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Das Problem ist viel grundsätzlicher

Roger Schawinski

Ein Unglück kommt selten allein, meint der Volksmund – und Zeitungsverleger gehören zurzeit in diese Kategorie. So werden die Prognosen über das bevorstehende Ende des traditionellen Print-Geschäftsmodells immer alarmierender. In Deutschland wurden bereits die ersten renommierten Titel weggeputzt, während bei uns noch immer eine gewisse Konstanz vorgetäuscht wird. Etwa wenn der einst renommierte Bund nur noch dem Namen nach eine eigenständige Zeitung ist, während es sich in Wirklichkeit um die Berner Regionalausgabe des Tages-Anzeigers handelt. Aber irgendwann stossen auch solche Kostensenkungsmassnahmen an Grenzen. Und damit sind wir bei Online. Und dort beginnt es erst so richtig ernst zu werden. Selbst die grössten Online-Euphoriker müssen langsam zur Kenntnis nehmen, dass man mit reinem Wunschdenken nicht ans Ziel gelangt. Fatal ist einmal die Entwicklung bei der Onlinewerbung, die nur einen Bruchteil der verlorenen Printwerbung wettmachen kann. Das Wachstum dieser als Zukunftshoffnung gepriesenen Gattung ist zudem ins Stottern geraten, was den Horizont weiter verdüstert. Die grassierenden Pop-ups, mit denen man die mangelnde Attraktivität der Bannerwerbung mit der Brechstange aufmöbeln will, lösen beim Konsumenten vor allem Negativreaktionen aus. Und die Tricks, mit denen man das sofortige Wegklicken um einige wenige Sekunden hinauszögern will, indem man das dazu mitgelieferte Feld möglichst gut versteckt, verstärken die Abneigung weiter. Damit schiesst sich jeder Kunde ins eigene Knie, denn Werbung sollte positive Emotionen für eine beworbene Marke auslösen und nicht das pure Gegenteil. Aber es kommt noch viel dicker. Denn die viel gepriesene neue Internettechnologie ermöglicht vieles – selbst das komplette Ausschalten der Werbung. So verhindert man etwa mit Adblock Plus (je nach Browser als Plug-in oder Extension), von Werbung in irgendwelcher Form belästigt zu werden. Sie wird schlicht weggefiltert. Der Economist schätzt, dass bereits 9 Prozent aller Seitenaufrufe von Browsern stammen, die mit dieser Software bestückt sind. Und das Wachstum ist exponentiell. Seit 2007 wurde diese Software beinahe 180 Millionen Mal heruntergeladen, allein im Oktober waren es 3,5 Millionen. Damit ist die bisher wichtigste Form der Onlinefinanzierung in höchstem Masse gefährdet, denn vor allem junge Leute – die attraktivste Zielgruppe – will eben nicht bevormundet werden.
Als wäre das nicht genug, ist auch die allerneuste Wunderwaffe – die Paywall – unter Beschuss. Dabei geht es nicht nur darum, möglichst viele aus der mit Gratiscontent angefixten Klientel zum Bezahlen zu bringen. Solange es kostenlose Ausweichmöglichkeiten gibt, bleibt das ein äusserst risikoreiches Unterfangen. Aber selbst hier lauern bereits weitere technische Tücken. Beim Branchenprimus New York Times etwa ist es recht einfach, unter Ausschaltung von Cookies kostenfrei zu konsumieren. Damit ist auch die zweite potenzielle neue Einnahmequelle der Anbieter in höchstem Masse gefährdet. Also muss die Brandmauer immer noch weiter hochgezogen werden. Es wirkt wie verflixt. Alles, was die Verleger anfassen, wird im Nu entzaubert. Jede neue Initiative, ihren journalistischen Content zu monetarisieren, stösst auf unerwartete Widerstände. Rettung ist nicht in Sicht. Und deshalb geht es nicht nur um die Zukunft von Print, wie es als "conventional wisdom" flächendeckend verbreitet wird. Das Problem ist viel grundsätzlicher.
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