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Fussball-Immunsystem funktioniert doch noch

Colin Fernando

Wow, was für eine Woche im europäischen Fussball. Angeführt von den «Darth Vadern», Agnelli (Juve), Perez (Real Madrid) und den Glazers (Manchester Utd) planen zwölf europäische Spitzenclubs einen Coup von oben, die Gründung einer (beinahe) geschlossenen europäischen Super League. Das Ziel: Maximale Vermarktung und Kommerzialisierung im Stil der amerikanischen Profi-Ligen. Vier statt zwei Milliarden hätte man herauspressen können, wird gemunkelt. Eine grosse Versuchung. Kein Wunder, sind doch zahlreiche der Top-Clubs in amerikanischem Besitz. Auch finanziert hätte die Super League eine amerikanische Bank. Andere in der Runde sind so hoch verschuldet, dass sie dem Trio Infernale offenbar Gefolgschaft schwören mussten. Begleitet wird der Coup von Intrigen, Ausschlussdrohungen seitens Fifa und Uefa und vor allem lautstarken Protesten von Fans, Spielern und Trainern.

Doch die «Blutsbrüderschaft» währte nicht lange. Innert zwei Tagen brach das spekulative Kartenhaus in sich zusammen und Fussballfans in aller Welt reiben sich schockiert die Augen. Was genau ist da bloss geschehen? Die erfreuliche Nachricht ist: Das Profitmaximierungs-Virus ist vorerst eingedämmt. Gestoppt von einer überwältigenden Immunreaktion der europäischen Fussballbasis.

Wie weit Agnelli & Co zu gehen bereit waren, was sie alles opfern wollten um des lieben Profits willen, ist demaskierend, ja brutal. Zugehörigkeit zu den nationalen Ligen? Unwichtig. Europa- und Weltmeisterschaften? Egal. Die treue Fanbasis in den Vorstädten? Irrelevant angesichts des potenziellen Milliardenpublikums in Asien und Amerika. Kurzum: Sie waren bereit, die DNA ihrer jahrzehntelang aufgebauten Fussballmarken zu verraten.

Beispiel Liverpool: Der Arbeiterklub, Inbegriff der Solidarität mit dem legendären Claim «You'll never walk alone», wäre zur Farce geworden, zum abgehobenen Super-League-Club, der ohne Qualifikationsmythos für immer bei den Besten mitgespielt und seine Fans buchstäblich im Regen stehen gelassen hätte. Auch der FC Arsenal als Arbeiterklub und der FC Barcelona als Volksverein («més que un club») hätten ihre Bindung zur Basis aufs Spiel gesetzt. Klar ist, dass der europäische Fussball auf der ganzen Strecke verloren hätte auf lange Sicht.

Was bleibt ist die nüchterne Erkenntnis, dass die Clubbesitzer vieler Spitzenvereine offenbar jeglichen Bezug zu ihrer Fanbasis, ihrer Community verloren haben. Warum nur kam es ihnen nicht in den Sinn, ihre wichtigsten Markenbotschafter einzubeziehen in eine solche kapitale Entscheidung? Zu dumm nur, dass auch Fifa und Uefa als «Retter des Fussballs» und Förderer der Solidarität unglaubwürdig sind, frönten doch auch sie seit langem dem Prinzip «Milliarden vor Haltung». Nun gibt es erst mal eine Verschnaufpause, zum Glück. Wir dürfen gespannt sein, wie gross die Markenwert-Vernichtung am Ende ausfällt bei den glorios gescheiterten Fussball-Putschisten. Mit dem Luxusuhrenhersteller Tribus hat Liverpool jedenfalls postwendend einen ersten Sponsor verloren. Kein Wunder – auf eine «Champions Edition»-Uhr der Arroganz und des Verrats können Fans getrost verzichten.



Colin Fernando ist Partner bei der Managementberatung BrandTrust

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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