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Applaus ist kein Kommentar

Marlis Prinzing

Das erste Interview mit der frisch zur Kanzlerkandidatin ihrer Partei gekürten deutschen Grünen-Politikerin Annalena Baerbock endet mit dem Applaus der Moderatoren. Welch ein Fehler!

Medien küren immer wieder Politikhelden (in Deutschland zum Beispiel Martin Schulz, SPD, Karl-Theodor zu Guttenberg, CDU etc.) – und demontieren sie. Beides ist unprofessionell, also nicht sachgerecht, da das meist wenig mit einer Abwägung entlang von Argumenten zu tun hat. Und es ist eine Falle. Denn Journalistinnen und Journalisten, die so vorgehen, beschädigen vor allen Dingen ihre eigene Berufsgruppe. Eine aktuelle Variante der Heldinnenkür markiert der Applaus, den das ProSieben-Moderationsduo Thilo Mischke und Katrin Bauerfeind im ProSieben Spezial der Kanzlerkandidatin zu Ende des Gesprächs gegeben haben. Das ist ein journalistischer Offenbarungseid. Zur PrimeTime.

Journalistinnen und Journalisten wird immer wieder vorgeworfen, sie hätten eine Schlagseite zugunsten von Links und Grün. Oft trifft das nicht zu. Denn selbst aus einem bestimmten Sozialmilieu zu stammen, bedeutet noch lange nicht, unprofessionell zu sein. Zum journalistischen Basishandwerk gehört ja gerade auch die Fähigkeit, auf (professionelle) Distanz gehen zu können. Das Moderationsduo Bauerfeind/Mischke hingegen verhielt sich unprofessionell, bestärkte die Klischees vieler, die Journalismus in einen Topf mit dem Etikett «linkslastig» werfen und ramponierten die Glaubwürdigkeit des professionell arbeitenden Politikjournalismus. In einem Kommentar nach Abwägen diverser Argumente zum Schluss zu kommen, Person A scheint geeignet oder Position A eher zutreffend, ist etwas anderes als einfach zu klatschen: Applaus ist kein Kommentar. Erst recht nicht im Politikinterview. Gut, man kann sagen, dass sei ja eher Gefühlsjournalismus oder Politikunterhaltung. Aber so einfach ist es nicht. Denn vielen Menschen fällt es ohnehin schwer, professionellen und unsoliden Journalismus voneinander zu unterscheiden.

Und dann ist da noch das wahrhaft leidige Frau-Mann-Thema. Das alberne Wortspiel rund ums Ei ist mehr als Geschmackssache. Gewänne sie die Wahl und würde Kanzlerin, dann müsse sie es mit Leuten aufnehmen, die viel mehr Erfahrung in solchen Jobs haben als sie. So die Anmoderation. Darauf folgten dann Fragen wie: «Ist das so, als hätte man bislang in der Economy-Class den Tomatensaft ausgegeben und soll jetzt den Jumbo-Jet fliegen …?» Und dann noch: «Braucht man da Eier beziehungsweise, in Ihrem Fall, Eierstöcke?»

Ähnlich klischeebeladen ist auch das Bild der verzichtenden Robert Habeck, der voll «wahrer Grösse» die «Macht abgegeben». Nur wenigen – leider – gelang es, sich von Klischees zu befreien. Lorenz Maroldt (Der Tagesspiegel) zum Beispiel (Checkpoint, 22.4.2021): «Könnte es nicht vielleicht doch so gewesen sein, dass Baerbock am Ende einfach die Stärkere mit den besseren Argumenten war? Dass Habeck gar nicht die Macht hatte, die er vermeintlich so generös abgab?» Die eigentlich Grösse Habecks sein «der Umgang mit der Niederlage, nicht der vermeintliche Verzicht».

Übrigens: Die Antwort von Baerbock auf die Eierfrage beantwortet auch, was Journalismus auszeichnet: «Da braucht man vor allen Dingen eine klare Haltung.»



Marlis Prinzing ist Professorin für Kommunikationswissenschaft und Medienethikerin. Sie lehrt in Fribourg i. Üe. und in Köln.

Unsere Blog-Autoren vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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