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Den Fortschritt in seinem Lauf hält nicht Ochs noch Esel auf

Joshua Brown, ein ehemaliger Navy SEAL (die härteste Truppe der USA) und jetzt in Ohio Digital-Unternehmer, befährt mit seinem Tesla Model S eine vierspurige Strasse in Florida. Er ist allein, steuert selbst, schaut aber trotzdem vergnügt einen Harry-Potter-Film. Denn er hat das Auto-Drive-System, das Tesla seinen Autos per Internet eingepflanzt hat, eingeschaltet. Joshua geht davon aus, dass die Strasse kreuzungsfrei ist; muss man zumindest annehmen, denn er scheint weiter nicht auf sie zu achten. Ein fataler Fehler. Ein weisser Sattelschlepper biegt vor dem Tesla links ein, das elektronische Auge des Autos erkennt wohl den Schlepper nicht, weil er das Weiss für Wolken hält, und fährt ungebremst auf den LKW und unter ihm hindurch weitere zweihundert Meter weiter, bis es stillsteht. Der Fahrer stirbt an der Unfallstelle.

Am 7. Mai 2016 ist das passiert; erst sechs Wochen später wird der Unfall zum weltweiten Thema. Joshua ist der erste Mensch, von dem man weiss, dass er durch einen «Irrtum» eines Autopiloten ums Leben gekommen ist. Und überall findet man in den Medien nun die Häme: «Wir haben es ja gleich gesagt, das funktioniert nicht», «Dieses Tesla ist doch ein reiner Hype», «Es wird nie selbstfahrende Autos geben» oder «Es braucht immer den Menschen». Alles Quatsch. Und alles auch Häme der Ewiggestrigen. Denn wenn wir auf unseren überlasteten Strassen etwas brauchen, und das weltweit, besonders auch in China und Europa, dann sind das Autos, die miteinander kommunizieren und die sich gegenseitig erkennen und die vor- ausschauen. Wenn das Internet der Dinge einen Sinn macht (und es macht Sinn), dann bei den Automobilen, deren Lenkung noch immer in den Händen des schwächsten Gliedes überhaupt liegt: des Menschen.


Mein Enkel schon wird, wenn er erwachsen ist, nicht mehr glauben, dass es eine Zeit gab, in der Menschen so töricht waren, schwere mechanische Geräte, wie es Automobile sind, quasi ungebremst und nur von Menschen gesteuert aufeinander zurasen zu lassen. Jetzt, wo auch noch fast jeder Autofahrer permanent an seinem Handy rummacht, während er fährt, ist es grösste Erfinderpflicht, das selbstfahrende Auto und vor allem das mit seiner Umgebung kommunizierende Auto zu bauen. Es wäre längst möglich, wenn die einst führenden europäischen Autobauer (und auch die Japaner) nicht ihre alten Maschinen unbedingt noch so lange wie möglich hätten verkaufen wollen. Auf der letzten NOAH in Berlin (eine grosse Internetkonferenz) im Juni habe ich Dieter Zetsche, CEO der Daimler AG, in einer Diskussion mit Travis Kalanick, CEO von Uber, gehört. Steinzeit versus Future; aber auch ökonomische Macht versus Hoffnung. Zu Zetsches Ehre muss gesagt werden, dass auch er «theoretisch» erkannt hat, dass ein selbstfahrendes System von Automobilen nicht aufzuhalten ist. Und er hat sogar behauptet, dass Mercedes nächstes Jahr das erste Modell auf die Strasse bringt; aber die einfache Hoffnung, dass man dem launischen, unberechenbaren, handygesteuerten Menschen das Steuer aus der Hand nimmt, vermittelte nur der Heisssporn aus Los Angeles.

«Den Fortschritt in seinem Lauf hält nur Ochs und Esel auf.» Diesen hier leicht abgewandelten Satz prägte Erich Honecker. Der einstige Staatsratsvorsitzende der DDR war zwar selbst ein ziemlicher Esel, aber für das Thema selbstfahrende Autos gilt die Erkenntnis bestimmt. Das «Opfer» von Joshua Brown war nicht umsonst; und es wird sicher noch manchen Unfall mit Tesla-Autos, mit Google-Autos und mit selbstfahrenden Mercedes-, BMW- oder Peugeot-Autos geben. Aber in weniger als zehn Jahren wird das System des selbstfahrenden Autos so perfekt sein, dass selbst die ältesten Verkehrspolitiker und die Gestrigen nicht umhinkönnen, es zu erlauben und zu geniessen. Und man kann diese Gestrigen vielleicht damit locken, dass selbstfahrende Autos auch Achtzigjährige sicher durch den Verkehr der Stadt und der Landschaft bringen, ohne dass sie die anderen Verkehrsteilnehmer ständig gefährden.

Für mich gab es nach dem tragischen Unfall von Florida nur eine Konsequenz. Ich habe es einem grossen Schweizer Medienpionier, dessen Buch «Ich bin der Allergrösste» gerade Erfolge feiert, gleichgetan: Ich habe mir einen Tesla Modell S 90 D bestellt.

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KOMMENTARE

Matthias Munz
25.07.2016 15:55 Uhr
Sehr geehrter Herr Klemann. Wenn Sie so ein verfechter von Autonomen fahren sind, möchte ich Ihnen raten, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Hier können Sie sich entspannt zurücklehnen und einen Harry Potter Film genießen ohne sich und andere Personen zu gefährden. Eine Betaversion von einem Autopiloten, nachträglich der Zulassung des Fahrzeuges via Funk auf einen Fahrzeug zu laden ist verantwortungslos und stellt eine erhebliche Gefährdung des Straßenverkehres dar.
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