10.12.2024

Bundesamt für Statistik

«In solchen Situationen muss man hinstehen»

Mit der Datenpanne bei den letztjährigen Wahlen führte Kommunikationschef Urs Frei das Bundesamt für Statistik durch eine seiner wohl grössten Krisen. Nun tritt er ab. Im Interview spricht er über seine damalige Kommunikationsstrategie beim «Pannenamt», Meilensteine in seiner Tätigkeit und den Blick nach vorn.
Bundesamt für Statistik: «In solchen Situationen muss man hinstehen»
«Unsere Strategie: ‹Erklären – Verantwortung übernehmen – sich entschuldigen› hat funktioniert», sagt Urs Frei, Kommunikationschef vom Bundesamt für Statistik. (Bild: zVg)

Urs Frei, Sie verlassen als Kommunikationsleiter das Bundesamt für Statistik. Was ist der Grund dafür?
Das Bundesamt für Statistik hat eine neue Geschäftsstrategie entwickelt und 2023 kommuniziert. Die Umsetzungsphase betrifft das ganze Amt, auch die Abteilung Kommunikation und Publishing. Sie wird organisatorisch neu strukturiert und aufgesplittet. Damit verändert sich meine Führungsfunktion massgeblich. Da es amtsintern für mich keine vergleichbare Führungsposition wie bisher gibt, sind der Amtsdirektor und ich übereingekommen, dass ich mich extern orientieren werde.

Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Der Kommunikationsbereich ist sehr dynamisch, Veränderungen sind Teil des Geschäfts und entsprechend häufig. Für mich ergibt sich jetzt die Chance, mit meinem grossen Erfahrungsschatz nochmals eine Standortbestimmung zu machen und für mich Tätigkeitsfelder zu definieren und anzupacken, die ich bis über die ominösen 65 Jahre hinaus ausüben kann.

«Die Kommunikationsdisziplin hat einen hohen Reifegrad erreicht»

Wie ist momentan der Markt für Kommunikationsfachleute?
Ich kann das nicht generell beurteilen. Mir fällt im Gespräch mit CEOs, aber auch Kommunikationskollegen auf: Die Kommunikationsdisziplin hat einen hohen Reifegrad erreicht. Ich gehe nicht von einer grossen Zahl neuer Stellen aus. Auffällig ist, wie viele Kolleginnen und Kollegen um die 60 freiwillig und unfreiwillig ausscheiden oder ins zweite Glied treten. Die jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die jetzt in die Führungspositionen kommen, sind gut ausgebildet. Zudem scheinen die Jobs sehr attraktiv für Frauen zu sein. Hier bewegt sich einiges.

Sie haben auch in der Privatwirtschaft bei grossen Firmen wie Georg Fischer, Alstom und Heineken gearbeitet. Wodurch unterscheidet sich eine Kommunikationstätigkeit beim Bund?
Ich greife zwei Aspekte heraus: Output und Prozesse. Das BFS ist innerhalb der Bundesverwaltung ein Spezialfall. Es ist ein transversales Amt mit gesetzlichem Auftrag zur Kommunikation, einem grossen Team von rund 85 Mitarbeitenden und entsprechend grossem Output. Übers ganze Jahr gesehen veröffentlicht das BFS pro Wochentag zwei Kommunikationspakete. Ich habe jeweils mit einem Augenzwinkern gesagt, dass wir der Verlag mit dem höchsten Output der Schweiz sind.
Damit wir dies sicherstellen können, hat sich über die Jahre eine ausgefeilte Prozesslandschaft entwickelt. Die Kehrseite: Diese Prozesse hemmen manchmal die Flexibilität. Das war übrigens einer der Gründe, warum wir 2022 eine Newsroom-Organisation eingeführt haben. Wir haben eine Unterscheidung nach kommunikativen «Linienschiffen» und «Schnellbooten» gemacht. Seither ist das BFS agiler und Outcome-orientierter unterwegs.

