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Allgemeine Bildungsferne

René Zeyer

Sehr selten fetzt man sich in der Schweiz öffentlich. Vor allem nicht in geistig gehobenen Kreisen. Wenn doch, ist die Öffentlichkeit natürlich neugierig. So kriegten sich vor Kurzem auf Twitter Mike Müller und Peer Teuwsen in die Haare (persoenlich.com berichtete). Der eine Komiker und bestattender Schauspieler, der andere Redaktionsleiter von «NZZ Geschichte» und Gastkommentator in der «NZZ am Sonntag». Da prallen dann wohl geballtes Wissen, elegante Formulierkunst und scharfe verbale Klingen aufeinander.

Könnte man meinen. Vielleicht liegt es am für differenzierte Argumentationen nicht unbedingt geeigneten Medium Twitter, obwohl die maximale Länge eines Tweets auf sagenhafte 280 Zeichen verlängert wurde. Was aber keine Entschuldigung ist – diese Länge erreicht schon dieser Absatz.

Anlass für Gezeter und Gefuchtel war eine vernichtende Kritik, die Teuwsen über den neuen Sonntagabend-Satiriker Michael Elsener veröffentlichte. In für die «NZZ am Sonntag» kräftigen Worten machte er die Show als «zum Fremdschämen» nieder. Das liege an einer allgemeinen Humorunfähigkeit der Schweizer, diagnostizierte Teuwsen. Das wiederum lupfte Müller sozusagen den Sargdeckel. Sein Zorn entzündete sich daran, dass Teuwsen Elsener in einem Dialog mangelnde Schlagfertigkeit vorgeworfen hatte, als Beispiel für seine Untauglichkeit. Aber dieser Dialog war gescriptet, also vorbereitet, nicht improvisiert.

Also ging es etwas hin und her, Müller wurde in seiner Wortwahl deutlicher: ««Du bringst ein konkretes Beispiel aus der Sendung, und das verkackst Du auch noch.» Schliesslich liess Müller das Halszäpfchen sehen, als er von Teuwsen zur Selbstkritik aufgefordert wurde: «Das Feuilleton wünscht sich von mir öffentliche Selbstkritik? Klingeln bei Dir da nicht die Historiker-Glocken? Ich hätte gedacht, Du seist wenigstens auf deinem Gebiet vom Fach.» Worauf Teuwsen replizierte: «Bitte, Mike, jetzt nicht noch die Nazikeule. Es reicht.»


Michèle Binswanger kommentiert dann im «Tages-Anzeiger», also in insgesamt zehn Tageszeitungen, dass «auch bei besonnenen Persönlichkeiten bereits im achten Tweet die Nazikeule niedersauste». Schon in den 90er-Jahren postulierte der US-Buchautor Mike Godwin «Godwins Gesetz». Es beinhaltet, dass in jeder konfliktiven Diskussion früher oder später ein Nazivergleich gezogen wird. Und das war noch lange vor dem Internet mit der Kommentarfunktion als moderne Pissoirwand und Twitter, wo man schneller mit den Fingern an die Öffentlichkeit als mit dem Hirn ans Nachdenken gehen kann.

Allerdings fällt weder dem Herausgeber einer historischen Zeitschrift noch Binswanger auf, dass hier die Behauptung, Müller fuchtle mit der Nazikeule, falsch ist. Obwohl verschwurbelt behauptet werden kann, dass auch Feinde der Volksgemeinschaft im Faschismus zu Selbstkritik gezwungen wurden, ist dieses Instrument eindeutig eine Erfindung des Leninismus und Stalinismus, weitergeführt vom Maoismus. Wer also die Forderung nach öffentlicher Selbstkritik mit historischem Verweis zurückweist, schwingt keinesfalls die Nazikeule.

Besonders seit dem Aufkommen des Haltungsjournalismus – und vor allem in Deutschland – wird sie geradezu inflationär missbraucht, um politische Gegner als Faschisten, Nazis, Hitler-Jünger zu denunzieren. Trump ist ein Faschist, die AfD ist eine nationalsozialistische Partei, jeder, der sich ausserhalb des vom neuen Juste Milieu erlaubten Diskurses stellt, ist ein Unmensch, ein Rassist, ein Neonazi. Nichts gegen Warnungen vor brauner Gefahr, aber diese Abqualifizierungen ersetzen fast immer eine argumentative Auseinandersetzung.

Diese Verluderung des öffentlichen Dialogs ist bedauerlich. Noch bedauerlicher ist, wenn auf vermeintlich hohem intellektuellen Niveau vom Herausgeber eines historischen Magazins eine Nazikeule denunziert wird, wo gar keine ist. Und weder Teuwsen noch der kolportierenden Mama-Blog-Journalistin Binswanger fällt das auf. Früher sagte man, dass man einen gewissen Bildungsrucksack mitbringen sollte, wenn man seriös journalistisch tätig sein will. Tempi passati.



René Zeyer ist Inhaber von Zeyer Kommunikation in Zürich. Er ist Publizist (BaZ, «SonntagsZeitung», «Weltwoche», NZZ) und Bestsellerautor.

Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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Kommentare

  • Karl Wild, 07.02.2019 11:06 Uhr
    René Zeier: Dass der Nazivergleich komplett falsch ist, ist richtig. Mich erstaunt in diesem kleinen Trauerspiel allerdings fast mehr die Dünnhäutigkeit und Kritikunfähigkeit eines Mike Müller.
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