Wird nun das Ja- oder das Nein-Bier in den Regalen der Migros stehen? Wir wissen es noch immer nicht. Ab heute werden die Stimmen der Genossenschafterinnen und Genossenschafter ausgezählt. Was schon jetzt feststeht: Die Urabstimmung über einen Sortimentsentscheid ist schon sehr bemerkenswert. Was wurde in den letzten Monaten nicht alles darüber debattiert und diskutiert. Migros hier, Migros da, Migros überall. Geschickt unterstützt von einer Abstimmungskampagne, welche den Kernwert «Mitbestimmung» ins Zentrum rückt.
Der Vorgang zeigt, dass der orange Riese ein Abbild der Schweizer Identität ist. Was die Migros tut oder lässt, ist essenzieller für das Schweizer Selbstverständnis als die Handlungen fast aller anderen Marken. Noch. Aus diesem Grund anzunehmen, dass sie sowieso schon gewonnen hat, ganz egal, wie die Abstimmung ausgeht, halte ich für kurzsichtig. Mit Tradition versus Wandel hat das wenig zu tun, aber sehr viel mit Markenstrategie. Starke Marken haben starke Grenzen. Ob bewusst oder unbewusst, die Kundinnen und Kunden der Migros verstehen sich als Teil einer Sinn-, Werte- und Empfindungsgemeinschaft. Da gehört die gesellschaftliche und ökologische Verantwortung zentral dazu, sie macht einen wesentlichen Teil ihrer Einzigartigkeit aus. Nicht umsonst ist die Rede von «Migros-Kindern».
Kundenorientierung und Trends wie das One-Stop-Shopping mögen nachvollziehbare Gründe sein, um markenstrategische Grenzen aufzuweichen oder zu sprengen. Aber dadurch verliert die Marke langfristig an Anziehungskraft. Will man dies wirklich in Kauf nehmen am Limmatplatz? Ist es egal, wenn die Migros-Filialen in gewissen Regionen mit Alkohol («wie bei allen anderen»), in anderen jedoch ohne («wie bei Migros») ausgestattet sind? Die Antwort ist ein klares Nein. Marken wachsen durch die konsistente Reproduktion selbstgewählter Muster. Brüche in dieser Wahrnehmung sind schädlich und könnten Tür und Tor öffnen für weitere Verletzungen des Markenkerns. Warum nicht auch harter Alkohol und Tabak? Die Kunden wollen es doch so …
In einigen Tagen werden wir erfahren, wohin die Reise geht. Aus meiner Sicht ist jedoch klar, dass die Marke Migros nur dann profitiert, wenn ein durchgängiges Nein zum Alkohol herausschaut. Einzelne Umfragen zeigen, dass diese Option besteht. In diesem Fall hätte die Migros-Führung ganze einfach Glück gehabt. Was jedoch, wenn die Genossenschafterinnen und Genossenschafter zustimmen? Wie eine Schadensbegrenzung aussehen könnte, hat Kollege Thomas Wildberger kürzlich skizziert: Eine intensive Diskussion wäre nötig, wie der zusätzliche Profit – denn darum geht es im Kern – verwendet wird. Könnte beispielsweise ein Teil davon in Präventionsmassnahmen für Alkoholmissbrauch investiert werden? Keine schlechte Idee. Aber die Frage würde sich erneut stellen, wozu dieser ganze «Fortschritt» dann überhaupt nötig war. Denn via Denner und Onlinekanal gibt’s ja auch für Migros-Kunden seit Langem Hochprozentiges.
Klaus-Dieter Koch ist Gründer und Chief Enabling Officer der Managementberatung BrandTrust.
Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
BLOG
Alkohol kann auch Marken zerstören