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Die alten Mythen zerbröseln

Roger Schawinski

Der Entscheid der Tamedia, ihre regionalen Radio- und Fernsehsender zu verkaufen, muss für Hanspeter Lebrument ein besonders harter Schlag gewesen sein. Denn damit versank für den Südostschweizer Medienfürsten das gesamte Argumentationsinstrumentarium in Schutt und Asche. So hat er öffentlich gedroht, sein Bündner Tagblatt einzustellen, falls ihm die Konzession für das einzige Privatradio in seinem Herrschaftsgebiets verweigert würde. Nur als integriertes Medienhaus mit Zeitungen, Radio und Fernsehen sei man heute überlebensfähig, verkündete er. Alles andere sei Selbstmord. Und deshalb müsse ihm – Bundesverwaltungsgericht hin oder her – das Radio zugeschlagen werden. Und nun dies! Die Tamedia beweist durch ihr Vorgehen, dass die viel beschworenen Synergieeffekte zwischen Print und elektronischen Medien vernachlässigbar sind. Dies ist ganz anders als zwischen dem traditionellen Geschäft und dem Online-Eldorado, bei dem man unbedingt dabei sein muss. Damit wird klar, dass die vollständige Kontrolle über regionale Zeitungen, Radio und Fernsehen nur zwei Zwecken dienen kann: Erstens sichert man sich mit dem Ausschalten von Konkurrenz überhöhte Werbepreise. Und zweitens finanziert man mit staatlichen Splittinggebühren einen ständigen Einnahmenstrom via Subventionen, mit denen man auch andere Medien aus dem eigenen Haus alimentieren kann. Das heisst im konkreten Beispiel: Mit den Splittinggebühren von gegen sechs Millionen Franken pro Jahr (!) für Radio Grischa und TeleSüdost quersubventioniert Lebrument sein Bündner Tagblatt. Damit zementiert er einerseits sein regionales Monopol und kann anderseits die einzige Zeitung des Landes herausgeben, die trotz fehlender Presseförderung von staatlichen Geldern profitiert. Auch andere Mythen zerplatzen zurzeit. Der als Heilsbringer angepriesene Steve Jobs hat mit seinem iPad noch nicht zur wundersamen Genesung der Medienkonzerne beigetragen, wie es von Springer-Chef Matthias Döpfner vorhergesagt wurde. Bereits sind in Deutschland einige veritable iPad-Flops bekannt, während sich die meisten Verlage über die Nutzung ihrer teuren Hochglanzprodukte erstaunlich zurückhalten, was bei der üblichen Euphorie-Mentalität der Presseabteilungen auf ernsthafte Probleme schliessen lässt. Und auch das Interaktionsgeschäft, das bei uns vor allem von Ringier als Wundermittel verkündet wird, gerät ins Stottern. So ist dieser Konzern wegen der inhärenten Interessenkonflikte mit einer neutralen Berichterstattung in die Kritik geraten. In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger meinte Michael Ringier kleinlaut, man müsse die Interessenlage in Zukunft wohl etwas deutlicher offen legen. Und einige der angeschobenen Projekte bringen statt Erfolg nur Kosten, wie das hastige Einstellen der Plattform vanilla.ch zeigt, mit dem Ringier den gigantischen Erfolg von Groupon abkupfern wollte. Trotz aufdringlicher Cross Promotion lassen sich eben nicht alle Produkte in den Markt drücken. Und so drohen neben der Beschädigung der eigenen starken Marken durch eine oft überaggressive Cross Promotion zusätzlich direkte Verluste. Ja, der Medienbranche geht es wieder hervorragend, wie überall verkündet wird. Aber es sind vor allem die heruntergefahrenen Kosten, nicht die neuen Einnahmen, die dafür verantwortlich sind. Irgendwann aber lassen sich Kosten nicht mehr weiter senken. Und dann muss man sich an die schwierigere Aufgabe machen und alte, nicht mehr gültige Weisheiten über Bord werfen. Die Tamedia hat dazu gerade einen wichtigen Schritt getan.
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