08.11.2022

Employer Branding

«Wir tauchen tief in Organisationen ein»

Die Agentur Klar ist auf Employer Branding spezialisiert. Christian Dietrich und Peter Trüb sagen, inwiefern sie bei ihrer Arbeit Parallelen zum Journalistenjob sehen, weshalb Unternehmens- nicht gleich Arbeitgebermarke ist und sie sprechen über die Rolle des Fachkräftemangels.
Employer Branding: «Wir tauchen tief in Organisationen ein»
«Cooler Brand gleich cooler Arbeitgeber ist oft eine Fehlannahme»: Managing Director Christian Dietrich (links) und Peter Trüb, Creative Director Text, von der Agentur Klar. (Bilder: zVg)
von Tim Frei

Herren Dietrich und Trüb*, was fasziniert Sie an der Tätigkeit von Investigativjournalisten?
Christian Dietrich: Der Journalist braucht einen scharfen Verstand und eine gute Menschenkenntnis, um mit richtigen Fragen auch wirklich ehrliche Antworten zu bekommen. Und er muss ehrliche Antworten von faulen Ausreden unterscheiden.

Peter Trüb: Es ist wie bei der Suche nach Trüffeln. Es ist anstrengend, aufregend und erfordert Hartnäckigkeit. Aber wer dranbleibt, wird belohnt. Neugier und Forschungsdrang sind menschliche Eigenschaften. Und deshalb schlummert doch in allen von uns ein kleines Trüffelschwein.

Sie sehen in Ihrer Arbeit beim Employer Branding Parallelen mit jener von Journalisten, die Dinge enthüllen. Inwiefern?
Dietrich:
Auch bei unserer Arbeit brauchen wir viel Herz und Verstand. Wie der Investigativjournalist ist man auch beim Employer Branding mit viel Unwahrem und Oberflächlichem konfrontiert. Es ist Teil unserer Aufgabe, zu verhindern, dass Mitarbeitende mit falschen Erwartungen zu einem Unternehmen stossen. Denn dies führt unweigerlich zu Enttäuschung, Demotivation und schlussendlich zur Kündigung.

Trüb: Wir tauchen bei unserer Arbeit tief in Organisationen ein. Denn wir brauchen Klarheit und Transparenz. Es wäre fatal und destruktiv, Arbeitgeberwerte zu kommunizieren, die auf persönlichen Einschätzungen, Vermutungen und Wünschen basieren. Das Credo ist klar: nur nach aussen tragen, was nach innen gelebt wird. Ausser man möchte einen Kulturwandel einleiten.

Sie bringen also Aspekte aus dem Innern eines Unternehmens ans Tageslicht. Können Sie dafür ein konkretes Beispiel machen?
Trüb:
Wir stellen je nach Führungsstufe immer wieder fest, dass die Meinungen kontrovers sind. Die Geschäftsführung denkt, dass die Gesprächskultur gut ist. Das HR glaubt, dass die Gesprächskultur verbesserungsfähig ist. Die Mitarbeitenden empfinden die Gesprächskultur als schlecht.

Dietrich: Wenn man sich das Thema Innovation auf die Fahne schreibt, muss es im Unternehmen auch einen entsprechenden definierten Innovationsprozess und eine gelebte Fehlerkultur geben. Darauf zu spekulieren, dass die Mitarbeitenden in ihrer Freizeit auf Ideen kommen, welche sie bei einer zufälligen Begegnung im Lift ihrem Vorgesetzten pitchen, hat nichts mit Innovation zu tun.

«Die eigene Unternehmenskultur zu definieren, ist ein spannender Prozess und bringt auch tolle Dinge ans Licht»

Führungspersonen dürften im ersten Moment nicht erfreut über solche Erkenntnisse von aussen sein. Wie viel Überzeugungskraft braucht es für die Fortsetzung der Zusammenarbeit?
Trüb:
Employer Branding wird von der höchsten Führungsstufe angestossen und deshalb auch von ganz oben getragen und begleitet. Man verleibt sich beim Employer Branding quasi in den Kunden ein. Deshalb liegt es auf der Hand, dass es zu langjährigen Partnerschaften kommt.   

Dietrich: Die Führungspersonen, die uns anfragen, haben ja erkannt, dass die Arbeitskultur ein wichtiger Grundstein ihres Unternehmenserfolges ist. Die eigene Unternehmenskultur zu definieren, ist ein spannender Prozess und bringt auch tolle Dinge ans Licht – nicht nur Missstände.

