leuten die Möglichkeit zu geben, Remote zu arbeiten, ist Win-win. Wir bekommen so Zugriff auf Talente, die wir sonst nie bekommen würden. Stellen sie sich vor, eine Mitarbeiterin, die bei uns im Bereich Design Strategy arbeitet, lebt in Prag und zieht nächstens zu ihrem Lebenspartner nach Mailand. Wenn wir ihr gesagt hätten, wir stellen dich nur ein, wenn du nach Warschau oder Zürich kommst, würden wir nicht mit ihr zusammenarbeiten.

Welche andere Branchen könnten Ihrer Ansicht genauso wie Ihre Firma gut auf Remote-Work umstellen und gänzlich auf Büros verzichten?
Es ist schwierig dies auf Branchen zu reduzieren, aber die Digitalisierung generell ermöglicht es immer mehr und mehr Personen, auch zum Beispiel physische Objekte aus der Ferne zu beurteilen. Rein theoretisch sind es alle Personen, die mehrheitlich am PC arbeiten, keine physischen Kundenkontakt haben und nicht von einer fest installierten firmeneigenen Hardware abhängig sind. Ob dies im Einzelfall Sinn macht, wage ich nicht zu beurteilen.

«Pflanzen wachsen nun mal tendenziell in der Natur»

Gärtner, das Spitalpersonal oder Mitarbeitende des Detailhandels werden kein Homeoffice machen können. Entsteht da nicht eine Zweiklassen-Gesellschaft?
Ich finde ein Zweiklassen-Gesellschaft trifft hier nicht zu. Der Gärtner ist ja Gärtner, weil er wahrscheinlich gerne mit Pflanzen zu tun hat, die wachsen nun mal tendenziell in der Natur.

Ihre Firma ist stark gewachsen. Operationelle Sitze haben Sie in Zürich, Polen und Mexiko. Warum ausgerechnet dort?
Wir bauen auf unseren guten Erfahrungen auf, das macht für uns Sinn. Im Gründungsteam sind wir zwei Personen aus der Schweiz und einer aus Polen. Wir haben uns alle beim letzten Job kennengelernt und haben dort bereits mit einem Engineering-Team aus Polen zusammengearbeitet. Mexiko sind wir am Aufbauen, weil wir der Meinung sind, dass es dort extrem gute Designer gibt, wir den Zeitunterschied gut nutzen können und Mexico City als nächsten Tech-Hub für Latinamerika gilt.

Wie gross kann Ihre Firma noch werden, bis Sie irgendwann sagen, dass es jetzt doch physische Büros braucht?
Das hängt von vielen Faktoren ab – zum Beispiel vom Geschäftsmodell und den Bedürfnissen der Mitarbeiter. Für den Fall eines Workshops mit Kunden, können wir uns jederzeit in einen Co-Working Space einmieten. Die Grösse einer Firma spielt dabei meines Erachtens keine Rolle.

Und nun: Wohin gehen Sie jetzt mit Ihrem Laptop, um weiterzuarbeiten?
Es ist warm und sonnig. Ich suche mir draussen irgendwo ein ruhiges Plätzchen.



Thirty3 ist eine digitale Produktentwicklungsfirma und unterstützt Start-ups und Innovationlabs. Die Firma ergänzt mit ihren multidisziplinären Teams Gründer und Innovatoren dort, wo eine Lücke an Expertise vorhanden ist.



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