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Ein Abend bei Trump

Am Anfang des Abends sind die US-Rufe noch spärlich, je später der Abend aber wird, desto häufiger erklingen sie. Das Hotel Hilton-Midtown, inmitten von Manhattan, steht am Dienstagabend mitten im Fokus der Weltpolitik. Vor dem Gebäude unzählige Sicherheitskräfte und Fernsehteams, in den oberen Ballräumen hat Donald Trump zur «Winning Party» geladen, was sowohl vom strotzenden Selbstbewusstsein, aber auch der prophetischen Gabe des umstrittenen Kandidaten zeugt. Was aber um 19.30 Uhr, als meine Kollegen Manfred Klemann, Oliver Prange und ich die Lobby des Hauses betreten, niemand ahnt.

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Dass wir – ohne Akkreditierung und eine Zimmerbelegung – überhaupt in das Gebäude reinhuschen können, grenzt an ein kleines Wunder. Vor allem an einem Abend, an welchem sich New York zu einem Hochsicherheitstrakt verwandelt hat. Aber irgendwie ist an diesem Abend des 8. Novembers alles sonderbar. In der Hilton-Bar sind vier Fernsehbildschirme montiert, zwei zeigen CNN, die andern den konservativen Sender FOX. Je mehr Staaten Trump gewinnt, desto aufgekratzter wird Stimmung.

Aber wahre Euphorie sieht anders aus, nicht vergleichbar mit der «Obamania» vor acht Jahren. Vielleicht liegt es auch an der Tatsache, dass selbst Trumps Anhänger mit den klaren Resultaten überfordert sind. Vielleicht aber auch an der Tatsache, dass man sich hier – inmitten von Manhattan – im grösstmöglichen Feindesland von Trump befindet, obwohl dieser niemals ausserhalb der Stadt gelebt hat und den grosskotzigen New Yorker am perfektesten verkörpert mit drei eigenen Trump-Buildings inmitten der Stadt.

Eine junge Frau neben mir, starrt mit offenen Augen auf den Bildschirm. Sie komme aus Washington und habe Hillary gewählt. Sagt sie fast entschuldigend. Was jetzt passiere, sei «unbelievable». Dass sie Trumps Lieblingswort benutzt, weiss sie nicht.

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Kurz nach Mitternacht das Gerücht, der Wahlsieger komme durch den Hintereingang ins Gebäude. Ein Pulk von Journalisten, Fans, Hotelgästen und vereinzelten Fans postiert sich sogleich vor der Türe, die von sechs Polizisten abgeriegelt wird. Nervosität mischt sich mit Müdigkeit. Einer der Ballgäste, ein untersetzter Schnauzträger – Typ Texaner – mit einer «Make-America-Great»-Kappe schreit: «You know, Mister Trump is President». Als keiner der Wartenden reagiert, wiederholt er es. Ein Fernsehjournalist bittet ihn, es noch ein drittes Mal zu sagen. «Mister Trump is President!»

Von draussen erklingt eine schrille Polizeisirene. Dann steht ein Polizist vor die Gruppe, plustert sich auf und sagt: «Trump is in the building». Was aber niemand glaubt. Das Geschäft mit der Wahrheit ist in diesem Wahlkampf bis zum Schluss ein Schwieriges. Man bleibt stehen und wartet weiter. Doch nichts passiert. Bis irgendwann – aus den oberen Räumen – die heisere Stimme des neuen Präsidenten zu hören ist. «Trump, Trump», schreien drei überdrehte Frauen in roten Kleidern und starren auf die Rolltreppe, die nach oben führt. In ihren Händen ein grosses Schild: «Hispanics for Trump». Ein anderer Trump-Anhänger übergibt sich. Seinen Kopf hat er über einen Abfallkorb gestülpt, bis ihn seine Freundin in die benachbarte Toilette zehrt. Euphorie – oder nur der Alkohol?

Ein Journalist spricht einen Kommentar in sein iPhone, welches er selfiemässig gegen sich gerichtet hat. Aufschrift: Bild.de. Ein Kameramann liegt dösend am Boden. Mit der Angst, er könnte etwas verpassen. Doch die Schlacht ist geschlagen. Auch Trumps Stimme aus dem oberen Stockwerk ist verklungen. Ein «Make-America-great-again»-Ruf ist zu hören. Ansonsten ist in der Hotellobby des Hilton-Midtowns von der weltpolitischen Bedeutung dieser Wahl nur wenig zu spüren. Aber das ist bei historischen Augenblicken immer so. Und vor allem erst Recht im Auge des Taifuns. 

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Kurz nach vier morgens verlasse ich die Hilton-Lobby. Irgendwo in dieser unendlich grossen Festung sitzt Mr. President. Vor dem Hotel keine Demonstranten, aber auch keine Fans. Nur Polizisten und Fernsehteams. Hillary hat ihr geplantes Siegesfeuerwerk über dem Hudson in weiser Voraussicht vor Tagen abgesagt, Trump hat nicht einmal angefragt. Gäbe es einen unbeliebteren New Yorker, ist es wohl der neue Präsident. Die 5th Avenue ist menschenleer, nur in den oberen Etagen des Trump Towers brennt noch Licht. Die Stadt, die niemals schläft, wirkt müde. Ich rufe ein gelbes Taxi. Der Fahrer dreht sich nach hinten. «Has Hillary won?»

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KOMMENTARE

Blanca Koller
09.11.2016 18:46 Uhr
Guter Bericht! Die Newyorker sind sowieso nicht von Trump begeistert. They give a shit! Bin vor einer Woche aus. New York zurückgekehrt und konte einige Gedanken und Aussagen von meinen Freunden erfahren.
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