15.06.2020

Serie zum Coronavirus

«Ich bin kein Freund von Homeoffice»

Folge 65: Silvan Grütter, Chefredaktor der Coopzeitung, hat in Basel eine Gelassenheit entdeckt, die er in Zürich nicht spürte.
Serie zum Coronavirus: «Ich bin kein Freund von Homeoffice»
Silvan Grütter ist seit 2017 Chefredaktor der Coopzeitung. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Grütter, Sie arbeiten als Zürcher in Basel. Hat man am Rhein anders auf Corona reagiert als an der Limmat?
Das hat man tatsächlich! Als Pendler sehe ich den Unterschied tagtäglich: Die Basler reagierten in der Krise deutlich gelassener als die Zürcher. Die bundesrätlichen Regeln und Empfehlungen wurden zwar auch in Basel befolgt. Aber die Stimmung am Rhein war und ist spürbar weniger bedrückt als an der Limmat. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass die Basler nach der Absage der Fasnacht nichts mehr erschüttern konnte … 

Sind Sie und Ihre Redaktion bereits wieder vor Ort oder machen Sie noch Homeoffice?
Ich bin kein Freund von Homeoffice, Videokonferenzen und Chats. Ich mag den Austausch von Mensch zu Mensch und die Gespräche am Kaffeeautomaten, vor der Toilette oder quer durchs Büro. Ich selber bin die ganze Zeit über mit dem Zug gependelt und bin froh, dass inzwischen die Hälfte der Redaktorinnen und Redaktoren wieder vor Ort in Basel ist. Guter Journalismus ist Teamarbeit und basiert auf persönlichen Kontakten, davon bin ich überzeugt. Kolleginnen und Kollegen, die sich freuen, wenn sie nicht mehr unter die Leute gehen müssen, sind mutmasslich im falschen Job.

Was waren für Sie die grössten Umstellungen während der letzten Wochen?
Das Informationsbedürfnis der Leserinnen und Leser der Coopzeitung, aber auch der 50’000 Mitarbeitenden von Coop, war enorm. In der Zeitung informierten wir laufend über die aktuellen Entwicklungen und Massnahmen von Coop, und für die interne Kommunikation lancierten wir innert drei Tagen einen Videokanal mit täglichen Updates und Interviews. Den Namen für das Video-Format widmeten wir übrigens dem abgetretenen SRF-Star Nik Hartmann: Coopzeitung bi de Lüt …

Beim Detailhandel, also auch bei Coop, muss die Stimmung ja ausgezeichnet sein. Inwiefern spüren Sie dies?
In den Filialen lief und läuft das Geschäft tatsächlich gut, das ist erfreulich. Andererseits sind die Einbussen durch die temporäre Schliessung der Formate wie Bau & Hobby, Fust und Interdiscount enorm. Dazu kommen die Verluste im Grosshandel. Und was ich bei den täglichen Video-Interviews gesehen haben: Die Mitarbeitenden an der Front und in der Logistik gingen teils bis an ihre Belastungsgrenze. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Die Stimmung ist gut, aber die Leute sind froh, dass jetzt schrittweise wieder Normalität einkehrt.

Wie wird Corona unsere Gesellschaft verändern?
Weniger lang als befürchtet und weniger nachhaltig als erhofft. Gut ist, dass wohl schnell wieder Normalität einkehren wird. Schade ist, dass es mit der gelebten Solidarität und der erzwungenen Entschleunigung wohl bald auch wieder vorbei sein wird.

Und den Journalismus?
Ich denke, dass die Krise die unterschiedlichen Funktionen von Print und Online nochmals ganz gut aufzeigt: Online informiert schnell und interaktiv, Print ordnet ein und reflektiert. Brauchen tut es beides. Als Chefredaktor der grössten Zeitung der Schweiz freut es mich, dass gerade auch der Printjournalismus seine Berechtigung nochmals demonstrieren konnte.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Dass es manchmal auch ganz einfach ist. Im Lockdown hatten wir die Rätselseiten in der Coopzeitung massiv ausgebaut, weil wir annahmen, dass die Leute jetzt wieder Zeit zum Rätseln haben. Die Reaktionen aus der Leserschaft waren überwältigend. Dutzende von Mails, Briefen, Dankeskarten und sogar selber Gebackenes.



Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.

 



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