Ein Mann in Jeans und T-Shirt sitzt auf dem Bett, eng flankiert von zwei schlanken, weissen Frauen in Spitzenunterwäsche, die ihm die Hände auf die Knie legen. Woran denken Sie? Welches Thema würden Sie mit diesem Stockfoto bebildern? Würden Sie das Bild überhaupt wählen?
Der Blick hat es getan, für einen Artikel über polyamore Beziehungsformen.
Dieses Teaserbild illustriert gleich mehrere Probleme, die dazu führen, dass Medien sexualisierte, sexistische, stereotype Bilder von Frauen zeigen und damit bestimmte Vorstellungen transportieren.
Erst aber kurz: Warum ist dieses Bild problematisch?
Frauen werden auf ein «Objekt der Begierde» reduziert und man zeigt sie in Unterwäsche, obwohl das nicht wirklich nötig ist. Gleichzeitig stellt das Foto polyamore Beziehungen falsch dar. Das Bild suggeriert, dass Polyamorie bedeutet, einem Mann stünden mehrere Frauen zur Verfügung, die nur darauf warten, ihm seine Wünsche zu erfüllen – genau darum ging es im Artikel aber nicht, denn dieser war sehr differenziert.
Wie also kommt es dazu, dass ein solches Bild im Jahr 2025 seinen Weg online findet?
Mehrere Faktoren sind im Spiel.
Erstens: der Mensch. Mindestens eine Person hat entschieden, dass dieses Bild publizierbar ist – und dies muss nicht immer zwingend die Autorin oder der Autor des Artikels sein. Ein Artikel geht, bevor er publiziert wird, bekanntermassen durch mehrere Hände, Bilder können während dieses Prozesses ausgetauscht werden, auch ohne das Einverständnis der Schreibenden.
Ein zweiter Faktor: die Agenturen. Dort kommen die Stockbilder her. Oft sind es gesellschaftliche Themen, bei denen Medienschaffende auf Stockbilder setzen (müssen), und somit auf eine bereits bestehende Auswahl.
Diese Bilder entstehen und werden gewählt in einem bestimmten Kontext, nämlich in einer Gesellschaft, in der bestimmte vom Patriarchat geprägte Schönheitsideale gelten – Faktor Nummer drei: «Die Frau» soll schlank, weiss, «wohlgeformt», jung sein. Idealerweise zeigt sie auch Haut. Ebendiese Frau sieht man dann in Artikeln über Gartentipps, Falten, Rauchstopp, Hitzetod, Krankenkassen, Diäten, Sport, Freundschaften, Ferien, Mutterschaft. Oft sind Frauen auf Stockfotos zudem Sekretärinnen, Partnerinnen, Kindergärtnerinnen, kümmern sich um andere, lächeln.
Gesucht: die Realität
Bereits vor zehn Jahren gab es Initiativen, die dieser eindimensionalen und stereotypen Darstellung entgegenwirken und Bilder von Frauen in den Medien diverser gestalten wollten. Eine der grössten Bildagenturen weltweit, Getty Images, zu der auch die Stockfoto-Plattform iStock gehört, lancierte dazu die #RePicture-Kampagne und suchte nach zeitgenössischeren Fotos aus verschiedenen Lebensbereichen, unter anderem von Frauen. Ebenfalls 2014 startete Getty Images die «Lean In Collection» in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen NGO «LeanIn.Org» von Sheryl Sandberg. Auf den Stockfotos zu sehen: Mechanikerinnen, Skateboarderinnen, Ärztinnen, schwarze Frauen, BIPoC-Frauen, Frauen mit Kopftuch, Frauen mit Behinderungen, queere Frauenpaare, selten aber dennoch vorhanden: hochgewichtige Frauen.
Ausgerechnet Ringier hat 2023 zu einer ähnlichen Aktion für authentischere Frauenbilder aufgerufen: zur EqualPYXX Fotochallenge der unternehmenseigenen Gleichstellungsinitiative Equal Voice, in Zusammenarbeit mit dem Unternehmerinnen-Netzwerk Womenbiz und der Schweizer Presseagentur Keystone-SDA. «Die Realität ist bunt und divers. Die Schweizer Bildwelt ist es nicht», heisst es auf der Homepage von Equal Voice. Weniger als 40 Prozent der zehn meistverkauften Stockfoto-Kategorien enthielten Frauen, in Kategorien wie «Technologie» oder «Wissenschaft» mache dieser Anteil weniger als ein Fünftel aus. Die prämierten Fotos des Wettbewerbs sind nun bei Keystone-SDA zu finden: eine Dachdeckerin, eine Wissenschaftlerin und eine Flugzeugmechanikerin.
Dass solche Bilder wiederum genutzt werden, dazu bedarf es des Gedankens daran, dass sie überhaupt existieren könnten – in der Realität und auch den Agenturen. Zudem kann es Zeit kosten, sie unter all den anderen Fotos zu finden. Und auch Klicks könnten verloren gehen – «Sex sells» – mehr Haut, potenziell mehr Interesse.
Doch die Mühen gehören schlicht zum Auftrag der Medien: Machtstrukturen hinterfragen – das Patriarchat gehört da dazu –, Vielfalt abbilden, Zusammenhalt stärken. Frauen können schlank, weiss, langhaarig und lasziv sein. Aber eben nicht nur. Und deshalb sollten sie auch in Artikeln so zu sehen sein wie im echten Leben und wie sie auch als Leserinnen sind: vielfältig.
Der Blick hat das Polyamorie-Teaserbild mittlerweile ausgetauscht. Nun zeigt es das Porträt einer glücklichen Frau, die von einem Mann geküsst wird. Sie ist noch immer weiss und schlank. Aber es ist ein Fortschritt.
Aleksandra Hiltmann schreibt als freie Autorin über Themen rund um Gesellschaft, Diversität und Balkan. Sie hat in Zürich Politikwissenschaft und Publizistik studiert.
Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
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04.05.2025 09:23 Uhr
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Dünn und jung – Frauen in der Stockbild-Falle