Sie haben vorhin gesagt, dass Employer Branding tief in die Kultur eines Unternehmens eindringe. Abgesehen von Dingen, die Sie ans Tageslicht bringen: Wie muss man sich das vorstellen?
Trüb:
Bei unserer Analyse, die wir je nach Ausgangslage und Umfang mit unserem Partner Great Place to Work machen, messen wir mittels Umfrage bei den Mitarbeitenden die «Temperatur», sofern dies nicht bereits geschehen ist. Wichtig ist, dass wir bei der Selektion einen Querschnitt des Unternehmens definieren. Also auf allen Stufen, Units und Berufsbildern – von der Geschäftsleitung bis zum Hilfsarbeitenden. Falls wir bei einem Problem eine Häufigkeit feststellen, müssen wir dem natürlich wieder nachgehen. Und so haben wir natürlich immer tieferen Einblick in die Organisation.

Dietrich: Um ein simples Beispiel zu nennen: Wenn man Chancengleichheit als Wert für seine Firma definiert, dann ist es natürlich zwingend, darüber zu sprechen, ob die Analyse der Löhne auch keinen Unterschied zutage fördert und wie Vorurteile in der Rekrutierung ausgeschlossen werden. Wir sind also vom Kommunikationsthema in operative Themen gewandert.

Sind Unternehmen überhaupt dazu bereit, sich derart zu durchleuchten?
Dietrich: Ja, grundsätzlich ist die Bereitschaft sehr gross. Die einen, weil sie wissen, dass der Schuh irgendwo drückt. Und die anderen, weil sie eigentlich grossartige Firmen sind, aber herausfinden müssen, wie sie darüber berichten beziehungsweise ihre tolle Geschichte erzählen können. 

Trüb: Die Führungsprinzipien von Unternehmen und die Arbeitswelt haben sich doch stark verändert. Wir waren letzthin bei einem grossen und weltweit führenden Schweizer Industrieunternehmen und haben einmal mehr gestaunt, wie offen, kollegial, innovativ und transparent die funktionieren. Demensprechend stossen wir auch auf offene Ohren.

«Der Druck auf die Wirtschaft, das Thema jetzt richtig anzupacken, hat markant zugenommen»

Wann hat dieser Wandel eingesetzt und wie erklären Sie sich ihn?
Trüb:
Unternehmen sind doch permanent gezwungen, Veränderungen anzunehmen, Anpassungen vorzunehmen oder sich gar neu zu erfinden. Der Begriff Employer Branding wurde vor 25 Jahren lanciert. Aber so richtig ernsthaft befassen sich Unternehmen erst seit fünf Jahren damit. Heute versteht man, dass es sich um Branding handelt, was wiederum eine permanente und langfristige Pflege der Arbeitgebermarke voraussetzt. Das heisst aber auch, dass eine jährliche Budgetallokation Pflicht ist.

Dietrich: Der Wandel setzt in Unternehmen spätestens ein, wenn nicht mehr die Kundenakquise das Problem ist, sondern das Finden und Halten von Personal, welches das Geschäft macht. Das löst primär den Denkprozess aus, wie man sich als Arbeitgeber positioniert und auftritt.

Was sind die markantesten Auswirkungen des Fachkräftemangels auf das Employer Branding?
Trüb: Der Druck auf die Wirtschaft, das Thema jetzt richtig anzupacken, hat markant zugenommen. Viele Unternehmen investieren gegenwärtig in den Aufbau der Arbeitgebermarke, in die interne und externe Kommunikation sowie in die Aus- und Weiterbildung ihrer HR-Mitarbeitenden. Wir betreiben das Thema seit unserer Agenturgründung im Jahr 2016. Waren es in den ersten Agenturjahren noch wenige Interessenten, hat die Zahl der Anfragen und Kunden in den letzten zwei Jahren erfreulich zugenommen.

Dietrich: Der Fachkräftemangel ermöglicht es Talenten, ihren Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen. Die Karten wurden also neu gemischt und viele Unternehmen müssen ihre Sichtweise korrigieren. Und diese Forderungen betreffen heute nicht mehr nur harte Fakten wie das Salär, sondern auch die Arbeitskultur und die Sinnhaftigkeit der Aufgabe.

Viele Unternehmen haben laut Paul Henschel von Farner erst in den letzten Jahren die Wichtigkeit von Employer Branding erkannt. Was sind die Gründe dafür?
Trüb: Natürlich der Unternehmenserfolg. Menschen sind das wichtigste Kapital in jedem Unternehmen, sagen ja alle stolz. Sie machen den Unterschied, sie bringen Umsatz und prägen die positive Arbeitskultur. Also ist es doch logisch, dass man alles unternehmen muss, Mitarbeitenden möglichst attraktive Arbeitsbedingungen in einem inspirierenden Arbeitsumfeld zu schaffen.

Dietrich: Unternehmen, die das Thema ernst nehmen, gibt es schon lange. Aber es ist tatsächlich so, dass nicht nur der Fachkräftemangel, sondern auch die Pandemie für viele Talente neue Fragen und Ansichten zu ihrer eigenen Arbeitswelt aufs Tapet gebracht haben.

