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Fehlender Kampfgeist

Peter Marti

In Deutschland kämpfen Kandidaten um das Amt des Bundeskanzlers. Die deutschen TV-Stationen versuchen, mit Sendungen wie Triell und Vierkampf nach amerikanischem Vorbild Kampflust zu verbreiten. Doch was dabei herauskommt, sind laue und langweilige Gespräche. Warum eigentlich?

Die auftretenden Stars in der Manege spielen die Rolle von Parteipolitikern. Sie verströmen belangloses Parteigelaber. Von Kampfgeist keine Spur. Keine Ecken, keine Kanten. Aussergewöhnliches findet nicht statt. Dafür fallen sich die Protagonisten ständig gegenseitig ins Wort. Der Zuschauer versucht, zwei gleichzeitig schwatzenden Politikern zuzuhören. Schwierig. Die Moderatoren unterbrechen immer wieder die Kandidaten und Parteienvertreter. Ganz bewusst, um wenigstens akustisch ein wenig Konfrontationsdynamik in die Sache zu bringen.

Wie vor vierzig Jahren

Business as usual, muss man leider sagen. Seit Jahrzehnten verlaufen diese Auftritte mehr oder weniger gleich. Nur die Themen ändern sich. Ich würde mich freuen, wenn Hazel Brugger als Kanzlerkandidatin im Triell und im Vierkampf auftreten würde. Das wäre mit Sicherheit unterhaltend und lustig. Was wir ohne sie zu hören bekommen, sind einschläfernde Auftritte aller Beteiligten. Die Positionen und Inhalte kennen wir. Sie werden mehrfach rezitiert. Einziges Highlight des Vierkampfs war Alice Weidel (AfD), die durchaus den Klimazielen des Weltklimarates, aber mit einer anderen Zeitachse folgen möchte. Unverzüglich wird sie von den übrigen Teilnehmern niedergebrüllt.

Analyse aus kommunikativer Sicht

Seit 35 Jahren beschäftige ich mich mit Fragen zur Kommunikation und zu menschlichen Verhaltensweisen. Was ich gelernt habe: Bei brüllenden Menschen hört man weg. Ausser in einer Diktatur oder im Militär, wo man muss. Klugen und differenzierten Menschen hingegen wird zugehört. Denn man kann etwas lernen. Ich habe weder aus dem Triell noch dem Vierkampf etwas gelernt.

Interessant auch die Körpersprache: Armin Laschet – der joviale Westfale – immer in leichter Rückenlage. Seine Frau ist eine kluge Buchhändlerin, die möglicherweise gerne auch ein paar Gläser Wein trinkt. Vermutlich mit Ihrem Mann Armin zusammen. Lässt sich damit die «Rückenlage» erklären? Olaf Scholz ist der Langweiligste unter den Dreien. Typ hochbezahlter Beamter, dem ich kaum ein Wort glaube und der krampfhaft versucht, seine Sätze so zu formulieren wie Angela Merkel. Er hat auch ihre Intonierung kopiert. Und schliesslich die Grüne Annalena Baerbock, die in ihrem neuen Buch Dutzende von Stellen abgekupfert hat. Die Grünen wittern eine Rufmord-Kampagne. Die Beweise sind aber wasserdicht. Baerbock bescheinigt den Linken Unfähigkeit, ein Land zu regieren.

Nur: Weshalb soll das ihre Ein-Thema-Partei besser können, die wenig Ahnung von wirtschaftlichen Aufgaben hat? Und Deutschland steht in erster Linie vor wirtschaftlichen Aufgaben. Immerhin droht das Absinken in die weltweite Bedeutungslosigkeit. Relevante Problembereiche wie Stahl- und Automobilindustrie lassen die Damen und Herren in den beiden Shows unerwähnt. Und sie wissen auch weshalb.

Interessant ist die Tatsache, dass weder am Triell noch im Vierkampf das Thema Europäische Union wirklich tangiert wurde. Verständlich, denn wie soll man den deutschen Wählern erklären, weshalb Milliarden Euros nach Italien oder Griechenland überwiesen werden? Also lieber einfach unterschlagen, das Thema.

Und dann die Mimik. Hier der immer lächelnde Armin Laschet, der damit allerdings nicht an Glaubwürdigkeit gewinnt. Dort der sauertöpfische Olaf Scholz mit einer Miene, als ob er gerade von einer Beerdigung käme. Nie ein Lachen oder Lächeln. Wollen die Deutschen wirklich einen Kanzler, der nicht lachen kann? Und schliesslich die überhebliche Annalena Baerbock, die im Stil einer Oberlehrerin die Augen starr auf das Gegenüber richtet oder ganz einfach in die Luft schaut – wo sie vielleicht ihr grünes Gedankengut zusammensucht – und nach zusammenhängenden Sätzen ringt. Und alle drei waren in Skandale verwickelt, über die in den Bundestagswahl-Shows niemand spricht.

Der Politiker ist auch eine Marke

Laut Marketing-Lexikon steht der Begriff Marke für alle Eigenschaften, in denen sich Objekte, die mit dem Markennamen in Verbindung stehen, von konkurrierenden Objekten anderer Markennamen unterscheiden. Das Objekt kann auch ein Politiker sein. Man liebt ihn oder man liebt ihn nicht. Man glaubt ihm oder man glaubt ihm nicht. In der Folge wählt man ihn oder eben nicht. Vertrauen, Respekt und überzeugende Dossier-Kenntnisse sind wichtig und gehören zu seinem Potenzial. Da keiner der aktuellen Kanzlerkandidaten überzeugt, wird eine Partei gewählt. Oder es wird gar nicht gewählt. Denn der Frust über die Merkel-Politik (Migration, Umwelt und vieles mehr) ist gross. Die Bevölkerung fühlt sich im Stich gelassen. Soll man die CDU/CSU deshalb abstrafen? Vermutlich wird das Ende September an den Urnen geschehen.

Fazit

Wir erleben einen Wahlkampf zum Einschlafen, bei dem die Parteien ihre altbekannten Positionen ausgraben und nicht wirklich zukunftsorientiert, geschweige denn visionär ins Rennen steigen. Drei «Würste» auf dem Grill, von denen keine richtig schmeckt. Nur ja nichts falsch machen. Und das in einem Land, in welchem jeder Vierte Migrationshintergrund hat und jeder fünfte Jugendliche in Armut lebt. Am Ende des Tages fehlt das Vertrauen in alle drei Kandidaten. Einen richtigen Gewinner wird es nicht geben. Koalitionen müssen es richten. Wie diese aussehen, ist das einzige einigermassen Spannende an diesen Wahlen.



Peter Marti ist Inhaber von Marti Communications und Digismart in Zürich.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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