TV-Kritik

Royale Traumhochzeit als TV-Supershow

Monatelang befand sich England im Hochzeitsfieber, am Samstag war es endlich soweit. Das Königsreich stand Kopf. In der St. George Chapel auf Windsor, 30 Kilometer westlich von London, gaben sich Prinz Harry und seine Meghan das Jawort. Und die Welt schaute zu: rund 1,5 Milliarden TV-Zuschauern waren dabei. Prunk fasziniert. Tausende Journalisten aus allen Kontinenten berichteten vor Ort über die Hochzeit des Jahres. Bei den vielen emotionalen Momenten waren reichlich Gänsehaut und Tränen dabei. Ein paar Stunden heile Welt in einer immer unheilvolleren Zeit. Die Gäste von Dani Fohrler im Zürcher TV-Studio hatten viel zu erzählen. Am meisten wie gewohnt der brillante deutsche Royal-Experte Andreas C. Englert. Von den fachkundigen Gästen, Reportern und Korrespondenten des ZDF haben Zuschauer allerdings mehr und Spannenderes erfahren.

Wie wird Meghans Hochzeitskleid aussehen? Das war bis Samstag eine der letzten grossen Fragen. Roben machen Prinzessinnen. Die strahlende Braut überraschte alle und erschien in einem wunderschönen, aber schlichten und zeitlosen Kleid mit fünf Meter langer Schleppe aus dem luxuriösen Haute-Couture-Haus Givenchy in Paris. Das Diadem war eine Leihgabe der Queen.

Prinz Charles, Harrys Vater und künftiger König, hatte die Braut auf halbem Weg zum Altar geführt. Eine ganz besondere Wertschätzung. Das gab es noch nie in der Königsfamilie. Die damit geadelte Meghan hat schwierige Familienverhältnisse. Ihr Vater (inzwischen mit Herzproblemen) hatte sich im Vorfeld immer wieder öffentlich blamiert. Auch ihre Halbgeschwister konnten nicht mit Benehmen punkten und waren daher nicht zur pompösen Hochzeit eingeladen. Die in den Fokus gerückte Familiengeschichte als Bürde. Immerhin war ihre Mutter Doria Ragland da, eine couragierte Sozialarbeiterin. Mutter und Tochter schätzen sich sehr und verstehen sich als beste Freundinnen.

2640 britische Bürgerinnen und Bürger wurden auf das festliche Gelände eingeladen. Während der Trauung in der Kapelle durften 600 Gäste dabei sein. Darunter Weltstars wie die Clooneys, Beckhams, Elton John mit Ehemann oder Serena Williams. Zehntausende aufgeregte Schaulustige und hochzeitsverrückte Royal-Fans verfolgten nach der Trauung ab 14 Uhr jubelnd die 25-minütige Kutschfahrt der Frischvermählten durch Windsor und den Windsor Great Park. Eskortiert von Harrys Kavallerie-Kameraden. Opium für das wartende Volk. Das volksnahe Royal-Paar hatte sich gewünscht, dass sich die Öffentlichkeit als Teil der Feierlichkeiten fühlt.

Am Abend lädt Prinz Charles ins Frogmore House ein, einem Anwesen auf dem Gelände von Schloss Windsor. An der Hochzeitsparty (ohne Kameras) sind «nur» 200 Gäste dabei: Familie, Verwandte und Freunde. Die grosse Politik und blaues Blut aus Europa waren nicht eingeladen. Die prunkvolle Traumhochzeit kostete umgerechnet mehr mehr als 40 Millionen Franken. Über 30 Millionen gingen allein die massiven Sicherheitsvorkehrungen drauf, mehr als 3000 Polizisten waren im Einsatz. Die Gesamtkosten halten sich sehr in Grenzen, wenn man bedenkt, dass die Traumhochzeit der britischen Wirtschaft rund 1,5 Milliarden in die Kassen spülen dürfte.

Harry und Meghan – ein ungewöhnliches Paar, das einer der ältesten Monarchien der Welt ein neues Gesicht verleiht. Mit seinen Eskapaden und Fehltritten in seiner Jugend war Draufgänger Harry lange Zeit als Rebell, Playboy- und Party-Prinz verschrien. Der Bad Boy des Königshauses. Sein Dienst in der Armee gab seinem Leben nach eigenen Worten einen neuen Sinn. Gegen seinen Willen war er als Offizier und Heli-Pilot aus Afghanistan abgezogen worden. Heute ist Harry laut aktuellen Umfragen das beliebteste Mitglied der Königsfamilie, noch vor der Queen. König wird er allerdings nie, er ist die Nummer sechs in der Thronfolge.

