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Another One Bites the Dust

Fast keine Woche vergeht ohne entsprechende News: «A. B. wechselt von der Bilanz zu einer Beratungsgruppe» oder «der langjährige Bundeshauskorrespondent des Tages-Anzeigers wird Public-Affairs-Verantwortlicher bei der Heilsarmee» oder, schlimmer noch, «C. D. von Radio SRF wird neuer Kommunikationschef im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement». Was ich sagen will, Kollegen aus Zeitschriften- sowie Zeitungsredaktionen, aber auch aus Funk und Fernsehen, suchen das Weite respektive einen Arbeitsplatz, wo sie voraussichtlich bis ins Rentenalter Zuflucht finden. (Als ich jünger war, hätte ich die Kollegen bei ihren Namen genannt, klar, mit Gusto, doch man verändert sich eben.)

Ist das wichtig? Im grossen Ganzen wahrscheinlich kaum, könnte man antworten. Worauf die Entgegnung von Hobbes, dem Tiger aus dem Comicstrip «Calvin und Hobbes», angebracht wäre: «Euch big picture-Typen kann man in der Praxis einfach nicht brauchen.» Mit anderen Worten: Ich finde es wichtig. Denn ich war stolz darauf, als ich das erste Mal gefragt wurde, was ich beruflich mache, und «Journalist» sagen konnte. Bald 35 Jahre später bin ich es immer noch (Journalist beziehungsweise stolz drauf). Und obwohl Vorhersagen schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, sage ich: Ich werde es bleiben für den Rest meines Erwerbslebens. Diese Vorhersage ist belastbar, ich bin ja freischaffend.

Gründe, die Branche zu wechseln, gibt es viele, darunter gute. Seit das meiste Anzeigenkundengeld in sogenannte soziale Netze fliesst, statt zu Verlagen, die unsoziale Medien herausgeben, ging’s mit diesen bergab. Und zwar überall (wo es mehr oder weniger freie Meinungsäusserung gibt). Just am Tag, als ich diese Zeilen schrieb, erschien in der New York Times ein langer Artikel zum «Gen X Meltdown», Kernschmelze der Jahrgänge 1965 bis 1980, aufgehängt an en masse verschwindenden Jobs in der Kreativindustrie (neben der erwähnten Medien- etwa auch in der Werbe-, Film-, Foto- und Musikbranche). Zusammengefasst: «It’s the End of work as we knew it», es ist das Ende der Arbeit, wie wir sie kannten.

Andererseits, in meinem Fall, geboren 1965 und zu den Ältesten der Generation X zählend, war von Anfang an das Ende der Arbeit, die ich noch nicht kannte, nah – schon als ich 1990 bei Ringier anfing, sagte ein reifer Kollege in der (subventionierten) Kantine bei einem langen Lunch: «Die guten Zeiten sind vorbei, bis vor Kurzem flogen wir Business, jetzt nur noch Eco … Hast Pech gehabt.» 35 Jahre später arbeite ich noch immer jeden Werktag, mache im Grunde immer noch das Gleiche und, vor allem, bin ich immer noch glücklich dabei; im Unterschied zu früher respektive bei Ringier schreibe ich ausschliesslich (sozusagen) über Menschen und Gebiete, die mich interessieren. Ich bin sogar ein bisschen reich geworden damit, reich an Erfahrung und im Herzen, denke ich. Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten, einer Berliner Band, den ich neben tausend oder so weiteren treffenswerten Leuten mal befragte, sagte: «Andere sind reich – ich bin legendär.»

Die einzigen Menschen, denen er Achtung entgegenbringe, seien Athleten, Soldaten und Schreiber, sagte Taki Theodoracopulos, ehemaliger Karatekämpfer sowie Kolumnist, Erbe eines Reedereivermögens und ein weiterer Interviewpartner. Finanzberater, Public-Affairs-Verantwortliche sowie, erst recht, Bundesratssprecher hat er nicht erwähnt. Was ich verstehen kann.

Davon abgesehen, finde ich, hat jeder die Freiheit zu tun, was er oder sie gut findet, besonders beruflich. Doch er soll dazu stehen, wenn es ihm zu anstrengend wurde oder zu wenig einträglich / nicht vielversprechend genug ist. Und er deshalb zum Beispiel aus einer Redaktion auf ein Amt, zu einem Verband, Konzern oder etwas Ähnlichem wechselt. Stattdessen jeweils das Ende des Journalismus im Allgemeinen und der Printmedien im Besonderen zu bemühen, ist erstens eine lahme Begründung und zweitens charakterschwach. Zudem widerspricht es so ziemlich allem, was man einmal richtig fand, was man bewegen und wofür man einstehen wollte, als sich der grosse Berufswunsch erfüllte und man Journalist wurde.



Mark van Huisseling ist Journalist, Kolumnist und Buchautor in Zürich. (Bild: Tobias Stahel)

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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