«Das war eine der grössten Herausforderungen in meiner Kommunikationskarriere»

Persönlich kam das Bundesamt für Statistik in die Schlagzeilen, als nach den Wahlen vor einem Jahr die Parteistärke falsch berechnet wurde. Anschliessend wurde das BFS wegen seiner Kommunikation stark gelobt. Wie haben Sie diese Situation erlebt?
Das war eine der grössten Herausforderungen in meiner Kommunikationskarriere. Die Medien haben sich sehr stark für das Thema interessiert, weil es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Mitte und der FDP gab. Die Medienkonferenz vor versammelter Presse mit Live-Streaming war richtig fordernd: Kleiner Saal, stickige Luft, erhitzte Gemüter und ein BFS, das sich erklären musste. Unsere Strategie: «Erklären – Verantwortung übernehmen – sich entschuldigen» hat funktioniert. In solchen Situationen muss man hinstehen. Punkt. Dass wir in den ersten Emotionen die «Deppen der Nation» und das «Pannenamt» waren, damit konnte ich gut leben. Gleichzeitig erhielt ich viel Zuspruch aus der Kommunikations-Community. Motto: Welcome to the Shitstorm-Club!

Es war ja nicht ganz einfach für Sie. Sie hatten sich ja vorher noch eine schwere Kopfverletzung zugezogen …
Ich bin unfallbedingt am Wahlwochenende ausgefallen und musste dann am darauffolgenden Mittwoch innerhalb einer Stunde von null auf hundert durchstarten. Kurz vor der Medienkonferenz am Mittag hat man mir noch die letzten Blutreste aus den Haaren entfernt ...

Was waren für Sie die Meilensteine Ihrer letzten Tätigkeit?
In Sachen Organisation die Entwicklung und Umsetzung des erwähnten Newsroom-Konzeptes. Im Issue-Management kumulierte im Herbst 2023 die Bewirtschaftung der Parteistärken-Thematik, fast gleichzeitig mit einer heiklen Cyberattacke. Beides haben wir gut gemeistert. Und im Dossier-Bereich durfte ich gemeinsam mit dem BAG das zentrale Bundesgeschäft DigiSanté zur Förderung der digitalen Transformation des Gesundheitswesens im Umfang von 400 Millionen kommunikativ mitprägen.

Sie waren rund 15 Jahre Mitglied des HarbourClubs. Wie hat sich die Kommunikationsbranche in dieser Zeit verändert?
Die zentrale Veränderung war sicher das Aufkommen der Social Media-Kanäle, welche das Nutzerverhalten nachhaltig verändert haben. Die Kommunikationsbranche hat je nach Öffentlichkeitsexposition schneller oder langsamer darauf reagiert. Das Gleiche beobachte ich jetzt mit dem Thema KI. Ich glaube auch hier fest daran: offen auf das Neue eingehen, kritisch hinterfragen und das Beste davon nutzen.

Was machen Sie künftig?
Ich werde meine kombinierte Erfahrung als internationales Geschäftsleitungsmitglied, Kommunikationsspezialist und Sportmanager mit strategischer und praktischer Erfahrung als Sparringpartner einbringen. Interessanterweise sind schon Leute mit genau diesen Coaching-Bedürfnissen auf mich zugekommen. Hier kann ich mit meinem Kompetenzprofil einen echten Mehrwert bieten. Ich weiss selbst, dass man als Chef sehr vorsichtig sein muss, wem man sich anvertraut. Und dann gibt es noch einige Kreativideen. Ich stamme beispielsweise zwar nicht wie Hape Kerkeling von einem Königshaus ab, aber meiner familiären Verbindung zum Badrutt's Palace St. Moritz und der Ostschweizer Textilindustrie möchte ich mal nachgehen und in einem attraktiven wirtschaftsgeschichtlichen Kommunikationsprodukt verarbeiten.

Sie sind ja auch noch Präsident des grössten Schweizer Aviatik-Verbandes mit 21'000 Mitgliedern…
Ich fliege seit 1989 selber Gleitschirm überall auf der Welt und darf seit 2018 den Verband aller Gleitschirm- und Deltapiloten in der Schweiz – den SHV – präsidieren. Zwei Jahre war ich auch turnusgemäss der Präsident der europäischen Interessensgemeinschaft mit seinen 140'000 Pilotinnen und Piloten. Der SHV hat sich zu einem veritablen KMU mit 15 Mitarbeitenden und einem einstelligen Millionenumsatz entwickelt. Das ist ein Element meines Aufgabenportfolios.


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