«Bei der Kreativität gibt es noch viel Luft nach oben. Mehr Mut wäre hier wünschenswert»

Beim Employer Branding geht es im Kern darum, die Attraktivität der Arbeitgebermarke zu verbessern. Wie gelingt das?
Dietrich: Ein Unternehmen muss einfach klar kommunizieren, für welche Werte es steht. Man sollte dies nicht als Druck verstehen, jedem Trend nachrennen zu müssen. Sondern vielmehr, dass man die Frage, für welche Kultur man als Arbeitgeber steht, schlüssig und ehrlich beantworten muss.

Trüb: Es wird eine Employer Value Proposition (EVP) erstellt. Diese Werte werden wiederum mit den konkreten Benefits verknüpft. Und natürlich braucht es einen möglichst differenzierenden, attraktiven Auftritt und eine originelle Kampagne. Kreativität ist genauso relevant wie eine saubere Analyse und Strategie. Gerade bei der Kreativität gibt es noch viel Luft nach oben. Mehr Mut wäre hier wünschenswert. 

Was ich aber nicht ganz verstehe: Weshalb ist die Unternehmensmarke nicht deckungsgleich mit der Arbeitgebermarke? Sie müssen doch zumindest für gleiche Werte stehen …
Dietrich: Natürlich ist das Wertesystem dasselbe und leitet sich (hoffentlich) auch aus dem Unternehmensleitbild ab. Aber die Aussagen und Auswirkungen sind unterschiedlich, da sich der Kunde auf dem Markt für andere Argumente interessiert als der potenzielle Mitarbeiter, der sich im Unternehmen «zu Hause» fühlen muss.

Trüb: Hat ein Unternehmen ein positives Marken- oder Produktimage, heisst das nicht, dass das Unternehmen auch ein attraktiver Arbeitgeber ist. Und Gleiches gilt umgekehrt. Cooler Brand gleich cooler Arbeitgeber ist also oft eine Fehlannahme. Was wir beim Employer Branding berücksichtigen, ist eine Werteentwicklung, die mehr auf den Menschen und weniger auf den Markterfolg zielt. Wir müssen Kopf, Herz und Bauch ansprechen.

Wenn ich mir einige Employer-Branding-Kampagnen anschaue, sieht man oft viele gestalterische Mittel wie Socken, Sticker und sonstige Gadgets. Ist das glaubwürdig? Ich bin mir jedenfalls nicht sicher, ob Mitarbeitende solche Dinge tragen …
Dietrich: Mit Socken eine Aussage über Arbeitskultur zu machen, ist natürlich schwierig ...

Trüb: Ich denke mal, dass solche Aktionen aus einer kurzfristigen Sichtweise, «Wir müssen jetzt dringend etwas machen», entstanden sind. Wobei: Wenn Mitarbeitende ein cooles T-Shirt oder eine stylische Mütze mit Unternehmenslogo tragen, identifizieren sie sich zu 100 Prozent mit dem Unternehmen und sind echte Fans und Botschafter. Mehr geht nicht.

«Im Prinzip braucht jedes noch so kleine Unternehmen Employer Branding»

Welche weiteren weit verbreiteten Fehlannahmen sehen Sie beim Employer Branding?
Trüb: Vielleicht, dass Employer Branding ein Trend ist, der mit der Entspannung der Arbeitsmarktsituation dann schon vorübergeht. Employer Branding muss eine fest verankerte Disziplin sein, damit man unabhängig von der Konjunkturlage und der Arbeitsmarktsituation bereit ist.

Dietrich: Die Demografie-«Birne» wird sich in den nächsten Jahren gnadenlos weiter verjüngen. Wir reden hier also nicht über eine Modeerscheinung, sondern über Fakten, die die Wirtschaftlichkeit prägen und Unternehmen fordern.

Was halten Sie von der These, Employer Branding sei erst ab einer gewissen Unternehmensgrösse relevant – also für KMUs noch nicht?
Trüb: Im Prinzip braucht jedes noch so kleine Unternehmen Employer Branding. Denn sobald ich als Einmann- oder Einfrauunternehmen jemanden einstellen will, muss ich mir doch Gedanken machen, was mich attraktiv macht. 

Dietrich: Und gerade Firmen, die vielleicht mit den finanziellen Anreizen der «Grossen» nicht mithalten können, müssen sich überlegen, ob sie mit anderen Vorteilen punkten können.

Kommen wir zum Schluss nochmals auf den Journalismus zurück: Wenn Sie ein halbes Jahr mit einem Investigativjournalisten tauschen könnten, welches Recherchethema würde Sie reizen?
Trüb:
Trüffelschweine oder -hunde im Piemont.

Dietrich: Die besten Rezepte für Peters Trüffel recherchieren?


*Managing Director Christian Dietrich und Peter Trüb, Creative Director Text, bilden zusammen mit Lionel Büttner, dem Creative Director Art, den Partnerkreis und das Führungsteam der Zürcher Agentur Klar. Die Boutique-Agentur bietet Dienstleistungen im Bereich von Campaigning und Branding an – mit einer Spezialisierung auf Employer Branding.



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