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Die schöne Welt der sozialen Medien

Peter Marti

Wenn in einem Unternehmen von sozialen Medien gesprochen wird, schalten vom Hochschulabsolventen bis zum CEO die Ampeln auf Grün. Budgets werden locker durchgewinkt. Auch wenn 99 Prozent keine Ahnung haben, wie man mit Social Media erfolgreich durch die neue Marketingwelt fährt. Hauptsache, man ist dabei. Und das Ganze billig und gleichzeitig hochanalytisch. Es gilt, mit einigen Irrtümern aufzuräumen.

Die Mediabudgets aller Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren in Richtung digitaler Medien verschoben. Für 2018 wollen KMUs erneut mehr in digitale Bereiche und in soziale Medien investieren. Das ist an und für sich noch keine Überraschung.

Laut der Werbemarktstudie der Universität St. Gallen (Institut für Customer Insight Studie vom 26. Januar 2018) planen 32 Prozent aller Unternehmen quer durch alle Branchen im Jahre 2018 mit einem höheren Kommunikationsbudget. 32 Prozent sehen 2018 keine Veränderung in ihren Mediabudgets vor. 34 Prozent einen leichten oder starken Rückgang.

Nach der Verteilung der Medienbudgets auf die verschiedenen Medien befragt, melden 55 Prozent der Unternehmen eine starke Zunahme der Online-Medien und eine Abnahme aller übrigen Investitionen im Marketing (Print, Sponsoring, Direktmarketing, TV etc.). Das sind erfreuliche Informationen für alle Medienhäuser mit ausgebauten digitalen Plattformen. Das sind unerfreuliche Nachrichten für Radio, TV und auch Printmedien. Es sind aber auch unerfreuliche Nachrichten für alle CEOs, Marketing- und Kommunikationsverantwortlichen. Denn sie stehen wegen der Komplexität der Online-Medien vor grossen Herausforderungen.

Keiner weiss Bescheid – aber alle wissen es besser

Beginnen wir ganz vorne und auf dem Wissensstand eines 50-jährigen CEOs: Seit Jahren präsentieren ihm die Marketing- und Kommunikationsleiter das beste Media-Preis/Leistungsverhältnis anhand vom 1000er-Preis (was kosten 1000 Kontakte in einem Medium). Kontakt bedeutet «theoretisch gesehen». Nach diesem Hauptkriterium wurde entschieden, in welche Medien ein Unternehmen investiert. Das nenne ich die primitive Mediaplanung des letzten Jahrhunderts.

Heute ist die Planung mit den sozialen Medien sehr viel komplexer geworden. Im digitalen Zeitalter ist nicht mehr das Budget, die Ausgangslage, sondern die Zielsetzung. Also wie viele Impressions, Klicks, Likes, Followers oder Conversion Rates wünscht der Kunde beziehungsweise sollen festgelegt werden? Danach richtet sich das Budget. Die digitalen Media-Planer errechnen dem Kunden, wie viele Franken in der Folge investiert werden müssen. Der CEO versteht das nicht, der Marketing- und Kommunikationsleiter versucht zu verstehen.

«Wir wollen mehr in soziale Medien investieren»

Diesen Satz höre ich immer wieder auf CEO-Ebene. Meine Standardantwort ist: «Möchten Sie bezahlte oder unbezahlte soziale Medien einsetzen?» Auf diese Frage antworten mir die CEOs mit ungläubigem Staunen. Sie dachten, die sozialen Medien seien Blogs und Ähnliches. Das müsse man machen, um im Trend zu liegen. Sie sind auch der Meinung, diese sozialen Medien seien gratis. Nun, jeder entsprechend ausgebildete Kommunikationsfachmann plant eine Kombination von bezahlten und unbezahlten Social-Media-Kampagnen, die zum Teil bis zu 200 verschiedene Formate berücksichtigen müssen und deren Planung sehr komplex ist. Zudem erfolgt diese Planung auf täglicher beziehungsweise stündlicher Basis und rollend. Somit können die immer besten Analyseresultate des Konsumentenverhaltens in die Planung einfliessen. Alle «Paid Social Media»-Massnahmen können messerscharf und im Sekundentakt in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit gemessen werden.

Was ist ein Kontakt wert?

Die digitalen Experten begeistern mit hohen Impressions, Views und Clickzahlen. Während die TV-Stationen und gedruckten Medien mit Kontaktsummen arbeiten. Und schon wird die Kontaktsumme mit den Impressions verwechselt. Was ist also überhaupt ein Kontakt? Und was ist eigentlich eine Impression?

