11.12.2008

"Viele Werbe-Awards haben ihren Zenit überschritten"

Vier Schweizer Werbefestivals werden nächstes Jahr nicht mehr relevant sein -- zumindest nicht für das Kreativranking. Die aktuelle Wirtschaftslage hat die Werber zur Einsicht gebracht, dass die vielen Wettbewerbe die Agenturen zu stark belasten. Frank Bodin, Chairman & CEO der Euro RSCG Gruppe Schweiz, vergleicht die Awards mit Haute Couture: "Sie sind vielleicht gut für die Reputation, aber niemand kann sie tragen." "persoenlich.com" hat weitere Kreativköpfe zur künftigen Award-Strategie ihrer Agenturen befragt.
"Viele Werbe-Awards haben ihren Zenit überschritten"

Die verschiedenen Werberpreise, die durch das ganze Jahr vergeben werden, sind nicht nur Kreativ-Wettbewerbe, sondern auch ein grosses Geschäft. Das hat zum Beispiel Frank Bodin, Chairman & CEO der Euro RSCG Gruppe Schweiz, bereits Mitte 2008 in der Publikation "Best of Press/Cannes Lions 2008 (BOP)" vorgerechnet. Heute wird der Reingewinn der beiden Wettbewerbe Cannes Lions und Euobest auf über 30 Millionen Franken jährlich geschätzt.

Bodin im BOP: "Man muss sich mal vorstellen, wie viel Geld wir in den Löwen-Rachen schieben, wobei dies nur ein Teil dessen ist, was wir Agenturen in Wirklichkeit ausgeben. Die Aufbereitung der einzusendenen Arbeiten kostet zusätzlich ein Vielfaches an Ressourcen und Zeit." Und der Euro RSCG-Chef fügt weiter an, dass es nicht verwunderlich sei, wenn sich führende Exponenten der Branche langsam, aber sicher fragen, ob der Return on Award Investment noch stimmt.

Schweizer Kreativranking streicht vier Wettbewerbe

Die aktuelle Wirtschaftslage hat nun die Diskussion um die Werbe-Awards zusätzlich wieder angeheizt. In Deutschland hat sich eine gross angelegte Initiative entwickelt. Viele namhafte Agenturen wollen eine Erklärung unterzeichnen, wonach sie nur noch an sechs grossen Awards pro Jahr teilnehmen wollen. In der Schweiz ist man bereits einen Schritt weiter. Die Liste der Wettbewerbe, welche für das Kreativranking der "Werbewoche" relevant sind, wurde massiv reduziert.

Laut Informationen, die "persoenlich.com" vorliegen, werden für die Rangliste 2009 für Auszeichnungen bei den Wettbewerben ADC New York, Das Goldene Ohr, DM-Preis und Swiss Poster Award keine Punkte mehr vergeben. Für die Wertung verbleiben Cannes Lions, Clio, D&AD, One Show, The Cup, ADC Europe, Eurobest, ADC Schweiz, Effie und Crossmedia Award. Zusätzlich werden aber Nominationen bei The Cup und Shortlist-Plätze beim ADC Schweiz und beim Effie nicht mehr fürs Ranking berücksichtigt.

Frank Bodin bestätigt die Recherchen von "persoenlich.com": "Bereits für das Ranking 2008 wurden Anpassungen vorgenommen. Nun wurde die Liste der relevanten Awards für 2009 nochmals zusammengestrichen. Dies auf Initiative von Creative Directors von führenden Agenturen - dazu gehören u.a. Markus Ruf, Matthias Freuler, Martin Spillmann, Pius Walker und ich." Laut Bodin belasten die vielen Wettbewerbe die Agenturen zeitlich und kostenmässig zu stark. "Indem nur noch die wichtigsten Wettbewerbe berücksichtigt werden, wird auch der Award-Flut Einhalt geboten."

Betrachtet man das eben in der "Werbewoche" publizierte Kreativranking 2008, wird deutlich, dass vor allem die Nichtwertung der ADC Schweiz-Nominationen ins Gewicht fallen wird. So ist 2008 beispielsweise Ruf Lanz mit 32 Shortlist-Platzierungen aufgeführt, Jung von Matt/Limmat mit 23 oder Publicis mit 20. Diese drei Agenturen sind jetzt auf den Rängen 2 bis 4 des von der Y&R Gruppe angeführten Rankings zu finden.

Weniger Teilnahmen bei Festivals zu erwarten

Die Auswirkungen auf das Ranking sind das eine. Die Absicht der Werber, das Feld der relevanten Awards zu reduzieren, hat aber auch direkten Einfluss auf die Wettbewerbe. Durch den geringeren Anreiz einer Teilnahme bei den Awards, werden die Veranstalter mit weniger Einreichungen und damit weniger Einnahmen rechnen müssen.

