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Die Perfektion des Unfertigen

Thea Ferretti

Drei Tage, 43 Podien, 70'000+ Menschen und Firmen, die die Tech-Industrie neu denken. Der Web Summit 2022 ist ein Power-Paket an Inspirationen, Ideen, Gesprächen, Persönlichkeiten, Innovationen und vielem mehr. Für uns bei der Creative Consultancy Branders steht der Web Summit seit Jahren fix in der Agenda.

Unter den vielen Highlights sorgte eine Rede für Aufsehen im überfüllten Creatiff-Podium: Yuhki Yamashita, Chief Product Officer bei Figma, sprach darüber, wie sich Design und kreative Prozesse verändern und wie wir uns mit ihnen verändern müssen.

Design kann nicht mehr als linearer Prozess gedacht werden. Der theoretische Ablauf von Problem zu Lösung hat noch nie so wenig der Realität entsprochen wie heute. Schon immer, sagt Yamashita, wurden Lösungen durch Zufall gefunden, oft noch bevor das Problem genau definiert wurde. Warum also nicht gleich mit der Lösungsfindung beginnen und gewisse Unsicherheiten zulassen? Die Technologie dazu gibt es bereits – dank Open-Source-Plattformen kann jeder und jede jederzeit von überall an der gleichen Idee arbeiten.

Dass eine Schwarmintelligenz auf hohem Niveau die Lösung zu komplexeren Problemen sein kann, leuchtet ein. So die Theorie. In der Praxis wird diese Work-In-Progress Mentalität allerdings ständig ausgebremst. Alle fühlen sich motiviert und ermuntert, ihre Fragen, Erfahrungen und Bedenken zu teilen. So wird das Endergebnis besser, sicher. Aber der Weg dahin wird oft ineffizienter und langwieriger. Endlose Chatverläufe, Schleifen, Optionen, Diskussionen. Und schon wieder ist man beim Startpunkt gelandet.

Yamashita sieht den Kern der Herausforderung in dieser neuen Arbeitsweise und bietet mögliche Lösungsansätze:

- Wann sollen Reviews eingeplant werden, damit keine Loops entstehen? Er schlägt vor, von der Suche nach dem perfekten Review-Zeitpunkt zu einem vorhersehbaren, regelmässigen Feedback-Rhythmus überzugehen. So entsteht eine Feedback-Kultur, die der Work-In-Progress Philosophie entspricht und bei der nicht alles bei dem einen wichtigen Review-Termin gelöst werden muss.

- Wie kann man Feedback geben? C’est le ton qui fait la musique. Oder im Fall von Hubspot, der Hashtag. Damit Kommentare nicht ausufern und überfordern, werden sie bei Hubspot bestimmten Kategorien zugeordnet: #FYI, #Suggestion #Recommendation #Plea

- Wann weiss man, wann das Design fertig ist? Die iterative Art zu arbeiten soll nicht beim Projekt-Team aufhören, sondern Partnerinnen und Nutzer ebenso miteinbeziehen. Denn für alle geht es darum, zu akzeptieren, dass gewisse Dinge niemals ganz fertig sind, weil sie immer verbessert werden können – diese Offenheit gegenüber Work-in-Progress als dauerhafter Idealzustand ist für Yamashita ein zentraler Erfolgsfaktor.

Und falls Sie jetzt eine Augenbraue hochziehen, dann sollten Sie wissen, dass Yamashita selbst sagt, dass die neue Art zu designen ein ständiger Work-in-Progress Prozess ist. Und vielleicht wird sich morgen schon wieder alles ändern.


Thea Ferretti ist Communications Director bei der Agentur Branders.

Die Autorin vertritt ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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