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Der langsame Suizid der klassischen Medien

Jetzt ist ja alles gut! Endlich haben wir die wahren «Schuldigen» für die unerwartete Wahl Donald Trumps als US-Präsident: Facebook, das unwahre Posts nicht eliminierte, und ein paar Jungs aus dem früheren Jugoslawien, die dank ihrer Kenntnis der Google-Suchmaschine durch eine viral gekonnte Verbreitung von Falschmeldungen ein bisschen Kohle machten.

Einmal abgesehen davon, dass unklar ist, wie gross der Einfluss von Facebook und der Fake-News-Verbreiter auf den US-Präsidentenwahlkampf wirklich war, die entscheidende Frage lautet doch nicht: Wie konnte es dazu kommen, dass diese ungehindert ihre Falschnachrichten verbreiten konnten? Die entscheidende Frage heisst: Wie kann es dazu kommen, dass solche Falschinformationen – von wie vielen Empfängern auch immer – als wahr angesehen werden?

Die unbequeme Antwort auf diese Frage: Schuld daran sind die Zeitungen, Onlinemedien, Radio und TV – und zwar gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen, weil sie auf ihrer fortwährenden Jagd nach «geilen» Schlagzeilen viele solche «Fake News» ungeprüft weiterverbreiten, ihre Wirkung also noch verstärken. Auch in der Schweiz.

Zum anderen, weil es vor allem die traditionellen Medien sind, welche dem Populismus die Türen öffneten und ihn stark gemacht haben – von der SVP über Donald Trump bis hin zur AfD in Deutschland, der FPÖ in Österreich oder Marine Le Pen in Frankreich. Denn alle diese Volksbewegungen verdanken ihre Bekanntheit und Bedeutung letztlich der ständigen Berichterstattung auf allen Kanälen: vom Print über das TV bis hin zum Online.

Dabei spielt es keine Rolle, dass die allergrösste Mehrheit der Journalisten nicht müde wird, auf die Gefahren dieser Populisten und ihrer Parteien aufmerksam zu machen und vor ihnen zu warnen. Denn kaum noch irgendjemand schenkt diesen Warnungen aus den Redaktionsstuben Glauben. Weil fast niemand mehr den Journalisten traut.

Wie dramatisch diese Entwicklung vor allem bei den Jungen ist, zeigt eine neue von der Europäischen Broadcasting Union EBU koordinierte Umfrage, die von 18 öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosendern in 14 europäischen Ländern durchgeführt wurde. Darunter neben den Sendern unserer Nachbarn Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich auch jene der französischen und italienischen Schweiz (das Deutschschweizer Fernsehen SRF interessierte sich nicht dafür).

Auf einer von den Radio- und Fernsehsendern lancierten speziellen Webseite mit dem Namen generation-what.de hat sich bis heute rund eine Million europäischer Jugendlicher zu ihrer Befindlichkeit im generellen, aber auch zu Politik und Medien geäussert. Das Resultat der im April 2016 lancierten Befragung ist für Politiker und Medien gleichermassen vernichtend!

Zwischen 82% (Belgien) und 97% (Griechenland) der Jugendlichen sagten aus, dass sie den Medien misstrauten. Nur in Deutschland (68%) lag die Misstrauensquote etwas niedriger. In der Schweiz beträgt das Misstrauen der heranwachsenden Generation gegenüber den Medien 84%.

Bei den Politikern schaut es ebenso finster aus: Von 71% (Deutschland) bis 93% (Italien) reicht die Misstrauensquote der Jugendlichen. Schweiz: 76%. Diese desaströsen Zahlen erklären, weshalb die Warnungen der Medien vor den Gefahren des Populismus und der Populisten ungehört verhallen und weshalb die Medien die Hauptschuldigen an der Popularität der Populisten sind. Denn das Einzige was angesichts der Unglaubwürdigkeit der Medien in der Berichterstattung über die Populisten hängen bleibt, ist deren Bekanntheit, nicht aber ihr schlechter Ruf.

Die Journalisten selbst erklären dieses Phänomen, sofern sie sich überhaupt damit auseinandersetzen, mit dem Einläuten des „postfaktischen Zeitalters“. Darin komme eben den wahren Fakten nur noch eine beschränkte Bedeutung zu.

Diese Erklärung ist ein weiteres Bespiel für die fehlende Selbstkritik der Branche. Denn wer, bitteschön, hat das sogenannt «postfaktische Zeitalter» begründet? Nicht die sozialen Medien, sondern deren Vorläufer: Zeitungen, TV, Radio und – vor allem – Onlinemedien.