Vor knapp zwei Jahren begegneten sich Harry als angeblich begehrtester Junggeselle der Welt und Meghan das erste Mal. Eine gemeinsame Freundin soll das Blind Date arrangiert haben. Wer ist diese Meghan Markle, die nun mit Harry das Königshaus aufmischen könnte? Aufgewachen in Los Angeles, Mutter afroamerikanische Sozialarbeiterin und Yoga-Lehrerin. Ihr Vater arbeitete als Beleuchter in der Traumfabrik Hollywood. Das Paar ist längst geschieden.

Die selbstbewusste Meghan («Ich bin stolz, eine gemischtrassige Frau zu sein«) studierte Theaterwissenschaften und Internationale Beziehungen, wollte aber zu Film und Fernsehen. Sie begann als Nummerngirl in der TV-Show «Deal Or No Deal». Mit Ehrgeiz und Sexappeal spielte später in über 100 Folgen der US-Serie «Suits» eine Anwaltsgehilfin - und wurde damit mehrfache Millionärin. Zwei Jahre war sie mit einem Filmproduzenten verheiratet. Künftig findet ihr Leben der Schauspielerin auf royaler Bühne statt.

Vor 20 Jahren wäre noch unmöglich gewesen, dass ein königlicher Prinz eine bürgerliche, geschiedene Frau gemischter Herkunft aus einem anderen Land heiratet. Jetzt sind die Royals in der multikulturellen Gesellschaft angekommen.

Meghan ist eine Powerfrau, die sich seit Jahren für die Gleichberechtigung einsetzt. Sie könnte für das englische Königshaus ein Glücksfall werden und mit Ehemann Harry die Monarchie positiv verändern. Der Herzog und die Herzogin sprechen als modernes, nahbares und sozial engagiertes Paar die junge Generation an. Die Hochzeitsreise soll Harry und Meghan in wenigen Wochen nach Botswana führen.

Eine Nachbarin trocknete nach der TV-Übertragung verlegen ihre Tränen: «Es isch halt so schön gsii.» Lang lebe das Paar.


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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Kommentare

  • Max Gubler, 22.05.2018 13:41 Uhr
    @Romana Beyeler: Der Service Public wurde überstrapaziert? Wie meinen Sie das? Wenn es - wie Sie schreiben - Zehntausende von Schweizer/-innen gab, die sich diese Heiratsshow anschauten, dann war es sehr wohl Service Public! Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat das zu senden, was die Öffentlichkeit sich wünscht, zu sehen. Es besteht ein TV-Markt. Das ist der Service an die Öffentlichkeit. Auch wenn es für Sie unglaublich scheint, anscheinend interessierten sich viele dafür, sich ein paar Stunden lang diese Show anzusehen. Die Königsfamilie ist eine Firma - und die einzelnen Mitglieder leben davon, sich zu inszenieren, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren, eben, eine Seifenoper vorzutragen. Da gibt es Hochzeiten, ab und zu Scheidungen, Geschichten und Gossip. Das ist Reality-TV in Reinkultur. Eine never-ending Familiensaga. Sie bietet Stoff für Klatschheftchen, "Stars"-Zeitschriften, People-Sendungen im TV usw.. Ohne solche königlichen Familien würde dieser Markt nicht existieren. Ich meine: Es gibt Schlimmeres!
  • Alain Keller, 21.05.2018 23:49 Uhr
    Eine Seifenoper pur, Made in Europe! Ich finde das lustig! :)
  • Eva Amgwerd, 21.05.2018 23:46 Uhr
    Gute Analyse! Eine Supershow ist nicht die Wirklichkeit. Sondern eine Show. Hinter jeder Show, hinter dem Vorhang, unter der Bühne, da liegt Staub, Dreck, Abfall!
  • Romana Beyeler, 21.05.2018 11:14 Uhr
    Da wurde der Service public offenbar wieder mal überstrapaziert. Unglaublich, dass es Tausende wenn nicht Zehntausende Schweizer/-innen gibt, die sich solchen Quatsch anschauen.
  • Max Gubler, 21.05.2018 03:21 Uhr
    Wahnsinnig, wieviel man über eine Hochzeit schreiben kann. Für mich persönlich war das ganze Prozedere eine Persiflage, eine Seifenoper hoch drei, grosses Kino, grosses Theater auch. Wollen wir wetten, dass wir noch viel lesen können über die künftige Scheidung dieses Paares? Das Positivste für mich war, dass die Botschaft des Evangeliums wieder mal ins Gewissen vieler Menschen (1,5 Milliarden?) einfloss. Wieder einmal das Wort von Jesus Christus zu verkünden. Wo geschieht das sonst noch so PR-wirksam? Und auch wieder mal Orgelmusik zu hören, war für meine europäische Seele Balsam. Das war meiner Ansicht der grösste Erfolg dieser unterhaltsamen Veranstaltung.
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