Kein grosses Mitleid hat Frank Bodin: "Es kommt ein neues Zeitalter, viele Wettbewerbe haben ihren Zenit überschritten. Die Agenturen werden nur schon weniger Arbeiten einreichen, weil sie wirtschaftlich dazu gezwungen sind. Einige Festivals werden zweifellos eingehen." Der Euro RSCG-Chef vergleicht die Wettbewerbe mit Haute Couture. "Sie sind vielleicht gut für die Reputation, aber niemand kann sie tragen. Sehr viele Kunden beachten die Award-Gewinne kaum noch."

Kein grosses Mitleid hat Frank Bodin: "Es kommt ein neues Zeitalter, viele Wettbewerbe haben ihren Zenit überschritten. Die Agenturen werden nur schon weniger Arbeiten einreichen, weil sie wirtschaftlich dazu gezwungen sind. Einige Festivals werden zweifellos eingehen." Der Euro RSCG-Chef vergleicht die Wettbewerbe mit Haute Couture. "Sie sind vielleicht gut für die Reputation, aber niemand kann sie tragen. Sehr viele Kunden beachten die Award-Gewinne kaum noch."

Immer wieder wird kolportiert, dass die Werbe-Awards vor allem für die Kreativen selber wichtig sind -- als Referenz bei Bewerbungen. "Die Awards sind teilweise kreatives Kapital bei Lohnverhandlungen", so Bodin, "aber dieses System wird dann abstrus, wenn ein Texter zwar eine originelle doppelseitige Snowboard-Fahrschul-Werbung fabrizieren kann, aber nicht mehr in der Lage ist, eine mehrseitige Broschüre für eine Automarke zu texten."

Umfrage bei Schweizer Werbeagenturen zur Award-Strategie 2009

"persoenlich.com" wollte von weiteren führenden Schweizer Werbern wissen, wie die Award-Strategie ihrer Agenturen für 2009 aussehen wird:

Markus Gut, CCO Y&R Gruppe:

"Natürlich schickt die Y&R Gruppe auch nächstes Jahr ihre besten Arbeiten an Award Shows. Aber nur an die Festivals, die fürs Schweizer Kreativranking zählen. Ähnlich wie in Deutschland sind das die paar grössten internationalen, plus die bedeutensten nationalen Festivals. Meines Wissens wird die Anzahl der Festivals, welche fürs Ranking zählen, nochmals deutlich reduziert, was wir sehr begrüssen. Fürs Jahr 2009 gilt ganz klar "Klasse statt Masse". In jeder Beziehung."

Peter Brönnimann, Creative Director Spillmann/Felser/Leo Burnett:

In der Schweiz ist eine ähnliche Entwicklung nicht nur denkbar, sondern bereits geschehen. Nächstes Jahr werden im Kreativranking weniger Awards sein. Das ist gut. Wir haben im 2009 die gleiche Award-Strategie wie in den Jahren zuvor: nämlich keine. Wir wollen einfach gute, populäre Kampagnen für unsere Kunden machen. Wenn wir das schaffen, dann schicken wir das an Awards. Aber wir machen weiterhin keine Arbeiten für nicht oder kaum existierende Kunden, nur damit wir im Kreativranking ein bisschen weiter vorne sind.

Alexander Jaggy, Creative Director Jung von Matt/Limmat:

"In der Schweiz existiert neben dem ADC-Ranking nur ein offizielles Kreativranking, das sich auf vernünftige 10 Wettbewerbe konzentriert. Die Liste dürfte aus meiner Sicht allerdings noch kürzer sein. Wir konnten schon dieses Jahr unsere Einsendekosten senken. Mehr Handlungsbedarf sehe ich noch nicht. Dass einige Award-Veranstalter Mühe haben werden, ist der Sinn der Sache, so zynisch es klingen mag. Wenn Geld eingespart wird, fehlt es unweigerlich irgendwo. Ich rechne damit, dass vor allem die kleinen spezialisierten Wettbewerbe und die internationalen Veranstalter Einbussen haben werden."

Markus Ruf, Creative Director und Mitinhaber, Ruf Lanz.