Die gesammelten dort veröffentlichten tendenziösen und Falschmeldungen stellen die relevanten Fehlinformationen, die auf sozialen Netzwerken kursieren, jeden Tag locker in den Schatten. Dass dies den Medienkonsumentinnen und -konsumenten nicht verborgen geblieben ist, zeigt die oben erwähnte europäische Umfrage.

Aber auch die Werbeauftraggeber haben realisiert, aus welcher Richtung der Wind bläst. Dies zeigt sich am steten Zuwachs der Werbung auf sozialen Netzwerken oder alternativen Digitalkanälen und der steten Abnahme in den traditionellen Medien, allen voran dem Printbereich. Denn wer investiert schon gerne Geld in eine aussterbende Mediengattung, die bei immer grösseren Kreisen keine Glaubwürdigkeit mehr besitzt?

Nicht nur die Werbebranche und die Unternehmen, die sie vertritt, setzen immer stärker auf die Sozialen Medien. Auch die Politiker tun dies. Zwar gibt es immer noch solche, die Facebook & Co. misstrauisch gegenüberstehen und sich standhaft weigern, diese zu nutzen. Aber dies ist eine aussterbende Rasse.

Immer mehr aktive Politikerinnen und Politiker brauchen inzwischen die sozialen Medien, um für sich und ihre Ideen zu werben. Und unter Umgehung der traditionellen Medien mit ihren Wählerinnen und Wählern zu kommunizieren. Damit werden die klassischen Medien weiter marginalisiert.

Es wäre allerdings unfair, die Schuld an dieser suizidalen Entwicklung allein den Journalisten in die Schuhe zu schieben. Denn, dass es den meisten von ihnen vor allem um Selbstverwirklichung und möglichst grosse Freiräume geht, ist normal (der Schreibende war in seinen zwanzig Jahren als Journalist nicht anders).

Die wahren Schuldigen sind die Geschäftsleitungen und die Verwaltungsräte der Medienunternehmen. Denn dort fehlt es am Interesse, am Willen und oft auch an der Fachkompetenz, um sich mit den Fehlentwicklungen bei ihren Kernprodukten auseinanderzusetzen.

Statt sich wie andere Branchen mit Total-Quality-Management (im redaktionellen Bereich) zu beschäftigen, investiert man lieber in digitale Stellen- und Immobilienplattformen – die man für teures Geld einkaufen muss, weil man zuvor die Eigenentwicklung verschlafen hat.

Oder man setzt Multimillionen für Joint Ventures im Vermarktungsbereich in den Sand. Zentralistische Plattformen, von denen der Markt heute schon weiss, dass sie eine Totgeburt sind, weil die darauf verkauften Medienprodukte und die Kulturen, Interessen und Mitarbeitenden der beteiligten Unternehmen viel zu unterschiedlich sind.

Bitte nicht falsch verstehen: Dass sich Führungsspitzen von Medienunternehmen mit solchen Themen aus der neuen digitalen Welt beschäftigen, ist selbstverständlich richtig. Aber zuerst sollten sie ihre Hausaufgaben in jenem Bereich machen, der nach wie vor ihr Kerngeschäft ist: der Journalismus. Denn dort besteht, um es vornehm auszudrücken, sehr viel «room for improvement».

Diese Einsicht ist inzwischen vereinzelt sogar bei den Medien selbst eingekehrt. Auf dem bisherigen Kurs sei der Kampf für die etablierten Medien nicht zu gewinnen, warnte beispielswiese Rainer Stadler, der Medienspezialist der NZZ, letzte Woche: «Sie müssen besser, präziser und unvoreingenommener informieren, um das wachsende Misstrauen zu bekämpfen, das alle Anbieter erfasst.»

Stadlers Wort in Gottes Ohr. Oder, noch besser: In jenes der Führungsgremien der Medienunternehmen (inklusive der Chefredaktoren). Denn nur wenn es dort gehört wird, haben die Medienunternehmen eine Chance, ihr selbstverschuldetes langsames Verbluten noch zu stoppen.

 

Sacha Wigdorovits ist Inhaber der Kommunikationsagentur Contract Media. Zuvor war er während 20 Jahren Journalist, unter anderem als stv. Chefredaktor der LNN und Chefredaktor des Blick, sowie Projektleiter und Mitgründer der Gratiszeitung 20 Minuten.

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