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Bis zehn zählen…

Benedikt Weibel

Alte Regel: Wenn man sich bodenlos ärgert, soll man zuerst bis zehn zählen und sich beruhigen. Während meiner SBB-Zeit erhielt ich Schreiben, die mir das Blut in den Kopf schiessen liessen. Die erste Reaktion war, so ein A… Dann habe ich sogleich in die Tasten gegriffen und eine richtig saftige Antwort verfasst. Damals noch in Form eines Briefes. Dann gab ich das Schriftstück unserem Kommunikationschef zur Begutachtung. Der brachte mir jedes Mal schonend bei, er halte dieses Schreiben nicht für die beste Idee. Ich habe keinen dieser Briefe je verschickt. Das Erstaunliche dabei: Der Ärger war weg. Von der Seele geschrieben.

Später und etwas reifer drehte ich meine Taktik um 180 Grad. Ich reagierte auf das unflätigste Schreiben mit ausgesuchter Höflichkeit. Der dadurch ausgelöste Überraschungseffekt setzte fast immer einen konstruktiven Dialog in Gang. Allerdings: Twitter gab es damals noch nicht. Mit diesem Medium ist die Versuchung, seinem Ärger ungefiltert Luft zu lassen, ungleich grösser geworden. Das vergiftet nicht nur das Klima, es ist auch in vielen Fällen einfach dumm und kontraproduktiv.

Wenn wir vom Obertwitterer im Weissen Haus absehen, liefert uns zurzeit Elon Musk das krasseste Beispiel. Der ist von sich selbst so begeistert, dass er glaubt, auf dem Wasser gehen zu können. Er hält sich für so eminent wichtig, dass er seine Gefühle jederzeit der ganzen Welt übermittelt. Die Analysten, die seine börsenkotierte Firma Tesla unter die Lupe nehmen, und noch mehr die Journalisten, die darüber schreiben, nerven ihn masslos. Ohne dass er sich mit jemandem abspricht, reagiert er seinen Frust mit einem Tweet ab.

Neulich verkündete er, er werde Tesla von der Börse nehmen. Den Aktionären versprach er einen 20-Prozent-Aufschlag, was einen Preis von 419 Dollar pro Aktie ergibt. Er offerierte aber noch mehr, nämlich 420 Dollar, und erläuterte in einem Interview, die Zahl 420 sei ein Code für Marihuana. Die überrumpelten Mitglieder des Boards von Tesla waren entsetzt. Die Börsenaufsicht leitete eine Untersuchung ein. «Muss Musk jetzt gehen?», titelten die Medien. Musk, in die Enge getrieben, gibt der «New York Times» ein vierstündiges Interview. Seine Ausführungen triefen von Selbstmitleid. An seinem Geburtstag habe er 24 Stunden arbeiten müssen. Die Hochzeit seines Bruders habe er nach der Zeremonie sofort wieder verlassen müssen.

Der Arme! Aber das ist halt so, wenn man nicht nur den Automobilmarkt revolutionieren, sondern auch den Weltraum erobern und mit dem Hyperloop sämtliche Verkehrsprobleme der Welt lösen will. Übrigens: Den Tweet bedauert Musk nicht. Nun hat er gar, nicht zur Freude der Analysten, vor einer Fernsehkamera Gras geraucht. Und will seine Firma nun doch nicht an die Börse bringen.

Es ist Zeit, innezuhalten. Kommunikation ist zu wichtig, als dass eine öffentliche Person Tweets von sich gibt, ohne dass sie gecheckt werden. Wenn das zu viel verlangt ist: Zählen Sie wenigstens bis auf zehn.

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Benedikt Weibel ist ein Schweizer Manager. Von 1993 bis 2006 war er Vorsitzender der Geschäftsleitung der SBB und damit deren Generaldirektor.

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Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion. 

 

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