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Die Fundis aus dem Kulturressort

Roger Schawinski

Seit fünfzig Jahren ist Bob Dylan die grösste Ikone der Popgeschichte. Er hat mehr als 700 Songs geschaffen, viele von ihnen gehören zu den besten aller Zeiten. Auch mit seiner «Never Ending Tour» setzte er sich von allen anderen seiner Zunft ab. Doch dann entstand ein kleineres Problem: «His Bobness» verlor nach und nach seine Stimme. Lange Zeit ging das irgendwie gut. Doch bei seinem jüngsten Zürcher Konzert stiess er bloss noch ein raues, hektisches, unkontrolliertes Bellen hervor, das für die Ohren der meisten Zuhörer unerträglich war, weshalb viele von ihnen schon frühzeitig und fluchtartig das Hallenstadion verliessen. Wie aber wurde in der Presse über dieses bestürzende Ereignis berichtet? Im Tages-Anzeiger konzedierte Christoph Fellmann gleich zu Beginn seines Artikels: «Diese Stimme, die keineswegs so klingt, als komme sie aus einem Grab. Sondern wie das Grab selbst. Tief, hohl und furchterregend nah.» Was nun auf diese Beschreibung folgte, war keine Betrachtung darüber, ob dies eher eine Zumutung für die Zuschauer oder die unerträgliche Selbstdemontage eines grandiosen Künstlers war. So eine Schlussfolgerung ist für jemanden gar nicht vorstellbar, der für sich und für alle Zeiten beschlossen hat, dass Bob Dylan Gott ist, da er sich vor seiner Zunft nicht der Gotteslästerung schuldig machen möchte. Was also tut er in einer solch heiklen Situation? Erstens zermalmt er Mark Knopfler, den Kopf von Dire Straits, der mit einer grossartigen Band im ersten Teil des Konzerts aufgetreten ist und der im Gegensatz zu Bob Dylan weiterhin im Vollbesitz seiner fantastischen stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten ist. Sein Auftritt wird deshalb als widerlicher musikalischer Brei abgetan. Damit verringert man schon mal die Fallhöhe zum grossen Idol. Und in der Verzweiflung greift man zum allerletzten Mittel: zur Publikumsbeschimpfung. So schreibt Manfred Papst in der NZZ am Sonntag über die sich entrüstenden Zuhörer: «Ich muss gestehen, dass meine ohnehin schon euphorische Stimmung mit jedem Abgang noch wuchs. Zum einen packte mich die Musik. Zum anderen freute es mich, dass Bob Dylan es immer wieder schafft, die Spiesser zu schockieren … die ihrer Bratwurst zustrebten.» Was lernen wir daraus? Journalisten, die einem Gott huldigen, sind absolut unbrauchbare Zeugen. Wie alle Fundis machen sie alle Ungläubigen platt. Sollten sie diese elitären Ansichten in ihrem privaten Umfeld verbreiten, so sei ihnen das unbenommen. Wenn sie aber als Berichterstatter für die wichtigsten Zeitungen unseres Landes unterwegs sind, betreiben sie eine unerträgliche Desinformation. Auch ich bin lebenslanger Fan von Bob Dylan und habe viele seiner Konzerte besucht. Aber nach etwa sechs Stücken musste ich den Saal verlassen, und dies nicht in erster Linie, weil ich Bob Dylans Stimme für meine Sinne als schmerzhaft empfand. Schlimmer war für mich, wie sich das Idol meiner Jugend vor meinen Augen öffentlich erniedrigte. Auf dem Weg zum Ausgang traf ich auf Polo Hofer, auch er ein eingeschworener Dylan-Fan, der mit einigen Coverversionen seinem Idol Tribut gezollt hatte. Er sass vor einem Glas Rotwein und wirkte total erschüttert. «Das ist wirklich ein Jammer», meinte er traurig, «schade, schade.» Und beim Weggehen sagte er noch: «Keine Angst, Roger, bei mir wirst du es nicht erleben, dass ich mich einmal so auf der Bühne präsentieren werde.» Weil Polo eben klug ist, weiss er, dass er von denselben Musikkritikern bei einem ähnlichen Gekrächze in der Luft zerrissen würde. Denn im Gegensatz zu Bob Dylan ist er bloss ein Mensch. Und bei Menschen setzt – anders als bei Göttern – selbst das Urteilsvermögen der arrogantesten Musikkritiker nicht vollständig aus.
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