Was ist wertvoller? Was wirkt besser? Am Ende des Tages geht es ja darum, einen Konsumenten für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu begeistern. Oder es geht darum, überhaupt darauf aufmerksam zu machen, dass es das Produkt oder die Dienstleistung gibt. Gelingt das jetzt besser mit einem Kontakt oder mit einem Click auf die Website? Dazu gibt es bis heute keine verbindliche Forschung. Und solange es diese nicht gibt, pflügen die digitalen Medien mit unglaublichen Zahlen die Medienwelt um. Im Gegenzug flüchten sich TV und die gedruckten Medien auf eigene, dünne digitale Plattformen, um ihre Kontaktsummen in die Höhe zu stemmen.

Wo also keine empirischen Forschungsresultate zum Thema Kontaktqualität vorliegen, empfehle ich unseren Auftraggebern den gesunden Menschenverstand walten zu lassen.

Das bedeutet: eine crossmediale Mediaplanung. Stoppen Sie die digitalen Mediaplaner und ermutigen Sie den TV- und Print-Mediaverkäufer, endlich mit empirischen Daten zur Kontaktqualität aufzuwarten. Denn ein digitaler Kontakt ist nicht einem TV- oder Print-Kontakt gleichzusetzen.

«Wir haben jetzt einen Social Media Manager angestellt»

Ich gratuliere allen Firmen, die das machen. Aber meistens stellen sie eine(n) knapp 20-jährige(n) Mitarbeitende an, die/der Kraft seines Alters und weil sie/er privat viel Facebook anwendet, diesen Job dankbar annimmt. Die Variante dazu: ein Unternehmen beauftragt den Kommunikationsplaner (meistens auch jung) mit dieser Aufgabe, obschon er davon keine Ahnung hat. Würden Sie jemanden in der Buchhaltung anstellen, der von Zahlen keine Ahnung hat? Das geschieht deshalb, weil CEOs und Marketing- oder Kommunikationsleiter der Meinung sind, dass soziale Medien gratis sind, und da kann sich gerne ein «junger Wilder» damit beschäftigen. Die Betreuung der sozialen Medien, ist – ob bezahlt oder unbezahlt –, eine äusserst anspruchsvolle Tätigkeit.

Die Angst des CEOs vor den Blogs

CEOs fürchten sich vor negativen Blogs. Weshalb eigentlich? Bei einem sauberen Blog-Management können negative Blogs sofort gelöscht oder überschrieben werden. Nur bedingt das natürlich ein 24/7-Controlling. Bei globalen Unternehmen sind oft über hundert Personen beschäftigt, welche in allen Sprachen weltweit ein zentral gesteuertes Blog-Controlling praktizieren. Gleichzeitig mit dem Controlling werden ständig neue Botschaften/Blogs abgesetzt. Eine einzigartige Chance, die Konsumenten mit «Storytelling» zu überraschen und zu begeistern.

Die neue digitale Welt muss lernen den Menschen besser zu berücksichtigen. Unbestritten ist, dass sich auch CEOs mit dem Thema  «Digitalisierung im Marketing» auseinandersetzen müssen. Da reicht ein Besuch im Silicon Valley nicht. Es geht um Aus- und Weiterbildung. Es ist besser, Unwissen zuzugeben, als Wissen rund um die sozialen Medien vorzutäuschen.

Dazu eine kleine Anekdote: Ich sass vor gut zwei Jahren in einem globalen Online-Meeting eines Konsumgüter Unternehmens. Die Digital-Nerds aus 23 Ländern präsentierten stolz ihre erreichten Impressions, Likes, Follower etc. Nach der gefühlten sechsten Präsentation platzte dem COO des Unternehmens der Kragen. Er fragte den präsentierenden USA -Vertreter, wieviel Mehrumsatz er denn mit diesen unglaublich tollen digitalen Zahlen gemacht habe. Diese Frage hatte niemand erwartet. Der Amerikaner fiel komplett von der Rolle. Er antwortete stotternd, indem er auf den eShop der Firma verwies, der zu weniger als 3 Prozent des gesamten USA-Umsatzes des Unternehmens beitrug. Mehr wusste er nicht zu sagen.



Peter Marti ist Inhaber von Marti Communications und Digismart in Zürich.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

 

 

 

 

 

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Kommentare

  • Christoph Glauser, 19.09.2018 08:26 Uhr
    Gute Einschätzung der Lage. Allerdings wird man in Zukunft valide und reliabel (zuverlässig) genau messen können über welche Kanäle sich der Mark wirklich aktiv bewegt. Dann ist Schluss mit Giesskanne und besser wissen. Besser messen ist viel gscheiter. Ob man eher Suchmaschinen oder Soziale Medien bearbeiten sollte kann man bereits heute in Echtzeit messen unter https://find.argyou.com
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