Es war der 24. April 2007, und ein Mann namens Lee LeFever ahnte noch nicht, dass er Internetgeschichte schrieb. Denn mit seinem Whiteboard-Video «RSS in Plain English» schuf er eine völlig neue Kommunikationskategorie. Er war kein Regisseur, kein Texter, kein Animator, sondern ein Kommunikator mit einem Marker. Und er hatte schnell verstanden: Komplexes einfach machen, das wird millionenfach geklickt und ist Gold wert.
Die Geburtsstunde des Erklärvideos
Es folgte eine Erfolgswelle mit grossen «Wellenreitern» – den unzähligen Erklärvideo-Agenturen weltweit. Die Technik: Legetrick, 2D-Vektor, Voiceover. Die Formel: «Das ist Paul. Paul hat ein Problem …». Unternehmen liebten es. Endlich konnte man Kunden erklären, was man tut, ohne dass sie einschliefen oder weiterklickten.
Und dann? Kam die echte Massenware.
Tools wie Vyond und Powtoon machten dann aus dem Erklärvideo das, was PowerPoint für Präsentationen ist: leicht verfügbar, leicht austauschbar und leider auch oft leicht vergessbar. Tausende Videos im gleichen Stil, mit den gleichen Gesten, den gleichen Figuren, den gleichen Stimmen. Die Idee des guten Erklärvideos – als Brücke zwischen Produkt und Verstehen – wurde unter dem Gewicht schlechter generischer Templates und Stories begraben.
Tot also? Nicht ganz.
Denn ein gutes Erklärvideo ist kein Format, sondern Teil einer Strategie. Es erzeugt den Moment in der Customer Journey, in dem aus Interesse echtes Verständnis wird und aus Verständnis Überzeugung. Wer ein komplexes Produkt, einen tiefen Prozess oder eine abstrakte Dienstleistung verkaufen will, kommt an gutem Erklären nicht vorbei. Nur eben nicht mehr mit «Das ist Paul»-Storyline und austauschbarer Template-Ästhetik.
Und jetzt? Kommt KI.
ChatGPT schreibt Texte, Dall-E baut Storyboards, Runway macht Videos. Heisst das: Die Agenturen sind raus? Nein. Aber sie müssen sich neu erfinden. KI ist schnell, aber nicht weise. Sie kann eine Geschichte erzählen, aber nicht spüren, ob sie wirkt. Sie kennt deinen Markt nicht, dein Produkt nur oberflächlich und deine Brand gar nicht. Sie trifft vielleicht einen Ton – aber selten den richtigen. Und: Sie hat schlichtweg keinen Geschmack.
Die neue Rolle der Agenturen?
Kurator statt nur Produzent. Guide statt Umsetzer. Ein guter Kreativpartner arbeitet mit der KI – aber entscheidet, wo sie helfen darf und wo sie kontraproduktiv wird. Denn ein Erklärvideo, das erklärt, ohne zu wirken, ist wie ein Witz, den keiner versteht: technisch korrekt, aber emotional irrelevant.
Fazit: Das Ende der schlechten Erklärvideos? Ja, bitte. Das Ende des Erklärens? Niemals. Und KI? Spannend, schnell – aber sicher nicht der neue Lee LeFever.
Klaus Schwope ist Gründer und Creative Director von Nutcracker Premium Videos. Sein Frankfurter Studio ist auf strategische Erklär- und Brandvideos spezialisiert und arbeitet unter anderem für Swiss, Zeiss Vision, UNO, Axa, Jung von Matt oder Andfrank.
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Erklärvideos am Ende?