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Bitte, lieber Joe Cocker: Hilf uns!

Roger Schawinski

Also: Sie sitzen im Auto und betätigen wieder einmal den Radiosuchlauf. Die Augen diszipliniert auf die Strasse gerichtet, versuchen Sie zu erahnen, bei welchem Sender Sie gerade gelandet sind. Als Joe Cockers "You Can Leave Your Hat On" aus dem Lautsprecher quillt, geraten Sie selbst als Kenner der heimischen Radioszene in echte Schwierigkeiten. Alle Privatsender sowie SRF 1 und SRF 3 spielen solche Titel, weil die Hörertauglichkeit dieser schmalzigen Klassiker für fast alle erfolgreichen Formate gewährleistet ist. Dann, an einem Rotlicht, blicken Sie auf die Anzeige und sehen: Radio SRF 2 Kultur! Nein, es ist nicht ihr Radio, das verrückt spielt, wie Sie kurz vermuten. Der Kultursender der SRG, der sich bisher durch eine stringente Musikauswahl profiliert hat, geht auf der Suche nach jüngeren Hörern gezielt fremd. Und dabei fiel den entnervten Programmverantwortlichen offenbar nichts Besseres ein, als ebenfalls Pop anzubieten – also dasselbe, was auf allen anderen Frequenzen zu hören ist. Und wenn zusätzlich stolz angeführt wird, dass man die Nachrichten auf sechzig Sekunden "verschlankt" hat, reibt man sich gleich nochmals die Augen. Der kreative Höhepunkt des neuen Konzepts aber ist wohl, dass man die eigene Station als Sender "für Erwachsene" anpreist.

Es gibt verschiedene Rezepte, wie man sich in der laufend weiter atomisierten Medienlandschaft profilieren kann. Am erfolgreichsten ist wohl, wenn man sein Profil weiter schärft, um sich so von der Konkurrenz abzusetzen. Dies gilt umso mehr, wenn man von Zwangsgebühren und nicht von Werbeeinnahmen leben darf und damit nicht dem grössten gemeinsamen Nenner nachhecheln muss. Im ganzen Schweizer Radioangebot hat SRF 2 deshalb eine besonders privilegierte Stellung, weil dieser Sender dem Service-public-Prinzip der SRG am ehesten huldigen darf. Und da man zudem eine ehrwürdige Tradition ins Feld führen darf, könnte man sich problemlos auf das Alleinstellungsmerkmal konzentrieren, das man im Gegensatz zu fast allen anderen Sendern erworben hat.

Aber nein. Man fischt selbst mit dem guten alten Joe Cocker nach jüngeren Hörern. Das ist nicht nur ideenlos, dies ist geradezu schändlich. Frivol. Also all das, was diesen Sender von den allermeisten anderen Stationen unterscheidet. Und die SRG gibt sich damit zudem eine grundsätzliche Blösse. Denn wenn alle drei SRG-Radioprogramme dieselben Titel abnudeln, stellt sich automatisch die Frage, weshalb es gleich drei teuer produzierte, per UKW landesweit verbreitete deutschsprachige Radioprogramme braucht. Dies umso mehr, als sich SRF 1 und SRF 3 in jüngster Zeit musikalisch bedenklich angenähert haben. Und nun wirft sich sogar SRF 2 ins Rennen! Ist dies die sichtbarste Folge der oft beschworenen Konvergenz, nämlich dass die Profile der vielen Angebote immer unschärfer werden?

Als Radiohörer und Billag-Zwangskunde wünsche ich gerade von den SRG-Sendern Einmaliges, also Dinge, welche die Privatsender nicht anbieten können. Radio SRF 2 Kultur hat dabei die einfachste Aufgabe. Dass man diesen klaren Weg nun verlässt, zeugt aber von wenig Selbstvertrauen in den eigenen USP. Und als Radiomacher, der mit Radio 1 und Planet 105 seit einigen Monaten zwei Sender programmiert, bin ich echt verblüfft. So achte ich pingelig darauf, dass sich die beiden Profile klar unterscheiden. Deshalb garantiere ich hier hoch und heilig: Joe Cocker kann auf jedem Schweizer Sender – inklusive Radio SRF 2 Kultur – laufen, aber niemals bei Planet 105. Denn damit würde ich ein klares Konzept torpedieren. Und so etwas sollte man niemals tun. Vor allem nicht bei der in vielen Dingen so privilegierten SRG.

 

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