"Ich würde ein solches Abkommen wie in Deutschland unter den zehn oder fünfzehn kreativ führenden Agenturen der Schweiz sofort unterschreiben. Wir haben unsere Teilnahme bereits 2008 reduziert, und uns auf die Leuchttürme in der ganzen Award-Flut konzentriert. Dazu gehören die Schweizer Meisterschaft (ADC), die Europameisterschaft (Eurobest sowie ADC of Europe) und die Weltmeisterschaft (Cannes, Clio, One Show, D & AD). Ich glaube, dass die Veranstalter der Soft-Wettbewerbe - in Fachkreisen liebevoll Paralympics genannt - in Zukunft tatsächlich Mühe bekommen könnten, genug Einsendungen zusammenzukriegen. Zumindest deuten die immer zahlreicheren Nachfassmails und Last call for entries in meiner Mailbox darauf hin."

Bene Abegglen, Creative Partner Contexta:

"Je kreativer eine Werbung ist, umso mehr soll sie sich mit den Besten messen. Wenn in Zukunft die Awardliste von jetzt 17 auf neu 6 gekürzt wird, was ich begrüsse, wird es für uns Einsender zwar sportlicher in den Punktebereich zu kommen dafür wird aber die Qualität der Auszeichnungen noch wertvoller. Mein Typ: Nur noch eingeben was wirklich eine Chance hat. Vieles kann in Zukunft zu Hause bleiben. So spart man Kosten. Dass es bei der heutigen Awardinflation Opfer geben wird ist ganz klar."

Curdin Janett, Managing Partner Publicis:

"Das Thema Award-Inflation liegt schon seit längerem auf dem Tisch. Aus diesem Grund wurde ja auch bereits die Liste der zum Schweizer Kreativranking zählenden Awards reduziert. Diese Diskussion wird sicher weitergehen. Ob es darüber hinaus aber eine gemeinsame Erklärung braucht ist eine andere Diskussion -- am Schluss ist ja jeder frei seine Arbeiten da einzureichen wo er will. Grundsätzlich sind wir für eine Reduktion. Wir werden uns aber weiterhin an den Awards beteiligen die von den führenden Schweizer Agenturen als relevant eingestuft werden. Wenn es ein Award nicht geschafft hat sich durch eine klare Ausrichtung und solide Jury-Arbeit seinen Platz zu sichern wird es die Organisation jetzt halt noch härter treffen."

Matthias Freuler, Executive Creative Director, Wirz Werbung:

"Es gab und gibt auch in der Schweiz immer wieder Bestrebungen, gegen die unglaubliche Flut von Wettbewerben anzukämpfen. Dabei versprechen sich die Agenturen gegenseitig, dass man diesen oder jenen Wettbewerb nicht mehr bedient. In Tat und Wahrheit hält sich aber niemand daran. Wir bei Wirz haben schon immer zurückhaltend eingegeben. Denn lieber machen wir tolle Werbung für unsere Kunden als aufwändige Einreichungen, die belegen sollen, was wir für tolle Ideen für unsere Kunden hatten. Wie die Agenturen werden sich auch die Award-Veranstalter in nächster Zeit wärmer anziehen müssen. Aber Cannes hat in den letzten Jahren auf eindrückliche Art gezeigt, wie man auch in der Krise mit Kreativität zum grossen Gewinner werden kann. Als anfangs 2000 die Einsendungen in den einzelnen Kategorien zurückgingen, erfand man ganz einfach ein paar neue Kategorien."

Urs Schrepfer, Executive Creative Director TBWA\Switzerland:

"Der Schweizer ADC hat zwar die Menge an Wettbewerben für das Kreativ-Ranking bereits reduziert (New York Festivals, LIA oder Wettbewerbe mit ähnlich inflationärer Preisflut sind nicht mehr dabei), trotzdem könnte man da noch um einiges weitergehen. Ich bin also durchaus für ein deutsches Modell im Sinne einer gesunden Awards-Einsendepolitik. Das bedeutet für TBWA\Switzerland allerdings nicht, dass wir die Einsendungen reduzieren, sondern erst einmal richtig anfangen einzusenden. Ganz im Sinne eines kreativen Upgradings dieser Agentur, aber immer unter den oben erwähnten Ansprüchen."

Daniel Matter, Matter & Gretener Werbeagentur AG

"Während 6 Jahren gehörten wir als eine der wenigen kleinen Inhaber geführten Agenturen im Kreativranking zu den Top Ten. Seit zwei Jahren entziehen wir uns dem Medaillenzirkus und schicken keine einzige Arbeit mehr ein. Uns hat gestört, dass immer mehr Arbeiten für nicht oder kaum existierende Kunden in die Ränge kamen. Ausserdem fanden wir, dass mit ungleichen Ellen gemessen wird: Die grossen Agenturen produzieren mehr und können es sich leisten, auch mehr einzusenden. Das Geld, das wir seit zwei Jahren sparen, investieren wir in erfahrenere Mitarbeiter und haben uns gerade ganz tolle neue Computer angeschafft."

(Text und Umfrage: Stefan Wyss)


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